Erwin Guido Kolbenheyer

Das gottgelobte Herz


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Dann bleibt eine Wirrsal zurück, Margretlein erwacht völlig und sie schläft dann lange nicht ein. Der Kolter drückt sie, es wird ihr heiß, sie möchte nackend über eine tauige Wiese gehen und sich am Mondlicht kühlen.

      Weil mit den Glocken die Ostern auferstanden sind und alle Trauer hin ist, hat der Matthies seine Laute mitgebracht. Die lehnt wie ein vergessenes Versprechen in einem Winkel, er selber sitzt bei Tisch neben der Alheid und bedient sie. Mit spitzen Fingern hat er ein Stück Lammskeule heruntergeschnitten und ihr auf den Teller gelegt. Dann nimmt er sich selbst. Margretlein steht hinter der Mutter, sie bekommt von ihr und vom Vater zuweilen ein Stück in den Mund geschoben. Es wird nicht mehr lange dauern, dann kommt sie auch zu ihren Tagen und darf mit den Großen am Tisch sitzen. Man muß das erwarten können, als Klosterfrau gebührt ihr einmal der Ehrensitz neben dem Vater.

      Es gibt auch noch frischen Kressesalat und danach Brezeln in öl gekocht und dazu eingemachte Weichsein. Wunderbar, wie der Matthies die Kressekräutlein zu Mund geführt hat und wie er die Weichsein aufs Messer spießt und dann seine Hand vorhält, wenn er den Kern unter den Tisch spuckt! Man lernt, was fein ist, und es wird einem wohl dabei. So machen sie es in Besanfon, und es ist sehr höfisch. Der Vater sieht nicht gerne hin, sieht er aber, dann haut er desto kräftiger ein und achtet es nicht, wenn ihm das Kinn vom gelben Fett tropft. Er wischt sich einfach am Tischtuch und hebt seinen Becher: „Matthies, gsegnet!“ – Der Matthies hat die feiste Art mit einem spöttlichen Blick gestreift. Der Vater lacht herausfordernd, und der Matthies muß tüchtig Bescheid tun. Die Alheid, die auch alles merkt, lacht mit dem Vater und stößt den Matthies an, daß ihn der Wein anschwappt, und dann kommt der Matthies ins Lachen, und selbst die Agnes-Mutter tut mit.

      Margretlein weiß nicht recht, weshalb gelacht wird. Sie kennt das Spiel über Art und Form hinweg noch nicht.

      Es gibt zur Auferstehung noch eine gefüllte Omelette. Sie wird in einer großen irdenen Schüssel aufgetragen und in die Mitte gestellt. Vater und Mutter fassen mit den Löffeln von der Schüssel gleich in den Mund, denn die Omelette ist flaumig und von Butter und Eingemachtem umflossen. Der Matthies aber – er hat sich über die Schüssel geneigt und den Duft eingezogen, seine Fingerspitzen geküßt und dann mit der Zunge geschnalzt – schneidet für Alheid und sich aus der Brotrinde Löffel, denn er sagt, es dürfe kein Zinn daran, das schmecke übel aus der Salse. Er schöpft und streift mit der Rinde für sich und Alheid ein Stück samt Butterseim und Fruchtsaft auf einen Holzteller. Das kosten die beiden mit den Brotlöffeln aus. Die Alheid hat dem Matthies schon viel abgesehen, denn das burgundische Wesen steckt an.

      „Weis her“, meint der Vater.

      Der Matthies schneidet auch ihm eine Brotrinde zurecht, reicht ihm den Holzteller. Heinrich, der Ebner, gibt zu, daß Ei, Butter und Fruchtsaft besser vom Brot munden.

      Margret will die Laute bringen, aber die beiden Männer haben Wichtigeres vor. Im Keller liegen die Weinfässer für die hochzeitliche Lautmehrung: der Leutewein, der Gästewein und der Brautwein. Margarete darf nicht mit, die Frauen bleiben alle. Die beiden Männer haben bedeutende Mienen, sie nehmen nur noch ein Körbchen mit feinen Brotschnitten in den Keller, die Zunge bereit zu halten. Margarete hat sich auch die Weinnamen gemerkt, fast so köstlich wie die der Stoffe auf dem Söller: der Elsässer, der Bozener, dann der Rummeni, der süß sein soll und weit her kommt aus Napoli di Romana, der Muskateil, der Ratioler und Cyperwein. Eine Sorte hat verheimlicht werden müssen, da sie zu kostbar ist und gegen die neue Polizei, von diesem Wein weiß Margarete nicht einmal den Namen. Auch einen Claret haben sie gemacht. Margarete hat das Gewürz stoßen dürfen. Mit Honig ist das Pulver gemengt und in ein Leinensäcklein getan worden, das war lange in einem Faß von bestem Welschwein gehangen, der muß nun immer wieder geseiht werden, bis er klar wird, dann aber ist er wundertätig stark.

