Gabriele Steininger

John K. Rickert


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in die ganze Welt verschifft wurden. Es war ihm auch egal gewesen, denn jede Nacht hatte er nur einen Gedanken. Den maroden Betrieb wieder auf die Beine zu bringen und nicht erwischt zu werden.

      "Dann musst du mit den Konsequenzen leben." Einen enttäuschten Eindruck machend, drehte er sich um.

      "Lebe wohl, alter Mann", sagte er und ging.

      "Lass dich nicht mehr hier blicken!", rief Daniel ihm hinterher. "Dann musst du mit den Konsequenzen leben…", äffte er Hogan nach. Sein ganzes Leben lang lebte er schon mit den Konsequenzen. Seit ihm sein Vater, Thomas Mac Fleed, das Anwesen vermacht hatte, lebte er schon mit den Konsequenzen.

      Der Hof bestand aus drei Wohngebäuden und einer kleinen Whiskey-Brennerei, als er ihn übernommen hatte. Mit ein bisschen Schafzucht und dem Verkauf von Selbstgebrannten bestritten sie ihren Lebensunterhalt. Im letzten Jahr seines Lebens, hatte sein Vater den Betrieb heruntergewirtschaftet. Es war harte Arbeit gewesen, ihn wieder konkurrenzfähig zu machen. Daniel hatte alles getan, um die finanzielle Lage wieder in den Griff zu bekommen. Der Schmuggel war für ihn die einzige Chance, die Familie und das Unternehmen durch diese Zeit zu retten. Niemand hatte geahnt, welche dunklen Geschäfte im Schwarz der Nacht zwischen Whiskeyfässern ihren Gang genommen hatten.

      "Mister Mac Fleed?" James Grahams tiefe Stimme dröhnte über den hinteren Hof durch die offene Tür. Daniel schritt durch sie hindurch und kam seinem Angestellten entgegen.

      "Was ist denn, James?", fragte er den zwei Meter großen Mann, der über das Pflaster in seine Richtung eilte.

      "Mister Mac Fleed, ist alles in Ordnung?" Außer Atem blieb er vor seinem Chef stehen.

      "Ich habe einen Mann gesehen, der nicht hier her gehört."

      Es war nichts in Ordnung. Nicht mehr.

      "Alles in Ordnung. Er ist nicht von hier, hat nach dem Weg gefragt", log er. James sah ihn verwirrt an. "Du kannst wieder an deine Arbeit gehen."

      Am Abend saßen Isabella und ihre Tochter mit Daniel im Salon. Seine Frau war in ihre Stickarbeit versunken, Sarah hatte ihre Nase hinter einer Zeitschrift versteckt. Die Gedanken des Brennereibesitzers schweiften wie der Dunst seiner Pfeife in andere Sphären. Holly, seine Tochter aus erster Ehe mit Emma Mac Laughlin, hatte sich bereits in ihre Räume zurückgezogen. Emma hatte ihm auch noch einen Sohn geschenkt. Über ihn wollte er im Moment nicht nachdenken.

      Dafür dachte er an seinen ersten Hochzeitstag. 1983, am 6 ten Juni, hatte Thomas Mac Fleed seinen Jüngsten enterbt und vom Hof gejagt. Matthew war dem Schicksal seiner Schwester Sophie gefolgt. Diese hatte das Elternhaus schon 1978 verlassen. Der Alte war kein nachsichtiger Mann gewesen und seit je her mit den Quinns zerstritten. Das Sophie sich mit Harry Quinn eingelassen hatte, konnte er nicht dulden. Die Schwester hielt den Kontakt zu Mutter und Bruder, wann immer es einen Zeitpunkt gab, an dem sich Thomas nicht auf dem Gelände befand. Matthew tauchte komplett ab. Keiner wusste, wo er sich aufhielt, was er machte, oder ob er je wieder das Anwesen betreten würde. Emma hatte es das Herz gebrochen, ihre Kinder auf diese Weise verlieren zu müssen.

      Sie war am 18ten Mai 1984, drei Tage vor der Geburt von Jack, gestorben. Jack. Die Parallelen waren nicht zu übersehen. Daniel hatte ihn, wie sein Vater Matthew, von Doubthill gejagt, wie einen räudigen Köter. Mehrmals war er seit dem wieder zu Besuch gewesen und hatte versucht, seinen Vater zu beschwichtigen. Jedes Mal eskalierte es zu einem neuen Streit, in dessen Wortwechsel Daniel Dinge sagte, die er nie sagen wollte. Um sich zu entschuldigen, stand ihm sein eigener Stolz im Weg. Er erinnerte sich, wie sehr er vor sich selbst erschrak, als er in Erwägung gezogen hatte, seinen Sohn zu enterben. Holly war sechs Wochen alt, als Thomas Mac Fleed starb. Da Daniel jede Hilfe gebrauchen konnte, die er bekommen konnte, hatte er nichts dagegen, dass seine Geschwister in die beiden anderen Häuser einzogen.

      Es war, als wäre ein Fluch von dem Anwesen genommen worden. Eine Verwünschung, die mit Thomas Mac Fleed zu Grabe getragen und für immer im Erdreich versunken war. Die ganze Familie baute Doubthill auf. Der kleine Flecken Land hatte sich innerhalb kürzester Zeit in ein stattliches Anwesen verwandelt.

