Dietrich Novak

Du sollst nicht morden!


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zum Kuckuck, weil meine Frau sich den Fuß verstaucht hat. Es war ihr zu langweilig, im Hotelzimmer liegen zu müssen, deshalb wollte sie nach Hause«, antwortete Schütterer schon etwas ruhiger geworden.

      »Und wie kommen Sie an die Zeitungen? Hat man Ihnen die zugeschickt?«

      »Ach was, reiner Zufall. Auch wir waren in Italien, wenn auch in einer ganz anderen Gegend, aber dort gab es eben auch deutschsprachige Presse. Und ich glaubte, meinen Augen nicht trauen zu können …«

      Hinnerk fiel auf, dass Schütterer in einem Satz dreimal auch untergebracht hatte, ein Zeichen dafür, dass ihm die Auseinandersetzung zu schaffen machte.

      »Nicht wieder aufregen, Chef. Denken Sie an Ihr Herz.«

      »Ach, zum Donnerwetter, ich rege mich auf, wenn es mir passt. Jedenfalls werden Sie vorerst keine neuen Fälle bekommen. Darum können sich die Kollegen aus den anderen Abteilungen kümmern. Strafe muss sein. Auch gibt es genügend unaufgeklärte Fälle, an die Sie sich erneut ranmachen können. Und das gilt für Sie beide. So, Ende der Durchsage! Einen schönen Tag noch!«

      »Ihnen auch.« Hinnerk beeilte sich, aus dem Büro zu kommen, bevor es sich Schütterer anders überlegte.

      »Moment noch«, hielt ihn sein Chef an der Tür auf. »Das mit der Voss kann ich sogar verstehen. Sie ist ja ein verdammt hübsches Weibsbild. Und wenn man auf freche Klappe steht … aber sehen Sie zu, dass es hier im Haus nicht allzu sehr die Runde macht. Es wird schon genug gequatscht. Was anderes ist es natürlich, wenn Sie in Erwägung ziehen, die Beziehung zu legalisieren …«

      »Ich ziehe beziehungsweise ich erwäge, aber leider gehören zwei dazu.«

      Zurück in ihrem Büro setzte Hinnerk eine strenge Miene auf. »Wenn du den Alten derart provozierst, ereichst du das Gegenteil«, sagte er zu Valerie.

      »Wenigstens krieche ich nicht unter dem Teppich …«, antwortete sie.

      »Womit sich die Frage erübrigt, wie das Gespräch verlaufen ist«, meinte Lars.

      »Beschissen, damit du’s weißt, wir sind dazu verdonnert worden, die ungelösten Fälle zu bearbeiten. Neu hereinkommende gehen an die anderen Abteilungen.«

      »Na toll, das heißt, wir werden die nächste Zeit nicht aus diesen ach so gemütlichen vier Wänden herauskommen …«

      »Quatsch keinen Unsinn, Lars, davon, dass die Akten gewälzt werden, lassen sich die Fälle auch nicht lösen. Da heißt es ganz neu ermitteln, und das tut man gewöhnlich draußen«, mischte sich Schmidtchen ein. »Außerdem wird sich Schütterer die Sache noch mal überlegen, wenn die Mordlust in Berlin wieder ansteigt.«

      »Bravo, ein Glück, dass wir in unserer Abteilung auch Frauen haben«, grinste Valerie. »Und noch dazu so kluge wie dich Schmidtchen.«

      »Komm, Lars, hier ist unser Typ momentan nicht gefragt. Lass uns in die Kantine gehen«, sagte Hinnerk.

      »Ohne uns?«, rief Valerie, »kommt gar nicht in die Tüte. Die Akten können warten.«

      Mehmet kam an seinem Lieblings-Shisha-Café vorbei. Draußen saßen in gemütlichen Korbsesseln männliche Jugendliche mit hauptsächlich türkischem und arabischem Migrationshintergrund. Einige von ihnen taten das, was sie unter „Chillen“ verstanden, selbstvergessen am Plastikschlauch einer Shisha Wasserpfeife zu ziehen, dabei das blubbernde Wasser im verzierten Glasgefäß zu beobachten und anschließend den Rauch des Orangen-Minz-Tabak-gemischs auszublasen. Die meisten unterschieden sich vom Aussehen her kaum von Mehmet. Bei einigen war der Oberkörper lediglich etwas durchtrainierter, der Bart kunstvoll rasiert oder der Kopf gänzlich kahlgeschoren.

