Ole R. Börgdahl

Leiche an Bord


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Sassnitz an. Es waren noch gut elf Kilometer.

      Kriminaloberkommissar Kurt Bruckner hatte mich in den alten Sassnitzer Fährhafen bestellt. Ich gab jetzt doch noch einmal Gas und schaffte es in zehn Minuten. In der kleinen Stadt hatte ich mich schnell zurechtgefunden. Ich sollte mich an dem U-Boot-Museum orientieren. Direkt am Quai, gegenüber der H.M.S Otus gab es ein kleines Restaurant. Ich fand gleich einen Parkplatz, stieg aus und sah mich um. Ich musste kurz an das Café Brinckshafen denken. Im letzten August war ich es gewesen, der Bruckner eingeladen hatte. Diesmal wollte er sich revanchieren. Ich atmete noch einmal die Ostseeluft ein, da hörte ich Bruckner auch schon rufen. Ich drehte mich um. Das Restaurant hatte eine erhöhte Außenterrasse und das Wetter Anfang Mai ließ es zu, dass man draußen sitzen konnte. Bruckner dirigierte mich zum Eingang des Restaurants, der sich seitlich am Gebäude befand. Innen führte eine schmale Treppe hinauf, direkt auf die Terrasse. Die Tische hatten sich bereits geleert. Es war kurz nach eins, viele der Mittagsgäste verließen das Restaurant. Bruckner saß an einen Tisch ganz rechts außen mit direktem Blick auf das von einer Mole umgebene Hafenbecken.

      »Mr. Halls, interessieren Sie sich für U-Boote?«, fragte er mich sofort, gab mir zur Begrüßung die Hand und zog einen der Stühle vor.

      Wir setzten uns. Ich blickte zum Quai hinunter. »Ist das eines von Hitlers Wölfen?«

      »Wölfe?« Bruckner sah mich fragend an, dann hatte er aber verstanden. Er schüttelte den Kopf. »Nein, nein, das ist ein britisches Nachkriegs-U-Boot.«

      »Eigentlich interessiert mich so etwas nicht«, gestand ich. »Die Vorstellung, dass man mit so einem Boot hundert oder zweihundert Meter unter der Wasseroberfläche ist, behagt mir irgendwie nicht.«

      Bruckner lachte. »Keine Angst, die Otus taucht nicht mehr. Die Führung ist aber sehenswert, wenn man etwas für Technik übrighat.«

      »Technik ist schon in Ordnung, aber eben keine U-Boote.«

      Bruckner grinste. »Wenn Sie mal mit Ihrer Familie nach Sassnitz kommen, werden Ihre Jungs ganz bestimmt in die Otus wollen.«

      »Das befürchte ich auch und darum reicht es mir, wenn ich frühestens dann in die Stahlröhre muss.«

      »Lassen wir das Thema«, sagte Bruckner schließlich. »Ich habe heute Nachmittag ohnehin etwas Anderes mit Ihnen vor. Wie lange können Sie bleiben.«

      Ich sah auf meine Armbanduhr und überlegte. »Ich brauche eine Stunde nach Stralsund und von dort etwa drei Stunden zurück nach Hamburg. Also bis vier Uhr hätte ich schon Zeit.«

      »Ja, das passt, dann lohnt sich Ihr kleiner Ausflug doch«, sagte Bruckner euphorisch. »Aber jetzt lade ich Sie erst einmal zum Essen ein.«

      Bruckner hatte bereits zwei Speisekarten auf dem Tisch liegen und schob mir eine hinüber. Ich klappte den Deckel auf und blätterte unschlüssig durch die Seiten.

      Bruckner sah von seiner Karte auf. »Natürlich müssen Sie hier Fisch essen.« Er beugte sich über den Tisch und blätterte in meiner Karte. »Unbedingt empfehlen kann ich das Zanderfilet in der Kartoffelkruste oder gebratenen Aal.« Er tippte auf die Seite.

      »Was nehmen Sie?«

      »Natürlich den Aal«, antwortet Bruckner. »Das machen die hier ganz lecker, mit Kräuterbutter, Petersilienkartoffeln und einem anständigen Gurkensalat.«

      »Dann nehm’ ich den Aal.«

      Bruckner sah mich an und lächelte. Dann drehte er sich nach dem Ober um, der uns schon eine Zeitlang beobachtet hatte und jetzt schnellen Schrittes an unseren Tisch kam. Bruckner bestellte. Bei der Getränkewahl fragte er mich gar nicht mehr.

      »… und dazu zwei große Störtebeker alkoholfrei, bitte.«

      Der Ober nickte und ging.

