Vater, der mich trotz meiner Mißgestalt damals schon lieben gelernt hatte, muß solches oft schon selber gedacht haben. Betrübt schritt er, ohne ein Gegenwort, mit mir auf der Hucke die Gasse entlang, überlegend, was mit mir wohl zu tun sei. Denn mich in den wilden Wald mitzunehmen, war wegen meines zarten Alters und wegen meiner Kränklichkeit nicht rätlich; für das geringe Kostgeld aber, das er aufbringen konnte, hätte mich kein ehrbares Mensch zu sich genommen, sondern höchstens wieder solche Saufgurgel und Giftnudel wie die Schmorbarten.
Über seinem Sinnen und Grübeln fiel meinem Vater plötzlich ein Klausner ein, von dessen ausnehmender Frömmigkeit und wunderbarer Heilkraft sich die Leute in Schalkemaren zu jener Zeit mancherlei Erstaunliches erzählten. Gleich wurde meinem Vater leichter zumute und rascher schritt er aus. Er bildete sich nämlich in seinem waldkrienenen Unverstande ein, der fromme Klausner brauche nur einen Segensspruch über mich zu sprechen und gleich werde mir der Buckel in die Schenkel rutschen, die’s freilich grausam nötig hatten, denn sie waren nicht dicker als die Haselgerten, mit denen die Magister die Buben streichen. Auf der anderen Seite machte es ihm aber schon jetzt gewaltigen Kummer, was dem frommen Manne als Gegengeschenk für meine Heilung zu verehren sei. Denn das wußte er von Mönchen, Pfarrern, Domherren, Prälaten, Nonnen, Laienbrüdern, Äbten und Äbtissinnen, und wie das geistliche Volk alles heißt, daß der einfache Mann den Himmelswagen um so eifriger schmieren muß, je größer seine Not ist. Er tröstete sich aber schließlich mit dem Gedanken, daß der Klausner, sei die Heilung erst einmal geglückt, auch drei oder seien es gar zehn Kiepen Kien in seiner kalten Felsenhöhle gar wohl würde gebrauchen können.
Das war ein gar fröhliches Wandern durch die Sonne und den sommerlich grünen Wald! Hin zu den felsigen Bergen, in denen der Klausner hauste, gingen wir Schritt um Schritt, und mein Vater hat mir nachmals berichtet, daß ich auf jenem Wege zum ersten Male recht narrenhaft auf der Kiepe getanzt und gelacht habe, während bis dahin nur ein jämmerliches Greinen mein einziger Lebenslaut gewesen sei. War es doch auch das erste Mal, daß ich recht hinauskam in Sonne und frische Luft, während ich bis dahin immer in finstern Kammern hatte liegen müssen und höchstens einmal, auf einem Arme hockend, durch die riechenden Gassenschluchten getragen worden war! Da kann sich wohl ein Kindlein freuen, und ist es ein Buckel, freut es sich zweifach! Denn keiner ist so begierig nach Lachen wie ein Ast, der immer nur verlacht wird.
Als die Mittagsstunde da war, stieß mein Vater gerade recht auf einen Ziegenjungen. Dem gab er einen Messingknopf von seiner Joppe und durfte dafür an der besten Ziege lutschen, soviel er mochte. Die Milch küßte er mir in den Mund und dazu gab er mir Brot, das er schön vorgekäuet hatte – und ich soll so viel gegessen und getrunken haben, daß ich sofort danach in einen tiefen Schlaf verfiel und nicht eher wieder aufwachte, als bis mein Vater vor dem frommen Klausner stand.
Der war eher ein zierlicher Mann, in einer langen Kutten über den ganzen Leib weg, mit einem langen weißen Bart und seltsamlich jungen Augen rechts und links von einer fast zierlichen Nas. Meinem Vater war recht absonderlich und wunderlich vor dem frommen Manne, als er ihm sein Anliegen vortrug; er meinte aber, es komme von der großen Frömmigkeit, die ihn verwirrt mache. Zudem war der Klausner noch recht barsch und harsch mit ihm und befahl ihm strenge, den Knaben, dem der Teufelssame schon von weitem anzuriechen sei, eiligst aus seiner frommen Klause zu tragen. Denn es bedürfe vieles Weihwassers, sie wieder nach so schlimmem Besuch zu reinigen, und es sei ihm eben knapp, denn der Papst schicke erst kommende Woche wieder etwas aus seiner Stadt Rom zu ihm.
Damit glaubte er, den groben Waldklotz abgefertigt zu haben; mein Vater aber, der alle Hoffnung auf ihn gesetzt hatte, legte sich auf ein recht herzbewegliches Bitten, wie ich doch ein arm unschuldig Kindlein und mir der Buckel nur gewachsen sei, weil mich meine liederliche Schlumpen von Mutter habe fallen lassen. Und um den Klausner ja recht zu rühren, nestelte er meine Kleider los, damit die blutigen Schrunden und Wunden sein Herz bewegen möchten – statt klingenden Silbergeldes. Als der Klausner mich aber da so nackt und bloß in meiner Mißgestalt sah, fuhr er erst recht auf mich zu, wies mit dem Finger und schrie: Da sehe man es ja, das Teufelsmal, und ich werde verflucht sein, in alle Ewigkeit verflucht!