      »Ey Alter, was geht?«, fragte der Wortführer der kleinen Gruppe, den alle nur Boss nannten. »Komm, setz dich zu uns, Bruder.«

      Bevor es dazu kam, musste Mehmet erst alle umarmen und die aus seiner weitläufigen Verwandtschaft mit Wangenküssen begrüßen. Anders als manch andere Jugendliche beschäftigten sich Mehmets Kumpel weniger mit Computerspielen, Dart und SMS schreiben. Sie interessierten sich für Philosophen und deren Lehren, und ihr Handy nutzten sie für das Speichern der Suren des Koran oder lernten sie auswendig.

      Wenn ihnen Platon oder Kant keinen Gesprächsstoff lieferten, dann waren es die Reden des Hauptpredigers der deutschen Islamisten, oder der Dschihad, auch „Heiliger Krieg“ genannt, der gelegentlich sogar den deutschen Verfassungsschutz beschäftigte. Dabei bedeutete der Begriff Dschihad eigentlich nur Bemühung, Einsatz, Anstrengung, Kampf auf dem Wege Gottes. Deshalb wehrten sich muslimische Autoren dagegen, dass Dschihad als Heiliger Krieg oder Kriegsführung bezeichnet wurde. Derlei Übersetzungen sahen sie als falsch an und lehnten sie ab, da es auch die nichtmilitärische Bedeutungen des Dschihad-Begriffs gebe. Dennoch war nicht wegzudiskutieren, dass es Gruppierungen gab, die sich „Deutsche Soldaten“ nannten, als die radikalsten Köpfe einer Jugendbewegung in Deutschland galten und sich den Dschihad auf ihre Fahnen schrieben.

      In diesem Sinne waren auch sogenannte Fänger unterwegs, die ihre leichte Beute unter jungen, in deutschen Städten geborenen und dort aufgewachsenen Einwandererkindern fanden. Traditionell islamisch erzogen, „bastelten“ sich diese Kinder ihren eigenen Islam zurecht. Vom Hauptsprecher als „Weihnachtsmann-Muslime“ bezeichnet, feierten sie ungeniert die Wochenenden durch, wohl wissend, dass Alkohol und Sex vor der Ehe für Muslime Sünde ist. Das Schweinefleischverbot für Muslime umgingen sie, indem sie „nur mal probierten“, und meilenweit nach Aftershave oder Eau de Toilette dufteten, obwohl in allen Alkohol enthalten ist.

      Trotzdem war Dschahilija, also Unwissenheit, das Schreckgespenst für „den Boss“, Mehmet und wie sie alle hießen. Sie wollten sich von den Deutschen unterscheiden, die in ihren Augen nur rumphilosophierten, aber kein religiöses Fundament besaßen. Untereinander bezeichneten sie sich als „Achi“, was so viel wie mein Bruder hieß, und die Lieblingsvokabel der Jugend von heute „geil“ hatten sie durch „Maschallah“, etwa Gott schütze es ersetzt. Deshalb befürworteten sie auch die kostenlose deutschsprachige Koran-Verteilaktion in Fußgängerzonen wie der Wilmersdorfer Straße unter dem Motto „Lies“ von radikalislamischen Salafisten durchgeführt.

      Mehmet pustete gerade seinen viel zu heißen Tee kühler, als er auf der anderen Straßenseite sein Objekt der Begierde, die schöne Blonde, vorübergehen sah. Sie trug einen viel zu kurzen Rock und war für seine Begriffe zu stark geschminkt, aber dennoch konnte er sich nicht satt sehen, wie sie hüftenwackelnd auf ihren High Heels daherschritt.

      »Gehst du heute noch trainieren, oder wollen wir uns nachher etwas im Ringen üben?«, fragte der Boss. Mehmet reagierte nicht. »Alter, ich rede mit dir …«

      »Was? Ach so, nein, ich muss gleich noch im Laden helfen. Ein andermal, ja?«

      Damit sprang er auf und verabschiedete sich hastig.

      »Wenn du die Nutte noch einholen willst, musst du dich beeilen«, rief ihm der Boss nach. »Aber denk dran, Allah kann das nicht gutheißen, wenn du dich mit so etwas abgibst.«

      Mehmet machte eine abwehrende Bewegung, um in sicherem Abstand auf die andere Straßenseite wechseln zu können. Nervös drehte er sich noch einmal um, ob die anderen etwas mitbekommen hatten, aber die waren schon wieder ins Gespräch vertieft und wurden größtenteils von Passanten verdeckt.

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