      »Ein Bier muss es schon zum Aal sein«, meinte Bruckner. »Das ist Ihnen doch recht, oder wollten Sie ein Cola?«

      »Bier ist in Ordnung, ist ja alkoholfrei.«

      Die Getränke ließen nicht lange auf sich warten. Wir prosteten uns zu und nahmen beide einen tiefen Schluck. Zwei Minuten später kam auch schon das Essen.

      Bruckner grinste, als ich den Ober überrascht ansah. »Ich wusste, dass Sie den Aal nehmen würden. Ich habe bestellt, als Sie mit Ihrem schwarzen Kugelporsche gerade auf den Parkplatz gefahren sind.«

      »Und wenn ich den Zander genommen hätte?«

      »Dann hätte der Ober gesagt, Zander ist aus.« Bruckner sah zu dem Mann auf, der uns die Teller servierte. »Nicht wahr Hein?«

      Hein nickte. »Sie können aber gerne noch den Zander haben, wenn Ihnen diese Portion nicht reicht.«

      Ich sah auf den üppig gefüllten Teller und schüttelte den Kopf. »Ich liebe gebratenen Aal.«

      Der Ober mit dem schönen norddeutschen Namen lächelte und zog davon. Bruckner nahm Messer und Gabel in die Hand und gab den Startschuss. »Einen Guten …«

      Der Aal war wirklich ausgezeichnet. Wir aßen ein paar Minuten schweigend, bis Bruckner eine ausladende Handbewegung machte.

      »Gefällt mir ganz gut hier«, sagte er. »Meine Frau ist auch auf den Geschmack gekommen. Sie hat mich in der ersten Zeit nur am Wochenende besucht. Dann hat sie einen kleinen Laden aufgetan, eine Boutique, so ein Modegeschäft, und die suchten gerade eine Verkäuferin. Ist aber nur für halbtags.«

      »Ihre Frau ist Verkäuferin?«, fragte ich.

      »Nein, das eigentlich nicht. Sie mag halt diese kleinen Läden, wo man die Kunden von seinem eigenen Geschmack überzeugen kann.« Bruckner machte eine Pause und trank von seinem Bier. »Auf jeden Fall hat sie da jetzt eine Beschäftigung und ist die ganze Woche über mit mir in Sassnitz. Besser konnten wir es nicht arrangieren. So eine Wochenendbeziehung ist eben nichts für ein altes Ehepaar.«

      Ich nickte. »Warum haben Sie Ihre Frau nicht zum Essen mitgebracht? Ich glaube, ich hatte noch nicht das Vergnügen.«

      Bruckner lächelte. »Sie ist im Laden.« Er sah auf seine Uhr. »Das ist jetzt ihre Schicht, von zehn bis vier. Außerdem interessiert sie sich nicht so sehr für Kriminalistik.«

      Ich musste lächeln. Es war ganz klar, dass Bruckner mir von seiner Arbeit hier in Sassnitz berichten wollte. Schon gestern Abend am Telefon hatte er Andeutungen gemacht. Ich war immerhin sein Chefprofiler, sein großes Vorbild, wie er es gerne und besonders vor seinen Polizistenkollegen betonte. Ich nahm es gelassen, spießte noch ein Stück Aal auf meine Gabel und ließ es mir schmecken. Bruckner dagegen legte das Besteck zur Seite. Er räusperte sich.

      »Das Ganze steckt ja noch in den Kinderschuhen«, begann er. »Ich habe ein winziges Budget, aber man ist schon aufmerksam geworden. Es soll eine Kooperation zwischen mehreren Bundesländern werden. Hamburg ist da nicht unbedingt führend. Ich glaube, die Schwaben haben so einige Tillman Halls am Start, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben.«

      »Was heißt am Start?«, fragte ich sofort, obwohl ich es mir denken konnte.

      »Na ja, die Behörden kaufen sich Know-How ein«, erklärte Bruckner. »Früher waren das mehr so Wissenschaftstypen. Biologen mit Hang zu verwesten Leichen, Psychologen, die am Liebsten auch noch den Profiler in die Klapse gesteckt hätten, Sie verstehen.«

      »So in etwa. Das Thema ist mir nicht ganz fremd.«

      »Ja, ja, genau. Jedenfalls dieses Interdisziplinäre, so wie wir beide immer zusammengearbeitet haben, das ist jetzt erst richtig im Kommen. Man will die Strippenzieher, die Profiler, ans Haus binden, das sollen wieder richtige Polizisten sein. Das kostet natürlich Ausbildung und damit fängt man jetzt so langsam an.«

      »Das ist das Programm, von dem sie gesprochen haben«, unterbrach ich Bruckner.

      »Ganz genau, das Programm.« Bruckner nickte und widmete sich kurz wieder seinem halbgeleerten Teller. Er zerschnitt eine Kartoffel, ohne etwas zu essen.

      »Sie halten hier Seminare ab, wenn ich es richtig verstanden habe?«