achtete sonderlich auf Barnstaples Gesichtsausdruck.
Eines war ihm ganz klar. Kein Sterbenswörtchen von diesem Urlaub zu Hause! Er wußte ganz genau, was geschehen würde, wenn Mrs. Barnstaple Wind davon bekäme. Sie würde mit einer Miene hingebungsvollen Eifers die Angelegenheit selbst in die Hand nehmen. »Du mußt einen richtigen Urlaub haben!« würde sie sagen. Sie würde ein ziemlich entferntes und teures Bad in Cornwall, Schottland oder in der Bretagne wählen, sie würde einen Haufen Reiseausstattung zusammenkaufen, im letzten Augenblick würde ihr noch etwas einfallen, um das Gepäck mit unbequemen Dingen vollzupfropfen, und – sie würde die Jungen mitnehmen. Wahrscheinlich würde sie es so einzurichten verstehen, daß eine oder zwei Freundesgruppen an denselben Ort kämen, um ›etwas Leben in die Bude zu bringen‹. Und dann würden die sicherlich ihre schlechtesten Charakterzüge hervorkehren und sich als ganz unausstehliche Menschen entpuppen. Es würde kein ordentliches Gespräch, keine echte Fröhlichkeit geben, sondern nur endlose Spiele … Nein!
Wie kann es aber ein Mann anstellen, auf Urlaub zu gehen, ohne daß seine Frau Wind davon bekommt? Irgendwie muß doch ein Koffer gepackt und aus dem Hause geschmuggelt werden …
Mr. Barnstaple betrachtete es als den hoffnungsvollsten Umstand in seiner Lage, daß er ein kleines Auto sein eigen nannte. Es war nur natürlich, daß dieser Wagen eine große Rolle in seinen geheimen Plänen spielte. Er schien ihm die günstigsten Möglichkeiten zum Entkommen zu bieten. Er verwandelte die mögliche Antwort auf die Frage: Wohin? Von einem bestimmten, feststehenden Ort in einen, der, wie ich glaube, in der Mathematik geometrischer Ort genannt wird. Und dann hatte das kleine Biest etwas so Gemütliches an sich, daß es leise, aber ganz vernehmlich die Frage beantwortete: Mit wem? Es war ein Zweisitzer! In der Familie hieß es ›Das Fußbad‹, der ›Senftopf‹ oder ›Die Gelbe Gefahr‹. Wie man aus diesen Bezeichnungen schließen kann, war es ein niederer, offener Wagen von grellgelber Farbe. Barnstaple benützte ihn zur Fahrt von Sydenham nach seinem Büro. Der Wagen legte mit einem Liter Brennstoff leicht zwölf Kilometer zurück, war also viel billiger als eine Monatskarte. Tagsüber stand er im Hof unter dem Bürofenster. In Sydenham war er in einem Schuppen untergebracht, zu dem nur Mr. Barnstaple den Schlüssel besaß. Bisher war es ihm gelungen, zu verhindern, daß die Jungen das Auto fuhren oder in Stücke zerlegten. Manchmal fuhr er mit Mrs. Barnstaple in Sydenham umher, ihre Einkäufe zu besorgen. Aber sie konnte den kleinen Wagen nicht recht leiden, weil er sie zu sehr den Elementen aussetzte und sie darin verstaubt und zerzaust wurde. Durch all das, was der kleine Wagen ermöglichte, und durch all das, was er verhinderte, war er offenbar zum Mittel des benötigten Urlaubs bestimmt. Und Mr. Barnstaple fuhr ihn wirklich gern. Er steuerte sehr schlecht, aber sehr vorsichtig. Und obwohl die Karre manchmal stehenblieb und sich weigerte, weiterzufahren, so tat sie doch nicht das, was die meisten anderen Dinge in Mr. Barnstaples Leben taten, oder sie hatte es wenigstens bisher nicht getan; nämlich, sich nach Osten zu wenden, wenn Barnstaple das Steuerrad nach Westen drehte. Dies verlieh ihm ein angenehmes Gefühl der Überlegenheit.
Schließlich traf Mr. Barnstaple seine Entscheidung mit großer Eile. Plötzlich eröffnete sich ihm eine günstige Gelegenheit. Donnerstag hatte er in der Druckerei zu tun, und er fühlte sich furchtbar abgehetzt, als er abends heimkam. Das Wetter war andauernd heiß und trocken. Es wurde nicht weniger bedrückend durch den Gedanken, daß diese Dürre Hunger und Elend für die Hälfte der Welt vorausahnen ließ. Und in London herrschte Hochsaison – mondän und grinsend. Dieses Jahr war womöglich noch blödsinniger als das große Tangojahr 1913, welches Mr. Barnstaple im Hinblick auf die darauf folgenden Ereignisse bis jetzt für das blödsinnigste Jahr der Weltgeschichte gehalten hatte. Der Star brachte den üblichen Schub an schlechten Nachrichten neben der Spalte, in welcher die sportlichen und gesellschaftlichen Neuigkeiten herrschten. Zwischen den Russen und Polen waren Kämpfe ausgebrochen, ebenso in Irland, in Kleinasien, an der indischen Grenze und in Ostsibirien. Drei neue schreckliche Mordtaten waren geschehen. Die Bergarbeiter waren noch immer ausgesperrt, und es drohte ein großer Eisenbahnerstreik. In der Bahn hatte Barnstaple nur einen Stehplatz bekommen, und der Zug war mit zwanzig Minuten Verspätung abgefahren.