      Es dauert eine gute Weile, die Alheid gähnt und auch die Agnes-Mutter. Ob es noch zum Lautenspiel kommen wird? Es ist längst Nackt.

      Heute brennen zwei Kerzen statt der einen, das wird des Matthies wegen sein. Die Alheid sitzt bei der einen und stickt.

      Mit roten Köpfen kommen sie wieder, der Vater ist schwer, er hat einen unsicheren Schritt, und der Matthies wippt bei jedem Schritt, als wolle er tanzen.

      „Gang, Gretle“, winkt ihr der Vater.

      Sie soll schlafen gehen und hat auf den Matthies gewartet. Die Laute ist da, und er singt so schön. Schnell holt sie die Laute aus der Ecke und reicht sie ihm. Aber der Vater will nicht, daß sie bleibe. Im Weine hat er den härtesten Willen.

      „Gang!“

      Sie muß verschwinden. Es ist stockfinster auf dem Söller. Sie könnte ungesehen warten und hören, und dann, dann gleich in die Bettlade.

      Der Matthies hat verstanden, daß es auch für ihn Zeit geworden sei, allein er ist vom Weine befeuert und hat ihr die Laute abgenommen. Da sie knicksend ging, hat er sie höfisch gegrüßt, als sei sie schon erwachsen, und dabei sanft über die Saiten gestrichen. Sie darf also noch ein wenig warten und hören, draußen, versteckt, weil er so freundlich gewesen ist. Sie tastet sich unter die Stiege, dort hockt sie nieder. Im Zimmer lachen und reden sie laut. Endlich klingt es weich aushallend unter seinen festen Griffen. Sie war schon auf dem Sprung hinaufzugehen, jetzt kann sie nicht mehr.

      „Ach Gott, daß ich sie meiden muoß,

      Die ich zu Fröiden hab erkorn!

      Das tuet mir wahrlichen weh.

      Müget mir noch werden ein fründlicher Grueß,

      Des ich han alsolang entbohrn,

      Als wär mir wohl und süfzet ich niemeh.“

      Es folgt eine Reihe perlender Akkorde. Da kann man hören, wie gut der Matthies seine Laute schlägt. Er beginnt wieder, und sehr beweglich. Die Stimme zittert ihm. Dem Margretlein kommen fast die Tränen.

      „Noch ist mir einer Klage not Von der liebesten Frouen min,

      Daß ihr zartes Mondelin rot Kunnt mir ungenädig sin.

      Sie müg mich ze Grund verderben,

      Untrost well sie an mich erben.“

      Sie lachten, indes Margret aus Mitleid mit dem armen Matthies ihr Herz mit beiden Händen preßt und leise aufschluchzt, so schwer liegt ihr seine bebende Stimme an. Sie kann das rauhe Lachen nicht fassen. Aber vielleicht singt er noch eine tröstlichere Weise. Sie faltet die Hände, wartet geduldig und drückt sich fester an die Wand, sie muß ganz krumm sitzen, aber es ist in der Finsternis gut, wenn man eine Wand fühlt.

      Nach einer Weile, sie haben in der Stube laut durcheinander geredet, geht die Tür. Margret duckt sich, so tief sie kann. Keiner darf sie gewahren. Alheid ist es mit dem Lichte, der Matthies folgt ihr. Die Alheid geht voran und hält das Licht hoch. Inmitten der Stiegen, die schmal an der Wand hängt, umschlingt der Matthies die Alheid vom Rücken her und preßt sie an sich. Er steht eine Stufe höher, seine Hände fassen das dünne Linnenbrüstlein, das sich aus dem Mieder vorbauscht, und es ist erst auf diesen Morgen gestärkt und gefältet worden. Er hat durchaus keine Acht darauf, und die Alheid auch nicht, sie neigt das Gesicht an seine Brust zurück, und sie küssen einander, als müßten sie eins des anderen Hauch austrinken. Ein Wunder, daß ihr das Licht nicht aus dem Leuchter fällt. Sie hält die Hand weit vorgestreckt, und das Licht tropft schändlich auf die Stufen. Die Wachsklecker werden zu finden sein.

      Margret hört des Matthies Stimme, und es ist, als sei er gelaufen und er hätte keinen Atem mehr: „Alheid … loß mich in … loß mich in uf diese Nacht …“

      „Es währt nit meh dann vierzehen Täg, Matthies …“ flüstert die Alheid.

      „Loß mich in … du sollt mirs nit meh Vorbehalten … min Trudle, min süeß … ich will hübschlich inschlaufen, sull niemen ein’ Murks hörn und in kein Weis … Trudle min …“

      „Gang, Matthies, Lieber, Matz min … es möcht mir das Herz usse dem Hals brechin umb dinetwillen! Bis getrost … vierzehen Täg sänt bald hin … so ist alls din … min Friedei.“

      Es ist ein Leidwesen unter Seufzen, Kosen und