Erwin Guido Kolbenheyer

Das gottgelobte Herz


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aufgegeben hätten und donauaufwärts zögen nach Hochstätt her. Es war des Türmers Amt, er warnte und weckte seine Stadt.

      Heinrich, der Ebner, war einer der ersten aus den warmen Laken, er war auch, herzklopfend, kurzatmig, der erste auf dem Turm. Er spürte, daß es Werde sei. Mit seiner verschwalchten Hornlaterne fand er dann, als er gesehen hatte, nicht rasch genug die Holzstiege hinunter. Fluchen half nicht weiter, und er durfte Hals und Bein nicht aufs Spiel setzen. Es hieß, bei gutem Schwung zu bleiben. Lange war alles für diesen Augenblick bedacht. Da kamen sie ihm von unten entgegen, sie hatten Fackeln und brachten Licht. Er rief ihnen im Hinuntersetzen den Namen seiner Stadt zu. Dann über den Platz ins Scheppacher Haus, über den Hof in den Stall, den Jungen aus der Wolle geschüttelt. Sie konnten ihn nicht mehr halten, Besorgnis hin, Bereitwilligkeit her. Nur daß die beiden feisten Felleisen und zwei Pferde zurückblieben.

      Man gab ihm an Stelle des Helms einen Eisenhut, wie ihn Troßknechte trugen, und ein rostblindes Eisenhemd. Er hatte es gesagt, er wolle eindringen, sei’s mit dem stürmenden Feind. Sein Schwert behielt er, es war leicht, eine spanische Klinge. So kam er rasch in die Bügel, und der Junge führte die beste Laterne des Hauses an einem kurzen Stecken mit, um das Licht im Reiten über dem Boden zu halten.

      Der alte Konz Scheppach hatte sie dann noch selbst an das Tor gebracht, daß man es dem Ebner getrost auftue. Die Pferde waren anderthalb Wochen bis an den Bauch im Haferstroh gestanden, hatten längst nicht mehr hingeschnuppert, überständig und ausgefuttert. Vor dem lichten Tag konnten sie an der Wörnitzfurt ober den Bleichen sein. Ein Glück, daß es nicht mehr über die Donaubrücke galt, daß sie diesseits waren und blieben.

      Glück! Vor ihm der brandig angeleckte Himmel! Aber doch gut, daß er reiten konnte, daß es endlich in Schwung gekommen war. „Tüfelspest bi Liegen und Lauren! Vierzehn Täg. Huppla, Rusche, hüet dich! Hänsle, du verschlaufen Lur, heb’ die Luzern ab dem Arsch!“ Hänsle spreizte die Laterne und ließ sie, so tief es ging, über dem Boden schweben. Es war ein Weg, daß die Sprunggelenke knackten. Den Schimmel, den der Junge ritt, traf ein Gertenhieb über die Ruppe, daß er wie ein Bolzen abfuhr, und der Ebner setzte nach. Aber der Junge nahms nicht unlustig, er saß gut im Sattel, der beste Bereiter auf des Ebner Roßhof zu Scheffstall. Auch den verschlafenen Luren nahm er nicht krumm. Er wußte, daß er in allen seinen Beständen wacher war als der fluchende Ebner, der längst nicht so weich im Sattel saß, als er tat, graue Schläfen an der Glatze und schlaffe Säcke unter den Augen hatte.

      Die frisch beschlagenen Hufe spritzten Funken aus den Steinen und platschten den Dreck bis ins Gesicht der Reiter. Der Eisenhut des Ebner am Sattelknopf schlug Satz für Satz gegen den Schwertgriff, und die Scheide klackte gegen den Bügel. Donauweiden strichen nahe vorbei und verhuschten in der Nackt. Ein grobes Zaungeflecht rutschte neben dem Wegrain ab, dahinter für einen Augenblick, schief aufgemutzt, das Strohdach einer Sälde und wieder Weide, Hang, ein Äckerlein, größere Äcker, ein Baumgarten, Zaunlatten und das Eck einer Hofstatt, Kleibwerkmauern und ein überhängender Giebel, dann etliche Häuser tiefer im Schatten versteckt. Eine niedrige Mauer, dahinter ein Steinhaus.

      „Des Flaiminger Spät sin Hofraiten … Guet ist, Hänsle, wir hänt Gremhoim! Zuo! Rusche! Rusche! Zuo!“

      Vor ihnen stand die Röte höher, immer höher stand sie auf. Sie sahen über die Donau weg, die Donau zog einen weiten Bogen, dessen innere Lände sie ausreiten mußten.

      Wie war es vor etlichen Wochen zu dem hitzigen Handel gekommen. Heinrich, der Ebner, hatte durch den Andres Wernitzer aus Nürnberg Wind gekriegt, daß der römische König den Landvogt Dieteggen auf Werde spannen lasse und auf sonstiges konradinisches Erbgut. Und vor vierthalb Monat hatte ihm Luitfried, der Vetter, von Augsburg her durch einen Boten gesteckt, daß Herr Albrecht den Reichsfürsten und ihrem Sprecher nicht nur kein williges Ohr leihen, sondern ins Bairische fallen werde, um den Pfalzgrafen Rudolf für ein Ansinnen zu strafen, dessen Eingeber und Mund der Baier war: Fürstengericht über ihn selbst, den erwählten König.