Zu Hause fand er einen Zettel vor, auf dem ihm seine Frau mitteilte, daß ihre Vettern aus Wimbledon telegrafiert hätten, man habe dort die seltene Gelegenheit, Mademoiselle Lenglen und andere Größen Tennis spielen zu sehen; sie sei mit den Jungen hinübergefahren und werde erst spät zurückkehren. Es würde den Jungen guttun, meinte sie, wirklich erstklassige Tennisspieler zu sehen. Die Dienstboten hätten an diesem Abend ihren Ausgang. Er werde hoffentlich nicht böse sein, diesmal allein daheim bleiben zu müssen. Die Mädchen würden etwas kalten Aufschnitt für ihn bereitstellen, ehe sie fortgingen.
Mr. Barnstaple las diese Botschaft mit Resignation. Beim Abendbrot las er eine Broschüre, die ihm ein Freund aus China gesandt hatte, um ihm zu zeigen, wie die Japaner die Reste chinesischer Zivilisation und Bildung zerstörten.
Erst als er nach dem Abendbrot in seinem kleinen Garten saß und seine Pfeife rauchte, kam es ihm voll zu Bewußtsein, was es für ihn bedeutete, allein zu Hause zu sein. Dann wurde er auf einmal sehr geschäftig. Er rief Mr. Peeve an, teilte ihm das Urteil des Arztes mit, erklärte ihm, daß die Dinge beim Liberal gerade jetzt besonders günstig lägen, und erhielt Urlaub.
Danach ging er in sein Schlafzimmer und packte eilig einen vorsintflutlichen Koffer, den man wahrscheinlich nicht so bald vermissen würde, und verstaute ihn unter dem Sitz seines Wagens. Danach beschäftigte er sich einige Zeit damit, seiner Frau einen Brief zu schreiben, und steckte ihn sehr sorgfältig in seine Brusttasche.
Dann sperrte er den Wagenschuppen ab und setzte sich mit seiner Pfeife und einem guten, gedankenschweren Buch über den Bankrott Europas in einen Liegestuhl im Garten, um so unschuldig wie nur möglich auszusehen und sich auch so zu fühlen, ehe seine Familie nach Hause käme.
Als seine Frau zurückkam, erzählte er ihr so beiläufig, daß er sich sehr nervös fühle und daß er sich vorgenommen habe, am nächsten Montag nach London zu fahren, um einen Arzt zu konsultieren.
Mrs. Barnstaple schlug einen Arzt vor, er aber sagte, er habe in dieser Angelegenheit auf Peeve Rücksicht zu nehmen und Peeve sei gerade auf den Dr. Soundso versessen – das war nämlich der Mann, den er in Wirklichkeit schon konsultiert hatte. Und als Mrs. Barnstaple sagte, ihrer Meinung nach hätten sie alle einmal richtige Ferien nötig, brummte er etwas Unverständliches.
Auf diese Weise konnte Mr. Barnstaple mit dem ganzen Gepäck, das für mehrere Ferienwochen nötig war, das Haus verlassen, ohne irgendeinem unüberwindlichen Widerstand zu begegnen. Am nächsten Morgen brach er nach London auf. Der Verkehr auf der Straße war bunt und lebhaft, aber keineswegs schwierig, und die ›Gelbe Gefahr‹ fuhr so sanft dahin, daß sie den Namen ›Goldene Hoffnung‹ verdient hätte. In Camberwell bog er in die Camberwell-New Road ein und nahm den Weg nach dem am Anfang der Vaux-Bridge Road gelegenen Postamt. Hier hielt er an. Sein Vorhaben erschreckte ihn, erfüllte ihn aber auch mit Stolz. Er begab sich ins Postamt und sandte seiner Frau ein Telegramm: ›Dr. Pagan sagt, Einsamkeit und Ruhe dringend nötig, fahre daher in den Seen-Distrikt, habe, dies vorausahnend, Gepäck mitgenommen. Brief folgt.‹
Dann kam er heraus, kramte in seiner Tasche, zog den Brief hervor, den er am vorigen Abend geschrieben hatte, und steckte ihn in den Postkasten. Den Brief hatte er absichtlich so gekritzelt, daß er Neurasthenie in akutem Stadium ahnen ließ. Dr. Pagan habe einen sofortigen Urlaub verordnet, stand dort geschrieben, und ihm empfohlen, ›nordwärts zu wandern‹. Es sei besser, ihm während einiger Tage oder etwa einer Woche keinerlei Post nachzusenden. Er werde nicht schreiben, außer es ginge etwas schief. Keine Nachricht sei gute Nachricht. Sie möge ruhig sein, alles würde gut werden. Sobald er eine feste Adresse für Briefe habe, werde er drahten, aber nur ganz dringende Sachen sollten ihm dann nachgeschickt werden.
Danach stieg er wieder in den Wagen und das mit einem Gefühl der Freiheit, wie er es seit seinen ersten Schulferien nicht mehr empfunden hatte. So schlug er die Richtung nach der Great North Road ein, aber im Stau am Hyde Park Corner hieß ihn ein Polizist nach der Knights Bridge abbiegen, und später wurde er an der Ecke, wo die Bath Road von der Oxford Road abzweigt, durch einen Möbelwagen, der den Weg versperrte, in die erstere abgedrängt. Aber das machte nicht viel aus. Jeder Weg führt nach Irgendwohin, und er konnte ja auch später nordwärts