soweit ihm dies zur Zeit ratsam erscheinen würde. Für die dazwischenliegende Entfernung hatte er schon jeden Begriff verloren. Sydenham schien ihm gerade nur um die Ecke zu liegen.
Jetzt bereiteten zwei hübsche junge Mädchen Tee auf einem fahrbaren Tischchen zwischen den Rhododendren und reichten ihn herum. Tee! Wir hätten ihn als chinesischen Tee bezeichnet, er war sehr wohlschmeckend und wurde in kleinen henkellosen Schalen nach chinesischer Art serviert, ja es war wirklicher und sehr erfrischender Tee.
Die Neugierde der Erdlinge drehte sich zunächst um die Regierungsform; das war in Gegenwart zweier solcher Staatsmänner, wie Mr. Burleigh und Mr. Catskill, vielleicht selbstverständlich.
»Was für eine Regierungsform haben Sie«, fragte Mr. Burleigh, »Monarchie, Autokratie oder reine Demokratie? Trennen Sie die Exekutive von der Legislative? Und gibt es eine Zentralregierung für Ihren ganzen Planeten, oder gibt es verschiedene Regierungszentren?«
Mit einiger Mühe wurde es Mr. Burleigh und seinen Gefährten klargemacht, daß es in Utopia überhaupt keine Zentralregierung gebe.
Er zeigte dafür kein Verständnis. »Aber«, sagte Mr. Burleigh, »sicherlich gibt es doch irgend jemanden oder irgend etwas, einen Rat, ein Büro oder sonst etwas, irgendeine Stelle, der die letzte Entscheidung vorbehalten ist, wenn es sich um ein gemeinschaftliches Vorgehen im Interesse des Gemeinwohles handelt. Meiner Meinung nach muß es irgendeine letzte Instanz und ein Organ der Regierungsgewalt geben …«
Nein, die Utopen erklärten, daß es in ihrer Welt keine derartige Konzentration der Macht gebe. In der Vergangenheit habe es eine gegeben, aber schon seit langem habe sie sich im großen Körper der Allgemeinheit aufgelöst. Entscheidung über irgendwelche besondere Angelegenheiten würden von jenen getroffen, die am meisten von der Sache verstünden.
»Aber angenommen, es wäre eine Entscheidung, die allgemein befolgt werden muß, zum Beispiel ein Gesetz, welches die öffentliche Gesundheit betrifft? Wer würde es durchsetzen?«
»Warum sollte es durchgesetzt werden müssen? Es würde freiwillig befolgt werden.«
»Aber angenommen, jemand würde sich weigern, es zu befolgen?«
»Wir würden nachforschen, warum der oder die Betreffende nicht unserer Meinung ist. Er könnte irgendeinen besonderen Grund dafür haben.«
»Aber mangels eines solchen?«
»Wir würden ihn auf seinen geistigen und sittlichen Gesundheitszustand hin untersuchen.«
»Der Irrenarzt tritt an die Stelle des Polizisten?« sagte Mr. Burleigh.
»Ich zöge den Polizeimann vor«, sagte Mr. Rupert Catskill.
»Das würdest du, Rupert«, sagte Mr. Burleigh, als ob einer sagte ›jetzt habe ich dich ertappt!‹
»Dann wollen Sie also sagen«, fuhr er fort, und wandte sich mit einem besonders schlauen Gesichtsausdruck an die Utopen, »daß alle Ihre Angelegenheiten von besonderen Körperschaften oder Organisationen – ich weiß wirklich nicht recht, wie ich sie nennen soll – durchgeführt werden, ohne daß irgendeine Koordination ihrer Tätigkeit stattfindet?«
»Die Aktivitäten unserer Welt«, sagte Urthred, »sind alle so aufeinander abgestimmt, daß sie die allgemeine Freiheit sichern. Wir besitzen eine Anzahl von Intellektuellen, die sich mit der Psychologie der Menschheit und der Wechselwirkung kollektiver Funktionen befassen.«
»Gut, stellt nicht diese Gruppe von Intellektuellen eine herrschende Klasse dar?« fragte Mr. Burleigh.
