Edgar Rice Burroughs

TARZANS RÜCKKEHR


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Und noch etwas anderes kommt hinzu. Hätte ich meine Ansprüche geltend gemacht, so hätte ich Miss Porter aller jener Annehmlichkeiten beraubt, die ihr durch die Heirat mit Clayton zufließen. Wie hätte ich das tun können, Paul? Lassen Sie mich weiter an Kala als meine Mutter glauben. Ihr verdanke ich, dass ich lebe, sie hat mich genährt und vor den Gefahren des Dschungels beschützt. Ihnen wäre sie als ein hässliches, wildes Dschungelgeschöpf erschienen, ich sehe in ihr das einzige Wesen, das mich je geliebt hat.«

      »Ich bewundere die Treue, die Sie ihr bewahren«, nickte d'Arnot, »aber eines Tages werden Sie Wert darauf legen, ganz als Mensch anerkannt zu werden. Vergessen Sie nicht, dass Professor Porter und Mr. Philander die einzigen Menschen auf der Welt sind, die beschwören können, dass das kleine in der Hütte gefundene Skelett von einem neugeborenen Affen stammte und nicht der Abkömmling Lord und Lady Greystokes war. Dieses Beweismittel ist von ausschlaggebender Bedeutung. Beide sind alte Männer, vielleicht haben sie nicht mehr lange zu leben. Und noch etwas anderes. Haben Sie nie daran gedacht, dass Miss Porter ihre Verlobung mit Clayton lösen könnte, wenn sie die volle Wahrheit erfährt? Es wäre ein Leichtes für Sie, Ihren Titel, Ihren Besitz und die Frau, die Sie lieben, zu erringen.«

      Tarzan schüttelte den Kopf. »Sie kennen sie nicht«, sagte er. »Jedes Missgeschick, das Clayton widerfährt, würde sie nur fester an ihn binden. Sie entstammt einer alten Familie aus den Südstaaten, für die Treue oberstes Gesetz ist.«

      Tarzan verbrachte die folgenden Tage damit, Paris kennenzulernen. Tagsüber besuchte er Bibliotheken und Kunstausstellungen, abends widmete er sich den Vergnügungen, die die Stadt an der Seines bot. Er begann zu rauchen und war kein Feind des Alkohols, er tat alles, was er die anderen jungen Männer seines Alters tun sah.

      Zumeist war er in Gesellschaft d'Arnots, zuweilen ging er auch allein aus. So auch an diesem Abend. Sein Heimweg führte ihn stets durch die einsame und dunkle Rue Maule, die in keinem guten Ruf stand. Als er sie zur Hälfte passiert hatte, hörte er plötzlich gellende Hilferufe aus dem dritten Stock eines Gebäudes. Die Schreie kamen aus dem Munde einer Frau. Bevor ihr Echo verklungen war, stürmte Tarzan die Treppen hinauf und eilte über einen halbdunklen Gang einer angelehnten Tür zu, hinter der er streitende Stimmen vernahm. Er riss die Tür auf und trat in den Raum. Eine Öllampe verbreitete trübes Licht, in dem er ein Dutzend Gestalten erkannte. Elf von ihnen waren Männer von finsterem Aussehen. Die zwölfte war eine Frau von etwa dreißig Jahren. Ihr Gesicht mochte früher hübsch gewesen sein, jetzt war es von Lastern zerfurcht. Sie stand an der hinteren Wand und hatte die Hände schützend erhoben.

      »Helfen Sie mir, Monsieur«, sagte sie leise, als Tarzan eintrat. »Sie wollen mich umbringen.«

      Tarzan wandte sich um und musterte die Männer, die keinen Versuch machten zu fliehen. Nur ein Mann versuchte den Raum heimlich zu verlassen, und in ihm erkannte Tarzan Nikolas Rokoff. Er hatte keine Zeit, sich über das Zusammentreffen Gedanken zu machen, denn eine riesige Gestalt schlich sich mit gezücktem Messer auf ihn zu. In der Sekunde darauf stürmten die Gestalten von allen Seiten auf ihn ein.

      Ein wildes Lächeln zog über Tarzans Züge, als er den Kampf aufnahm. Vergessen waren die Wochen und Monate, die er in der Zivilisation verbracht hatte, das Dschungeltier in ihm kam zum Durchbruch. Ein mächtiger Schlag auf die Kinnspitze streckte den Mann mit dem Messer zu Boden, Körper flogen durch die Luft und landeten krachend an den Wänden. Schmerzensschreie erfüllten den Raum. Die Frau hatte sich nicht von der Stelle gerührt, sie starrte mit weitaufgerissenen Augen auf das Drama, das sich vor ihr abspielte. Überraschung, dann Entsetzen malten sich in ihren Zügen, als sie beobachtete, wie einer der Männer nach dem anderen kampfunfähig zu Boden sank. Die letzten Gestalten flohen in panikartiger Stimmung und rissen Rokoff mit sich, der den Ausgang des Kampfes auf dem Gang abgewartet hatte. Als er seinen Plan gescheitert sah, lief er zum nächsten Telefon und meldete der Polizei, dass ein Mörder im dritten Stock des Hauses Rue Maule 27 sein Unwesen treibe.

