Helmut Lauschke

Ins Blut geschrieben


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die Hand der Mutter zu spüren und von ihr den Abschiedkuss für die Ewigkeit bekommen zu haben. Ferdinand griff zu den Preisungen und las den letzten Psalm dem Mädchen hinterher: "Preiset oh Ihn!// Preiset Gott in seinem Heiligtum,/ preiset ihn am Gewölb seiner Macht!/ Preiset ihn in seinen Gewalten,/ preiset ihn nach der Fülle seiner Größe!"

       Kwashiorkor

      Ferdinand schilderte dem Professor das Ausmaß der unterernährten Kinder, die er täglich sieht, von denen einige aufgedunsene Wasserbäuche auf stockdünnen Beinen tragen. Diese Kinder haben eingefallene Faltengesichter mit verstrichenen Mündern, oft blutende Nasen und große dunkle Augen. Kwashiorkor, wie die Westafrikaner in der ‘Ga’-Sprache die Kinder mit den Wasserbäuchen nennen, hat ihre Ursache im chronischen Eiweißmangel. "Gibt es viele Kinder mit Kwashiorkor?", fragte der Professor. Ferdinand führt den Professor auf den Platz vor der Rezeption, wo die Kinder mit den aufgedunsenen Bäuchen neben ihren Müttern in der Warteschlange stehen. Einige von ihnen liegen auf dem Boden, weil sie zu schwach sind, in der Hitze zu stehen. Die Erbärmlichkeit erschütterte den Professor. Außer den spindeldürren Beinen mit den ausgewölbten Kniegelenken waren die kraftlos herabhängenden Spindelarme mit den prominenten Ellbogengelenken zu sehen. Ferdinand und der Professor gingen zur Platzmitte und drehten dort um. Sie blickten auf die Menschen in der Schlange. "Das ist schlimmer als bei uns in Südafrika", sagte der Professor, "das ist entsetzlich, wie die Kinder in ihrer Erbärmlichkeit stehen und die liegenden auf den letzten Atemzug warten." Viele Kinder geben das Bild des endemischen Hungers ab. Dr. Ferdinand erinnerte sich bei der Betrachtung dieser Kinder an die Schilderungen über die ausgemergelten Kinder in den Lagern der Vergangenheit.

      "Wesentlich ist", setzte der junge Kollege hinzu, "dass wir die Not und den Hunger der Menschen im Auge behalten, weil daraus das Elend abzulesen ist, wie Menschen mit Menschen verfahren, denen allen das Recht gleichermaßen zusteht, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Da kann es keine Lücke geben, in die sich der weiße Wohlstand mit seinem Unrecht verdrückt, wenn gleich daneben das schwarze Elend sitzt mit den Hungergesichtern und den todgeweihten Kindern des Kwashiorkors.”

      Krüppelkinder mit unvollständiger Knochenbildung (Osteogenesis imperfecta)

      Dr. Ferdinand erschrak jedesmal beim Anblick der verkrüppelten Kinder mit den bizarr verknickten und verbogenen Armen und Beinen. Die unheilbare Krankheit ist die angeborene, unvollständige Knochenbildung (Osteogenesis imperfecta), wenn die Knochenzellen (Osteoblasten) das Reifestadium der knöchernen Verfestigung (Ossifikation) nicht erreichen. Die Knochennähte (Suturen) und Knochenlücken (Fontanellen) am neugeborenen Schädel schließen sich nur unvollkommen oder gar nicht. Das Wachstum des Skeletts bleibt auf der Kindheitsstufe stehen. Die Knochen sind hochgradig zerbrechlich. Eine knöcherne Abheilung der Brüche gibt es nicht. Die Lebenserwartung dieser Kinder bleibt im Schnitt unter dreißig Jahre. Sie sterben am Nierenversagen und frühzeitiger Gefäßsklerose am Herzen und Gehirn. Die Nieren versagen, weil die Filtermembranen verkalken und die Röhrenschläuche in Rinde und Mark durch die Kalkeinlagerungen verstopfen.

      Da war ein 14 jähriger Junge, der im Körperwuchs dem eines Fünfjährigen entsprach. Seine Beine waren kreuz und quer verbogen, dass er nicht auf einem Stuhl sitzen konnte. Der Innenknöchel des auswärts gedrehten rechten Fußes war ihm ständig unter dem rechten Gesäß, wo er ein tiefes Druckgeschwür verurachte, das vom Sitzbein bis zum großen Rollhügel des Oberschenkelknochens reichte. Die Knochen lagen frei, da über ihnen der Muskel-Haut-Weichteilmantel fehlte. Um den großen und tiefgehenden Defekt durch eine Verschiebeplastik decken zu können, musste vorher der Unterschenkel im Kniegelenk abgesetzt werden. Was den Jungen traurig machte, war die Tatsache, dass ihn in all den Monaten, die er im Hospital war, weder die Eltern noch Mitglieder der Familie besuchten. Er war ein Waiser, der völlig verlassen auf die Zuwendung der Schwestern und des Arztes angewiesen war und darauf vertraute.