»Nicht in dem Sinne, daß sie irgendeinen eigenmächtigen Willen ausüben«, sagte Urthred. »Sie befassen sich mit den allgemeinen Verhältnissen, das ist alles. Aber sie nehmen keinen höheren Rang ein, sie haben deswegen keine größeren Vorrechte, als sie ein Philosoph einem gelehrten Spezialisten gegenüber hat.«
»Das nenne ich eine Republik!« sagte Mr. Burleigh. »Aber wie sie funktioniert und wie es dazu kam, kann ich mir nicht vorstellen. Ihr Staat ist wahrscheinlich in hohem Maße sozialistisch?«
»Ihr lebt noch immer in einer Welt, in der ungefähr alles Privateigentum ist, mit Ausnahme der Luft, der Landstraßen, der Meere und der Wildnis?«
»Jawohl«, sagte Mr. Catskill, »Eigentum – und umkämpftes!«
»Wir sind über diese Stufe hinaus. Wir haben gefunden, daß Privateigentum, außer in ganz persönlichen Dingen, für jeden letzten Endes eine Last war. Wir sind davon losgekommen. Ein Künstler oder ein Gelehrter verfügt über das ganze Material, das er benötigt, wir haben alle unsere Werkzeuge und Vorrichtungen und haben unsere eigenen Räumlichkeiten und Plätze, aber für Handel und Spekulation gibt es kein Eigentumsrecht. Dieses streitbare, unruhebringende Eigentum sind wir vollständig losgeworden. Aber wie wir es loswurden, das ist eine lange Geschichte. Es war keine Sache von wenigen Jahren. Die Übertreibung des Privateigentums war ein durchaus natürliches und notwendiges Stadium der menschlichen Entwicklung. Sie führte schließlich zu ungeheuerlichen Ergebnissen, aber nur durch diese ungeheuerlichen und katastrophalen Folgen erkannten die Menschen die notwendigen und natürlichen Grenzen des Privateigentums.«
Mr. Burleigh hatte eine Stellung eingenommen, wie er sie wahrscheinlich gewöhnt war. Er saß sehr tief im Sessel, die langen Beine übereinandergekreuzt und ausgestreckt, den Daumen und die Finger der einen Hand mit peinlicher Genauigkeit gegen die der anderen gelegt.
»Ich muß gestehen«, sagte er, »daß mich die besondere Form der Anarchie, die hier zu herrschen scheint, außerordentlich interessiert. Wenn ich Sie nicht ganz mißverstanden habe, so geht jeder als Diener des Staates seinen eigenen Geschäften nach. Ich nehme an, daß eine große Anzahl Leute – Sie müssen mich verbessern, wenn ich etwas Unrichtiges sage – mit der Erzeugung, der Verteilung und der Zubereitung von Nahrungsmitteln beschäftigt ist; diese Leute erforschen, vermute ich, die Bedürfnisse der Welt, sie befriedigen sie und sie haben ihre eigenen Regeln, nach denen sie handeln. Sie stellen Forschungen an, sie machen Experimente. Sie sind niemandem verpflichtet, niemand zwingt sie, stört oder hindert sie. (›Man spricht mit ihnen darüber‹, sagte Urthred mit feinem Lächeln.)
Und wieder andere erzeugen, bearbeiten und studieren Metalle für die ganze Bevölkerung und haben gleichfalls ihre eigenen Regeln. Andere wieder sorgen für die Wohnlichkeit Ihrer Welt, planen und errichten diese reizenden Wohnstätten, bestimmen, wer sie benutzen soll und wie sie benützt werden sollen. Andere widmen sich der reinen Wissenschaft. Andere experimentieren im Bereich der Empfindung und Vorstellungskraft und sind Künstler. Andere wieder lehren.«
»Diese sind sehr wichtig«, sagte Lychnis.
»Und sie alle tun es in Harmonie – und jeder an seinem Platz, ohne zentrale Gesetzgebung oder Exekutive. Ich will zugeben, daß mir dies alles bewundernswert erscheint – aber unmöglich. Nichts dergleichen wurde bis jetzt in der Welt, aus der wir kommen, auch nur vorgeschlagen.«
»Etwas Ähnliches wurde vor langer Zeit von den Gilden-Sozialisten vorgeschlagen«, sagte Mr. Barnstaple.
»Ach«, sagte Mr. Burleigh, »ich weiß sehr wenig über die Gilden-Sozialisten; wer war das? Erzählen Sie.«
Mr. Barnstaple lehnte dieses Ansinnen stillschweigend ab.
»Die Idee ist unseren jüngeren Leuten ziemlich gut bekannt«, sagte er. »Laski nennt es den pluralistischen Staat zum Unterschied von dem monistischen, in welchem die Herrschergewalt an einer Stelle konzentriert ist. Sogar die Chinesen kennen das System. Ein Pekinger Professor, S. C. Chang, hat eine Broschüre ›Professionalismus‹ geschrieben, ich habe sie erst vor einigen Wochen gelesen. Er sandte sie der Redaktion des Liberal. Er betont darin, wie unerwünscht und unnötig es für China sei, eine Phase demokratischer Politik nach westlichem Vorbild durchzumachen. Er wünscht, daß China geradewegs zu einer gleichberechtigten Unabhängigkeit der Beamtenklassen, der Mandarine, Industriellen, landwirtschaftlichen Arbeiter und so weiter gelange, so wie wir sie hier vorfinden. Allerdings erfordert dies natürlich eine Umwälzung in der Erziehung. Ganz entschieden liegt der Keim dessen, was Sie hier Anarchie nennen, gleichfalls in der Luft, aus der wir kommen.«
»Was