Ханс Фаллада

Dies Herz, das dir gehört


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      »Aber ich sage Ihnen, Herr Doktor …«

      »Reden Sie doch nicht! Natürlich, ich verstehe das: Sie wollen nicht krank daheim ankommen. Eine Mutter oder eine Braut steht am Kai, wie?«

      Der Arzt lächelt behaglich, stolz auf seinen Scharfblick.

      »Nun, ich werde sehen, was sich tun läßt. – Dacht ich’s doch: neununddreißg Grad Fieber, und damit laufen Sie schon tagelang herum, ich habe Sie doch beobachtet. Eine niedliche Grippe! Also, legen Sie sich, bis wir im Hafen sind, in Ihre Koje. Schlucken Sie gleich jetzt diese zwei Tabletten – ich sehe dann schon nach Ihnen. Daß Sie wenigstens im Hafen auf Ihren zwei Beinen stehen können. Nachher zu Haus werden Sie sich freilich gleich wieder hinlegen müssen. Haben Sie weit nach Haus?«

      »Nein, nein, gleich in Hamburg!« lügt er wieder.

      Er legt sich gehorsam ins Bett. Aber durch die Fieberträume geht eine neue Angst, die ihm der gute, ahnungslose Schiffsarzt in den Kopf gesetzt hat: seine Mutter könnte am Kai stehen! Und da sieht sie ihn dann vom Schiff kommen, fiebrig und verfallen: ein richtiger verlorener Sohn, der um Gnade, der um ein Bett fleht!

      Nur das nicht! Hundertmal sagt er sich in ruhigen Stunden, daß seine Mutter unmöglich bei allen Schiffen auf dem Kai warten kann. Wenn sie ihn überhaupt erwartet, steht sie bei den großen Dampfern, die erster Klasse fuhren. Sie hat ja noch keine Ahnung, wie verändert der Sohn heimkehrt! Und wenn es möglich ist, soll sie es nie erfahren. Er hat Zeit, er hat Geld, er kann sich erst erholen – sie hat so lange gewartet, es kann nun nicht mehr auf ein paar Tage ankommen! So geht er nicht zu ihr zurück.

      Und dann kehrt das Fieber wieder zurück, und die raschere Blutwelle, die sein Hirn durchflutet, trägt den Dampfer in den Hafen. Er hat sich hinter dem Schornstein versteckt, sein Köfferchen in der Hand, späht er nach dem Kai hinüber. Und richtig: da steht die Mutter, und kaum ist die Landungsbrücke hinübergeschoben, so kommt die Mutter schon an Bord! Ein Offizier geht neben ihr, ganz dicht an dem Schornstein kommen sie vorüber, der Offizier spricht: »Johannes Wiebe, ja, der ist an Bord. Gleich werden wir ihn haben!«

      Er späht nach dem Landungssteg, jetzt könnte er vielleicht ausreißen – aber am Ende des Steges steht sein Bruder Thomas mit einem Polizisten! Und die beiden flüstern heimlich miteinander!

      Er möchte förmlich in den Schornstein hineinkriechen, aber das hilft ihm nichts, gerade auf ihn zu kommt nun die Mutter mit dem Offizier. Der deutet mit dem Finger: »Der da ist Johannes Wiebe!«

      Und die Mutter sagt mit ganz hoher tadelnder Stimme: »Oh, Johannes, mir wird eben gesagt, du hast deine Tabletten nicht ordentlich genommen. Immer warst du so widersetzlich – du hast dich gar nicht geändert!«

      Und damit will sie ihm eine Tablette in den Mund stecken; aber es ist gar keine Tablette, es ist eine Schraubenmutter aus der Automobilfabrik. Er hat vergessen, sie aufzusetzen, und zur Strafe soll er sie jetzt verschlucken …

      Er wehrt sich krampfhaft, aber der Druck gegen seinen Mund wird immer stärker, und nun sagt plötzlich die Stimme des Schiffsarztes ganz ärgerlich: »Mein junger Freund, trinken Sie doch endlich, es wird Ihnen wirklich guttun!«

      Er schlägt die Augen auf, und da sitzt wirklich nur der Schiffsarzt an seinem Bett und will ihm ein Glas Orangensaft zu trinken geben. Der böse Traum ist zerstoben, er trinkt.