      Minuten später trafen die Polizisten ein und fanden ein halbes Dutzend bewusstloser Gestalten am Boden. In der Mitte des Raumes stand ein elegant gekleideter junger Mann, der sie mit geballten Fäusten erwartete.

      »Was geht hier vor?«, fragte einer der Beamten.

      Tarzan erklärte es ihm, aber als er sich der Frau zuwandte, um seinen Bericht von ihr bestätigen zu lassen, schüttelte sie heftig den Kopf.

      »Er lügt!«, rief sie mit heiserer Stimme. »Er drang in mein Zimmer mit Gewalt ein und wollte mich überfallen, als ich allein war. Ich stieß ihn zurück, aber er hätte mich getötet, hätten meine Schreie nicht die Männer alarmiert, die mir zu Hilfe kamen. Er ist ein Teufel, Messieurs, er ist wie ein wildes Tier über meine Retter hergefallen. Nehmen Sie ihn fest, bevor er weiteres Unheil anrichtet.«

      Die Polizisten waren skeptisch, denn sie hatten sich schon öfter mit dieser Frau und ihren sogenannten Rettern beschäftigen müssen, aber da sie keine Richter waren, beschlossen sie, alle im Raum Anwesenden vorläufig festzunehmen.

      »Ich bin mir keiner Schuld bewusst«, sagte Tarzan ruhig. »Was ich tat, tat ich in Selbstverteidigung. Ich weiß nicht, warum diese Frau Ihnen Lügen auftischt. Sie kann nichts gegen mich haben, denn ich sah sie vor wenigen Minuten zum ersten Mal in meinem Leben.«

      »Das alles können Sie dem Richter erzählen«, sagte einer der Beamten und trat vor, um Tarzan die Hand auf die Schulter zu legen. In der nächsten Sekunde lag er stöhnend in der Ecke des Raumes, und als seine Kameraden sich auf Tarzan stürzten, erlebten sie die gleiche Überraschung wie die Burschen kurz zuvor. Tarzan setzte sie so schnell außer Gefecht, dass sie nicht einmal dazu kamen, ihre Revolver zu ziehen.

      Während des Kampfes hatte Tarzan durch das offene Fenster einen Baum erspäht, der vor dem Haus stand. Mit einem Satz war er auf dem Fenstersims und schwang sich hinaus. Ein Schuss dröhnte auf, als er im Blattwerk verschwand. Er warf einen Blick nach unten und sah den Polizisten, der vor dem Haus Posten bezogen hatte. Geschmeidig stieg er weiter empor, und ein mächtiger Satz brachte ihn auf das Dach des anliegenden Hauses. Von dort führte ihn der weitere Weg über andere Dächer, bis er durch eine offene Bodenluke hinabsteigen konnte und sich in einer stillen Seitenstraße wiederfand.

      Fünf Minuten später traf er Anstalten, einen hellerleuchteten Boulevard zu überqueren. Eine Limousine rollte langsam vorüber, und er hörte seinen Namen rufen. Er blickte auf und sah in die lachenden Augen Olga de Coudes, die im Rücksitz des großen Wagens lehnte. Mit einer Verbeugung erwiderte er ihren Gruß. Als er wieder aufblickte, war der Wagen verschwunden.

      »Welch seltsamer Zufall«, sagte Tarzan leise vor sich hin. »An einem Abend begegne ich der Gräfin de Coude und meinem Freund Rokoff. Paris scheint ein Dorf zu sein.«

      Am nächsten Morgen berichtete Tarzan seinem Freund, was sich zugetragen hatte. Bei der Schilderung des Kampfes lachte d'Arnot, aber dann schüttelte er bedenklich den Kopf.

      »Mein lieber Freund«, sagte er, »Sie werden sich daran gewöhnen müssen, dass wir in der zivilisierten Welt anderen Gesetzen als denen des Dschungels unterworfen sind.«

      »Im Dschungel werden die Gesetze von der Natur geschaffen«, erwiderte Tarzan heftig. »Im Dschungel tötet man, um zu leben. Ihre zivilisierten Menschen sind grausamer als die Bestien des Dschungels. Eine Frau, die ich nie gesehen habe, lockt mich in ihr Zimmer, um mich dort töten zu lassen. Etwas anderes kann es nicht gewesen sein; die Anwesenheit Rokoffs und ihre spätere Aussage gegenüber der Polizei sprechen dafür. Rokoff muss gewusst haben, dass ich oft die Rue Maule passiere, das Ganze geschah nach einem genau festgelegten Plan.«

      »Eh bien, ich hoffe, Sie haben daraus gelernt«, sagte d'Arnot. »Unter anderem, dass es ratsam ist, die übel beleumdete Rue Maule nach Einbruch der Dunkelheit zu meiden.«

      »Ganz im Gegenteil«, lächelte Tarzan. »Sie scheint mir die einzig interessante Straße von Paris. Ich werde nicht versäumen, sie so oft wie möglich aufzusuchen, denn sie hat mir das erste richtige Abenteuer beschert, seit ich Afrika verließ.«

      »Sie sind noch nicht fertig mit der Polizei«, warnte d'Arnot. »Ich kenne unsere Pariser Polizisten.