      Daniel Mac Fleeds Leidenschaft für seinen Beruf, begründete sich lediglich zum Teil in der Familientradition. Das Geschäft wurde seit Generationen vom Vater in die Hände des Sohnes vererbt. Daniel übernahm ihn ebenfalls, auf diese Weise, von seinem Vater. Er liebte die Traditionen. Obwohl er sich in jungen Jahren überhaupt nicht begeistern konnte. Lehrte ihn die Zeit doch, die Weisheiten des Alters zu schätzen. Sein Interesse wuchs mit den Jahren, in denen er den Handel und die Brennerei führte. An manchen Tagen wünschte Daniel sich, er hätte besser aufgepasst. Vorrangig nach dem Tod seines Vaters, dachte er an die Zeit, in der er versucht hatte ihm alles zu erklären. Bevor Emma Mac Fleed starb war er noch nicht von Gram und Trauer zerfressen.

      Nach dem Tod seiner Frau, hatte Thomas eine Vorliebe für schottischen Whiskey entwickelt. Knapp ein Jahr nach der Beerdigung kostete diese ihn, durch einen Herzinfarkt, das Leben. Er regte sich immer auf, wenn er trank - und wenn er sich aufregte, dann trank er. Es war ein Teufelskreis, der das Unternehmen um ein Haar in den Ruin getrieben hätte.

      Daniel hingegen, entwickelte eine gänzlich andere Leidenschaft für Whiskey. Eifersüchtig bewachte er die Fässer auf dem Land der Mac Fleeds. In eigens für diesen Zweck errichteten Gebäuden, lagerten und reiften sie. Ein kleines Imperium, welches der junge Daniel aus dem Nichts erschaffen hatte. Insgesamt zehn Hallen waren seit dem Tod von Thomas Mac Fleed erbaut worden. Wenn Daniel sich auf seinen täglichen Rundgängen durch die Reihen seiner Schätze befand, glich er mehr denn je den alten Fässern. Ihre Bäuche in die Zwischenräume hängend, stapelten sie sich auf den Stellböcken. Ein ganz besonderer Geruch durchzog die Lagerstätten. Am liebsten roch er den, welchen das älteste Gebäude in sich trug. Es war die hinterste Halle, neben der alten Brennerei. Zur Zeit seiner Vorfahren war es eine Stallung gewesen. Im zweiten Weltkrieg verschont, hatten sich die normalen Zeichen der Zeit auf ihm abgezeichnet. Nach den Jahren der Zerstörung wurde es dem Bedarf angepasst und umgebaut. Zwischen den Whiskeysorten stehend, sog er den Duft der wuchtigen Eichenfässer tief in seine Lungen. Über Jahre hatte das Holz die Aromen des Weines in sich aufgenommen. Diese durchzogen jetzt die bernsteinfarbene Flüssigkeit in ihrem Inneren. Hier lagen die größten Werte. Fässer, in denen besondere Weine gereift waren. Fässer, die ihn selbst an Alter übertrafen, und die einst sein Großvater noch befüllt hatte. Sorgsam, fast liebevoll strich er mit der Hand über die hölzernen Rücken. Ein friedliches Lächeln zog sich über seine Lippen. Dies waren seine Schmuckstücke, seine Kronjuwelen, deren Inhalt goldbraun vor einem Kaminfeuer aus den Gläsern leuchtete und funkelte.

      Er alleine besaß den Schlüssel. Außer ihm betrat nur eine einzige Person dieses Gebäude. James Graham, ein langjähriger Mitarbeiter, der sich in guten, wie auch in schlechten Zeiten als loyaler Freund erwiesen hatte. Deshalb und nur deshalb, genoss er dieses Privileg, sich in der Halle voller Raritäten bewegen zu dürfen, die Daniel wie seinen Augapfel hütete.

      Manchmal legte Mac Fleed seinen Kopf auf eines der Fässer, schloss die Augen und lauschte auf das, was ihm der Inhalt zuflüstern würde. Dabei stieg ihm der Duft, den die Poren des Holzes absonderten, in seine Nase. Auch in dem Moment, als eine Gestalt durch die offene Tür schlich, ruhte sein Ohr auf einem besonders alten Whiskey. Er hatte die Augen geschlossen und murmelte versonnene Worte in Gälisch. Mac Fleed achtete nicht auf seine Umgebung. Seine Aufmerksamkeit galt seinem Schatz. Erst als es zu spät war, er sich umdrehte, weil er dachte ein Geräusch gehört zu haben, sah er seinem Mörder ins Gesicht. Mit erhobenem Hammer stand er vor ihm. Kurz spürte er den Schmerz, den das Mordwerkzeug, auf seinen Schädel treffend, verursachte. Knochensplitter drangen in sein Gehirn. Ein Geräusch, wie vom Knacken einer Nuss war zu hören. Ein gurgelnder Laut quoll aus Daniels Kehle, der mit einem entsetzten, ungläubigen Gesichtausdruck auf dem Boden zusammenbrach. Zuckend blieb er zwischen den Fässern liegen.

      Behandschuhte Finger durchsuchten ungeduldig die Innentaschen seiner Weste. Hastig zogen sie ein kleines, schwarzes Buch daraus hervor. Die Person entfernte sich angewidert von dem Toten, aus dessen klaffender Wunde Blut und Hirnmasse trieften. Eilig entfernten sich die Schritte von der Leiche. Die Tür wurde sanft in ihr Schloss gezogen. Dann war es still.

      "Wo waren sie gestern zwischen zweiundzwanzig und