      Da hatte der Ebner die Mittewalder Rückfuhre nicht länger abgewartet. Sie war überfällig, hatte sich aus der Frisinger Grafschaft nicht mehr ins Bairische getraut. Er hatte eigene Wagen beladen, sie mit eigenen Rossen bespannt und war unter dem schwachen Geleit, das überdies mit eigenen Leuten hatte aufgefüllt sein müssen, selbst nach Mittewald geritten. Die Fracht war längst ihre Zeit in Werde gelegen, und es stand neuer Zuzug bevor, wenn nicht der König dazwischen kam. Und obendrein: das meiste Gut war sein Eigentum, es sollte auf der Rottstraße nach Bozen hinein und weiter nach Mailand, ehe aller Zuzug von Schwaben und dem Rhein her auf Monate stockte. Säume, Ballen, Fässer mit Gewand, Barchent, Tuchen, Bursat, Camelin aus Aachen, Köln, Frankfurt, Löwen, England. In Truhen Buchskämme und Paternoster. Fässer voll Kupferdraht, Luchsfellen und Köpf’. Darunter versteckte Lädlein mit „Abenteuer“: Gold, Silber und Hefteln. In Ballen gebundenes Tafelmessing, darunter kleinere Lägel voll Haarbändern, Nadeln, Fingerhüten, und zierlich behefteten Messerchen. Es waren drei Wagen, ein gut Teil seines Vermögens. In Mittewald niedergelegt und dann von den Rottleuten Tirol einwärts verbracht, war es vor den Zugriffen so gut wie sicher. Denn es lebten freie Bauern in den Bergen, kaum eine Burg bestand im Land, und hinter Bozen brauchte man sich der bösen Zufälle nicht ängstlich zu versehen. In Mittewald aber wußte er den alten Hertwich, immer noch Richter und ein bewährter Freund. Der hatte ein Aug auf der Sach.

      Dann, in Mittewald, war die Fuhr gut an den Sifried Schwab gelangt. Er konnte nunmehr zurück mit den leichten Wagen und unbeträchtlicher Ladung. In Augsburg unsicher gemacht, stellte er das Gefährt aber doch für eine bessere Gelegenheit ein. Zweieinhalb Gespann waren dort schon auf dem Hinweg zu Verkauf besehen worden – der Roßhof zu Scheffstall war geschätzt, und die Gäule hatten durch den Weg nidtts eingebüßt – ein sicherer Handel.

      Das fahrende Gut war also gut bewahrt, aber das Liegende daheim stand in Not, das wußte er seit Augsburg. Er war zu spät aufgebrochen und konnte nicht mehr glauben, daß er heimfände, ohne die Donaubrücke zu umgehen. So ritt er denn, zwei Jungen und fünf Pferde bei sich, von der Reichsstraße quer über die Höhen zur Höchstätter Furt und konnte dann in Hochstätt bei den Scheppachern, ein weitschichtiges Vetterleswesen von seiner Mutter, der Binswangin, her, liegen und lauern, indes der alte, sauertöpfische Konz für Futter und Pflege sein freundschäftliches Anrecht auf künftige Gegenleistung Tag über Tag zu Wucher schlug. Den einen Jungen aber hatte er vorgeschickt, wußte nur nicht, ob er das Pferd glücklich auf den Roßhof und die Botschaft durch das Kaibachpförtl eingebracht hatte. Es war keine Gegenzeitung gekommen. So stand der überhitzte Handel bisher.

      Die beiden Reiter hielten schon eine Weile auf das Licht zu, das der Türmer in Donaumünster brannte. Die Kirche lag dem Ufer nahe, und das Häusergenist unter ihr schien still. König Albrecht hatte also den Plünderzug über Ingolstadt auf Werde gewiesen. Sie umritten die Münsterer Pfahlgräben. Die Donau vor ihnen war in vielgewundene Arme zerspreitet, und die Straße lief am Hangrande der Oberhölzer. Er wollte auf die Höhe über den Rüedlinger Huben und sehen, wie es stand. Dahin war noch eine Weile.

      Er versuchte sich abzulenken, rückwärts zu denken. Was kommen sollte, es wurde je näher, je bänger. Und an dem, was im Rücken der Reiter lag, wären Haken genug gewesen, flatternde Erinnerungsfetzen zu verfangen: Mailand, dorthin gehörte er von Rechts und Geschäfts wegen für etliche Wochen. Dann der gute alte Zorn auf Venedig! Er holte ihn nach und nach ein, denn er versuchte, einer der ersten, den stracken Weg nach Mailand, fand neuen Handel und Wandel und kochte der steuersüchtigen, hochnäsigen Lagunensignoria einen dicken Ärger ein, weil dem Ebner auch schon andere Kaufleute folgten – aber die Himmelsröte vor ihnen gewann es heftiger über ihn und immer lebendiger die Sorge um seine Hauswirtin, die er kindsschwer zurückgelassen hatte. Da schwieg all das andere.

      Sein Augenblicksplan – gewiß eines Ebner wert und freudig ausgedacht, hinterdrein auch ein Aufsehen, keine geringe Probe auch: versteckt unter dem Gerenne und gleichsam stürmender Hand in die eigene Stadt einbrechen zu wollen! Einbrechen. Er wußte, daß der König keinen Spott davontragen durfte, und Werde, die Stadt, war nicht fest genug. Die Brandrote – das war der Fall der Stadt! Konnten sich aber seine guten Mitbürger aussuchen, auf wen sie Steine und Bolzen niederließen? Ganz abgesehen davon, daß ihn keiner unter den Stürmenden erkennen durfte, überhaupt niemand, ehe er nicht