      Mädchen mit elf Kieselsteinen im Magen

      Das fünfjährige Mädchen, dem Dr. Ferdinand Samstagnacht elf Steine aus dem Magen geholt hatte, strahlte ihn an, und er empfand die Herzlichkeit als ein schönes Dankeschön. Das Mädchen war fieberfrei, lag am Traubenzuckertropf und hatte mehrmals die Verdauung. Andere Kinder litten an Durchfällen, die schwer unter Kontrolle zu bringen waren. Es war ein Fortschritt, dass das unkontrollierte Wassertrinken vom Wasserhahn unter Kontrolle gebracht wurde, indem große Kannen mit abgekochtem Wasser morgens abgefüllt wurden, aus denen die Kinder das Trinkwasser bekamen. Ferdinand fühlte sich berührt vom unermüdlichen Einsatz der Kinderkrankenschwestern, die eine Arbeit taten, wovon die andern redeten, die ihre Verantwortung ernst nahmen, ohne deswegen ein Aufheben zu machen. Er ließ sich von solcher Menschlichkeit anstoßen, die aus der Armut geboren wurde, die rein und deren Demut ergreifend war. Die Mutter konnte es nicht fassen, das ihr Mädchen die Kieselsteine des Hungers wegen geschluckt hatte.

      Mädchen mit Darmverschluss (Intestinale Obstruktion)

      Ein dreijähriges Mädchen erbrach seit drei Tagen und entleerte seitdem keinen Stuhl. Die Diagnose lautete: Intestinale Obstruction (Darmverschluss). Das Mädchen lag in Narkose. Durch die entspannte Bauchdecke war eine dicke Walze rechts unterhalb des Nabels zu tasten. Der Tastbefund entsprach dem Röntgenbild der Abdomenübersicht. Dr. Ferdinand legte den Mittelschnitt mit Linksumschneidung des Nabels und fand nach Öffnung der Bauchhöhle die Diagnose der Darmeinstülpung (Intussuszeption) bestätigt. Es war eine doppelte Einstülpung, wo die oberen Schlingen des Ileums in die unteren Schlingen und beide zusammen in den aufsteigenden Dickdarm eingestülpt waren.

      Die Walze reichte bis zur rechten Kolonflexur. Die Manipulation der Darmbefreiung war mühsam. Es kam zu blutenden Einrissen der äußeren Darmwand, die vernäht wurden. Der letzte Teil der zweifach verstülpten Schlingen, die von der rechten Dickdarmflexur heruntergeholt wurden, waren durch die lange Blutdrosselung schwarzviolett. Da schloss sich dem Rausziehmanöver die Darmresektion an, wobei der aufsteigende Dickdarm bis zur Hälfte mit seinem Blindsack und dem anhängenden Wurmfortsatz entfernt und das Ende der durchbluteten Dünndarmschlinge durch zweischichtige Nähte an das offene Dickdarmende angeschlossen wurde. Für das kleine Mädchen war es eine große Operation.

      Junge mit großem Harnblasenstein

      Bei einem vierjährige Jungen hatte sich ein taubeneigroßer Stein im Harnblasenhals eingekeilt. Der Harnabfluss war stark behindert, dass sich der Urin in beiden Harnleitern und Nierenbecken staute. Die Harnleiter waren durch den Widerstand verdickt und geschlängelt. Dem Jungen wurde der Blasenstein operativ entfernt, wonach sich der Harnabfluss normalisierte. Von vier Kindern, die mit einem großen Harnblasenstein aufgenommen und operiert wurden, gab es ein Mädchen. Die Ursache der Steinbildung war die chronische Entzündung der Harnblase durch das Trinken von unsauberem Wasser. Klinisch fiel bei diesen Kindern die assoziierte Ausstülpung des Enddarmes auf, deren Ursache der Muskelkrampf (Hypermotilität) zur Entleerung von Harnblase und Enddarm über den gemeinsamen Reflexbogen war.

      Ein Kollege, der den operativen Eingriff verfolgte und Spezialist am Groote Schuur Hospital in Kapstadt war, sagte, dass hinter diesen Erkrankungen die Armut steckt.

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