Erwin Guido Kolbenheyer

Das gottgelobte Herz


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Umbreit hat einen gefunden, der Joß Schorp und der Ott Gogel, des Herrenfischers Ältester, der ihnen allen über ist, auch dem Rüssel-Peter. Mit dem Schorp sind sie alle zum Probstbäcken gezogen, und der hat drei Seelenzöpf für den Heller gegeben. Die Zöpf haben sie verteilt. Der Schorp ist ein guter Kerl, und nur der Hertlin hat nicht mitgegessen, obwohl er mitgezogen war. Und alle haben sie vergessen, für die Arme Seel zu beten, den Heller aber haben sie verzehrt. Das hat die Margret dem Hertlin zu verstehen gegeben, und der ist mit ihr nach Sankt Ulrich zurück, weil er ein Barwich ist und des Ammanns Sohn, und er hat mit ihr drei Paternoster gebetet, um den Seelenheller zu entgelten.

      Die Uta stößt sie in die Seite, denn der Rüssel-Peter geht schon wieder den Mengenwart an. Der ist heute zu gut weggekommen, und er, der Rüssel-Peter, hat die Hiebe einstecken müssen. Aber der Mengenwart ist ein geschmeidiges Büeble, er huscht hinter die beiden Mädchen, der Rüssel-Peter will zwischendurch. Die beiden haben einander schnell an den Händen gefaßt und halten ihn auf. Das Margretlein blickt den Rüssel-Peter zutraulich an, daß der Bengel stutzt, und der Mengenwart entkommt über die Staffeln.

      „Loß gähn …" flüstert Margret.

      Die andern Buben stehen dicht dabei. In dem Rüssel-Peter steigen Zorn und Schande hoch, denn er ist von den beiden Zärteldocken um seinen Willen an dem Mengenwart geprellt worden.

      „Nunnaschliefle! Schinbarlichs, heilichs Gluetwörmle!“

      Er steckt seine Fäuste in die Hosentaschen, zieht die Schultern hoch und trollt sich durch die anderen, knurrend und murrend, und bleibt dann abseits stehen, mit der Fußspitze im nassen Rasen wühlend.

      Margarete wendet sich langsam zurück, sie sieht die anderen nicht mehr an, auch Uta, die Vetterin, nicht, sie schleicht davon. Der Rüssel-Peter weiß nicht, daß sie an diesem Morgen alle seine Hiebe gespürt hat, als seien sie an ihr geschehen.

      Auf dem kurzen Weg hinüber ins Ebnerhaus verschluckt sie das Weinen und wird wieder leicht und froh. Was vorbei ist, ist dahin, und es ist doch alles so gut geworden, wie es hat werden können. Der Rüssel-Peter unter den Streichen hat endlich geschrien und ist von dem Mengenwart abgestanden. Etliches Speiwerk über sie hinterdrein – aber das fühlt sie kaum mehr. Und auch die Vetterin ist still geworden und mitgezogen. Und jetzt kommt das Müesle, die Ann wird es gewärmt haben, und Hertlin, das kleine Männle daheim, wird wach sein und krähen.

      ***

      Der späte Herbst stand vor den Mauern warm auf, als solle das Jahr seine Kraft nicht legen. Zu Allerheiligen hatte es geschneit, aber die Brust war noch der letzten Sonnenwochen voll. Dem ersten Winteratem war kein Raum geblieben, er war vergessen. Das Pelzwerk hing wieder an der Stange. Sonnenwärme, leichte, laue Ostluft, und es ging auf den Christmond zu! Die Kupferkronen der Buchenwälder, laubrund und voll, leuchteten vor den Mauern der Stadt Werde in Mannesröte.

      Heinrich, der Ebner, spürte die Kraft der freudigen Farbe wie einen Blutzauber. Gewonnene Zeiten, geschenkte Wochen. Sie brachten ein, was der Fürstenhader verschleppt hat. Nur daß um Mittag eine Sonnenschräge die dunkle Porphyrplatte streifte, auf der Heinrich, der Ebner, rechnete; das wies die Späte des Jahres. Sonst glühten schon weißbeflockte Holzkohlen in dem Kalfakter neben ihm, wenn der Sonnenstrahl auf dem Rechentisch diese Jahreszeit wies.

      Die Stube hatte ein schmales, hohes Fenster auf den Markt hinaus, ein breites in den Stapelgaden des Hausinnern. In der Bogenspitze des Schmalfensters war eine Raute gefaßt, lauter, als wäre sie geschliffenes Bergkristall. Der Ebner hatte das Stück Glas in Venedig gekauft. Das übrige Fenster war blasig, trübe und grün. Die Mittagssonne spielte auf seinem Rechentisch durch die Raute die letzte Woche des Wintermonds in die ersten Tage des Christmonds hinüber. Der Ebner wärmte seine Hände an ihr; es konnte Vorkommen, wußte er sich allein, daß er die hohlen Hände aneinanderschloß und das Strahlenbündel wie ein Brunnenwasser auffing. Er rechnete sonst klug und kühl, auf seinem Wesensgrunde aber lag der Träumer, und der wußte das Späte und Seltene dieses Sonnengusses gerade deshalb zu genießen, weil ihn eine Raute aus Venedig einfing und über die Zahlen ausschüttete, die einen Teil seines Lebens bedeuteten. Denn er, der Ebner, hatte gewagt, sein Gold ungesiebt von Venedig und unbeschnitten, als sei Venedig solch ein gläsernes Nichts, von Mailand und weiterher aus dem Süden unmittelbar einzuholen.