Ich lag ganz still und wohl ausgeschlafen unter dieser Bedrohung, denn ich verstand sie nicht, wohl aber hatte ich ein wachsam Auge auf den langen weißen Bart des Klausners, denn solchen Bart hatte ich noch nie gesehen. Mein Vater trug wohl auch einen Bart, aber der war rötlich und nur kurz, weil ihn mein Vater, konnte er ihn um den Finger wickeln, sich auf dem Hackeklotz mit dem Beil abhackte – und die Schmorbarten hatte nur ein paar fliegende Haare am Kinn getragen.
Als nun der Klausner auf mich zufuhr und recht zornig das Teufelsmal zeigen wollte, kitzelte mich der lange weiße Bart am nackten Leibe, und ich faßte nach Kinderart lachend hinein. Der Klausner schrie auf und wollte sich frei machen. Aber das Schreien machte mir nur noch mehr Spaß, und ich zerrte derber. Da ging der halbe Bart aus dem Gesicht! Oho, da es so aussah, war mein Vater auch nicht faul, sondern half zerren, und hatte der Klausner erst dunkeltönig gebrummt, so schrie er jetzt helle wie ein Weib. Er war auch eines und kein anderes denn meine Mutter.
Ei, da ging ein feiner Tanz los, denn war mein Vater schon eines Zuckerzopfes halber grimmig gewesen, so kannte sein Zorn keine Grenzen, daß sie ihrem eigenen Kinde ein Teufelsmal hatte anreden wollen. Er hätte wohl auch, ganz wie vor einem Jahre, nicht nachgelassen mit Schlagen und Verfolgen, wäre ich nicht gewesen. So mußte er sich damit begnügen, ihr die lügnerische Kutte abzureißen und sie fortzujagen in die Welt hinaus, daß sie andere Leute anderswo narre. Was sie denn wohl auch getan hat, denn wir haben nie wieder etwas von ihr gehört und gesehen. Sie muß ein rechtes Schelmenweib gewesen sein, die Leute so listig mit einer Kutte zu betrügen, und was ich an Witz im Kopfe habe, danke ich ihr doch.
Ich danke ihr auch den angenehmsten Sommer, denn mein Vater trat ihre Verlassenschaft an und blieb statt ihrer in der Höhle wohnen. Was er da an Vorräten aus den milden Gaben Trostsuchender gefunden, muß nicht wenig gewesen sein, und immer noch flossen weitere Spenden von Leuten, die aus allen Gegenden kamen, Hilfe zu erbitten. Denen berichtete dann mein Vater, der Klausner sei ob seiner großen Frömmigkeit abgerufen worden zum Herrn Papst nach Rom, er werde aber nicht vergessen, ihm von ihrem Anliegen Bericht zu machen. Da gaben und gingen sie willig. Ich aber erstarkte bei der guten, reichlichen Kost im grünen Walde, meine Beinchen lernten mich zu tragen und meine Zunge einiges Lallen. Schließlich, im Herbst, als die Vorräte zur Neige gingen und auch die Besucher ganz ausblieben, setzte mich mein Vater wieder auf die Kiepe und wanderte mit mir zurück in die Stadt Schalkemaren, noch manchen dicken Silbertaler im Sack von frommen Almosen. So hat meine Mutter doch einmal trefflich für mich gesorgt – freilich ohne ihren Willen.
4
Wie der Kienmichel zum Totengräber wurde, aber nichts begrub
Nun wollte mein Vater nicht länger der arme Kienholzmann sein, sondern dachte fleißig darüber nach, wie er sein Geldlein nutzbringend anlegen könnte. Ein Handwerk konnte er nicht, mochte auch nicht immer in dunklen Werkstätten hocken, da doch bisher der ganze freie Wald um seine Arbeit gestanden. Darum kam’s ihm auch nicht in den Sinn, Wirt zu werden, so sehr ihn die runden Fäßchen und vollen Flaschen lockten. Zum Handelsmann taugte er wiederum nicht, denn er rechnete langsamer, als eine Schnecke kriecht; ein Gelehrter noch zu werden, dagegen sprachen mindestens fünf gute Gründe, aber der stärkste Gegengrund war sein stumpfer Kopf. Schließlich schlug ihm der Herr Pfarr vor, er möchte Totengräber werden, stellte ihm beweglich dar, was für eine schöne, stille Arbeit das sei, wie sie immerzu Geld einbringe, denn dem Totengräber standen für jedes Grab fünf gute Groschen zu, und ward noch das Totengeläut gewünscht, gar sieben.
Mein Vater bat sich Bedenkzeit aus, nahm mich auf den Arm, und wir gingen selbander auf den Friedhof. Da fing mein Vater an, die Gräber zu zählen, und war er eine Reihe entlang, vermehrte er sie mit fünf, was die Grabekosten waren, und war ein Vornehmer darunter, tat er sieben dazu, und er hatte noch nicht zehn Reihen durchgezählt, da schwirrte es ihm im Kopf von Zahlen, Gräbern, Groschen, Totengeläuten, daß er mich hinter einen Grabstein legte und fliegenden Fußes zum Herrn Pfarrer lief:
»Ich mag’s; Herr Pfarr! Ich mag’s!« Der Herr Pfarr ließ sich drei Silbertaler Sporteln zahlen – und er machte es nur so billig, weil mein Vater hoch und heilig schwor, er hätte nicht