      Der Schiffsarzt macht ein ernstes Gesicht und sagt: »Sie machen mir rechte Sorgen, mein junger Freund! So kann ich Sie doch wirklich nicht an Land gehen lassen!«

      »Ach, Herr Doktor, bis morgen bin ich in Ordnung!«

      »Bis morgen? Sie haben wieder einen Tag verschlafen, junger Wiebe! In drei Stunden legen wir in Hamburg an. Kommen Sie, seien Sie vernünftig, lassen Sie mich für Sie einen Krankenwagen bestellen. Gehen Sie erst einmal ins Krankenhaus.«

      »Bitte, wirklich nicht, Herr Doktor!«

      Der Doktor denkt nach. »Ist es irgendetwas? Kommt jemand – oder wollen Sie jemanden nicht sehen?«

      »Ach, Herr Doktor, bitte nicht fragen. Ich verspreche Ihnen, ich lege mich in Hamburg sofort ins Bett.«

      »Sie versprechen mir das in die Hand?«

      »Das tu ich, Herr Doktor!«

      »Es ist sträflich von mir, aber ich sehe ja ein … Was Sie auch alles für Zeug im Traum geredet haben … Nun also, ich schicke Ihnen den Steward, daß er Ihnen ein bißchen hilft.«

      Und nun steht Johannes Wiebe an Deck. Er ist sehr schwach, aber sein Kopf ist wieder klar. Wie im Traum hält er sich versteckt. Er steht hinter einem Ventilator und sieht auf all die Gesichter am Kai. Er kann das eine Gesicht, das geliebte und gefürchtete Gesicht, nicht entdecken.

      Langsam leert sich das Deck, langsam wird das Gedränge um das Fallreep lichter. Johannes Wiebe hat jedes der dort noch wartenden Gesichter dreimal angesehen: er kann ohne Angst vom Schiff gehen.

      Er tut es, langsam, mit weichen Knien. Er ist so schwach, daß er sich von einem Träger sein leichtes Köfferchen abnehmen läßt.

      »Sonst nichts – Herr?«

      »Sonst nichts. Aber setzen Sie mich schnell in ein Auto.«

      Er steigt mühsam in den Wagen, er läßt sich in das erstbeste Hotel fahren. Eine halbe Stunde später liegt er wieder in einem Bett, erschöpft, aber mit klarem Kopf.

      Dies war die Heimkehr des verlorenen Sohnes – aber dem Arzte hat er doch wenigstens Wort gehalten!

HAUPTSTÜCK Dies Herz, das dir gehört ERSTER TEIL Zwei Menschen lernen sich kennen

      7

      Der Bruder

      Fast zwei Tage hat es Johannes Wiebe im Bett seines Hamburger Hotels ausgehalten, dann trieb ihn plötzlich die Unrast hoch! O Gott, er war ja wieder in der Heimat, nur sechs, acht Stunden von Berlin und der Mutter entfernt, und er lag tatenlos im Bett!

      Es ist schon dunkel, im feuchten Asphalt vor seinem Fenster spiegeln sich viele Lichter. Aber das kann ihn nicht mehr halten! In einer Stunde ist er reisefertig, bezahlt seine Rechnung: »Geht noch ein Schnellzug nach Berlin?«

      »Jawohl, mein Herr, in einer halben Stunde. Kurz vor Mitternacht sind Sie in Berlin.«

      Er geht das kurze Stück bis zum Bahnhof. Diese zwei Tage Ruhe haben ihm gutgetan. Ein leises Schwächegefühl noch in den Beinen, eine seltsame Leere im ganzen Körper, als sei er sehr leicht geworden – das ist alles!

      Er steigt in den Zug, setzt sich in eine Ecke – und kaum sitzt er, schläft er schon wieder ein.

      Der Heimkehrer hat, ohne es zu wissen, wie drüben seine Fahrkarte hinter das Hutband gesteckt, und der Schaffner dieses Zuges ist Ausländerverkehr gewöhnt – so kann Johannes Wiebe ungestört schlafen, bis ihn ein freundlicher Mitfahrer anstößt: »Wir sind gleich in Berlin, mein Herr!«

      »In Berlin!«

      Er springt auf, nimmt sein Köfferchen, läuft den Gang entlang, ganz nach vorn. Noch immer fährt der Zug, er kann es nicht abwarten. Jetzt, aus dem tiefen Traum, aus den weichen Genesungstagen heraus, gibt es nur noch einen Gedanken für ihn: nach Haus! Alle Überlegungen, alle Grübeleien sind zerstoben. Der Heimkehrer will nach Haus!

      Als erster drängt er sich durch die Schranken – jetzt beunruhigt ihn kein Gedanke, daß die Mutter ihn hier erwarten könnte. Als erster erwischt er eine Taxe: »Nach Berlin-Charlottenburg – Meisenstraße. Halten Sie hinten bei der Metallwarenfabrik Wiebe!«

      Was ist es, das ihn abhält, direkt bei der mütterlichen Villa vorfahren zu lassen? Ist es die späte Stunde? Will er die Mutter nicht aus dem ersten Schlaf stören? Oder ist doch noch ein Rest von Vorsicht, von Angst in ihm sitzengeblieben?

      Er weiß es nicht, er hat es so hingesagt, ohne viel nachzudenken.

      Und nun steht er an dem Hintertürchen der Fabrik. Natürlich hat er keinen Schlüssel, natürlich weiß er, daß