      Der Ebner blinzelte zu der hellen Luke hinauf. Vor einem Dutzend oder fufzehn Jahren hatten ihn die Visdomini des Fondaco namens der hohen Signorie zu dreißig Pfund Silber und zwölf Solidi verknurrt, weil von ihm etliche Pfund Safran ungeschätzt ausgeführt worden waren. Der Ebner spie verächtlich zur Seite. Ein Gerenne und Geschiebe war das gewesen über die beiden Notare hin bis zu den Konsuln der Kaufmannschaft, und hatte einen Brocken gekostet, bis ihm der Hohe Rat gnädigst die Strafe erließ. Wo in aller Fremde war um diese Zeit ein Deutscher trüber gezwungen, enger gehalten, tiefer ausgesäckelt als zu Venedig im Fondaco der Deutschen! Dreißig Piccoli für die Nacht, daß einer in seiner Kammer und nicht, wie die meisten, auf dem stinkenden Gang oder unter dem Tor auf den Wollsäcken schlafe. Und jeder zur Stund auf dem Quartier! Sonst war das Tor gesperrt, und man hat hinter dem Gitter gelegen, wenn einen die Sbirren nachtschlafender Zeit außer Haus faßten. Zahlen, zahlen! Ein kleines spöttelndes Lachen hinter geschlossenen Lippen schütterte die behäbige Rundung des Ebner unter dem Steppwams. An der Rückwand der Stube, der Verwahrung wegen und auch um trockengehalten zu sein, reihten sich, Wandbord über Wandbord, fast vier Schock Pfundsäcklein Safran. Es duftete leicht nach dem köstlichen Gut, und es duftete nach Apulien, kam über Mailand her, frisch und unbenommen von den stinkenden Lagunen.

      Ein Seitenblick: es war der letzte der drei Wagen gewesen, der letzte auch dieses Jahres, nun blieben dem Jahr nur noch gezählte wächtenfreie, unvereiste Tage, in denen nichts Weiträumiges zu schaffen war; auch der Safranwagen war schon nicht mehr erwartet worden. Der alte Jockele mit seiner spürigen Schwabennase hatte ihn eingebracht, für alle Fälle nicht allzuschwer beladen, leicht auch, wenn man das teure und stattliche Geleit bedachte, das ihm die Rottleute mitgegeben hatten, aber gleichwohl des Gutes wert. Und das Gut hat runde Zahlen abgeworfen. Die deckten den glatten, dunklen Stein des Rechentisches, von dem der letzte Sonnenrest der venezianischen Uhr auf den Boden abglitt.

      Der Jockele war beschenkt und gerechtfertigt. Rechter Hand auf der Tischecke standen drei Säcklein. In der Eisentruhe mit dem Marmelschloß, wohin die drei kommen sollten, schimmerten Spulen Mailänder Goldfäden. Draußen auf der Stapeldiele, daß es die Dreds- und Schneezeit überruhen könne, lag das Südgut und wartete gegen Nürnberg und gegen Würzburg zu: Baumwolle, Papier, Kaninfelle, Rotholz, auch Spezereien in Säcken und Truhen. Aber das Beste verwahrte der Söller in lavendelduftenden Eichenladen: jene Stoffe, deren kostbare Namen Margretlein ausspielte, wenns Not tat, eine Üppigkeit in Zaum zu halten und eine gute Kapuze zu verteidigen. Auch dort Mailänder Seidenzeug, das dem venezianischen den Rang abzulaufen begann.

      Heinrich, der Ebner, hatte an diesem Morgen nicht ungern abgerechnet. Er ließ die drei Säcklein noch eine Weile stehen, überfuhr noch einmal die Zahlen und verglich sie in seinem geheimen Buch. Das Jahr stand wohl. Gewagtes war geraten, das Söhnlein war ins Haus geboren, und das Haus lag voll Guts. Werde, die Stadt, war ungesengt und ungeschatzt geblieben. Hatte der deutsche König auch gezogen und gepreßt, das Ebnersche war um ein Vierteil seines Bestandes gemehrt, und es tat wohl, ein vorbedachtes Gemüt bei diesem Schlüsse zu erquicken, stärkend war es, den milden Zauber von all dem ruhenden Gute wie ein Behagen einzuziehen und also den eigenen Mann und Menschen in Sicherheit zu wissen – denn für diesen Tag nach Mittagszeit war, ratsverwandt und ehrbar, Hans, der Vetter von der Ilgen, schräg über den Markt und etliche Häuser niederwärts, angesagt. Ein Roß sollte besehen und gekauft werden, draußen auf dem Roßhof zu Scheffstall; er wolle sich das Stück selber wählen.

      Der Roßhof zu Scheffstall war ja nur der Kern. Die Waldung, das Hofland und etliche Seiden reichten hinunter bis an die Mertinger Vogtei, darauf jetzt der Reichspfleger saß. Und es ist dem jungen Vetter, dem Matthies, unverfänglich eingegeben worden, daß die Alheid ein Vierteil des Gutes Scheffstall zubringe. So kam es denn und schien ein erstes Zeichen, daß die Vettern von der Ilgen das gute Roß vor Winters brauchten, ob es gleich verständiger gewesen wäre, es zu besehen, wenn die Salzfuhren wieder frei wurden. Man sollte nur kommen und die Augen auftun! Scheffstall und Roßhof vertrugens, die Alheid