Arnulf Meyer-Piening

Bürgermeister Wittenborg


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kann ich Ihnen bieten, ich kann Ihnen nur Graupensuppe und trockenes Brot bieten.“

      „Das ist alles? Von Wasser und trockenem Brot kann kein Mensch leben.“

      „Es ist mir ausdrücklich untersagt, Ihnen mehr zu geben als allen anderen Gefangenen.“

      „Dann möchte ich meine Frau sprechen. Sie soll mir etwas Kräftigendes mitbringen“

      „Ich werde sie sofort benachrichtigen lassen. Gegen ihren Besuch wird niemand etwas einzuwenden haben.“

      „Ich hoffe nicht.“

      „So grausam kann keiner sein.“

      Ohne ein weiteres Wort zu verlieren verließ der Direktor den kargen Raum.

      Wittenborg war deprimiert: Er, der freiheitsgewohnte Seemann, weitgereist in vielen Ländern, wohlhabender hanseatischer Kaufmann, Herr über Schiffe und Menschen, saß gefangen in einem kümmerlichen Raum, den er nur unter Bewachung verlassen durfte. Wie hatte das passieren können? Er sehnte sich nach Freiheit und frischer Seeluft. Wenn er doch wenigstens etwas zum Lesen hätte, um sich abzulenken. Aber nichts außer einer verstaubten Bibel gab es in diesem kärglichen Raum.

      Er stellte den Hocker auf den Tisch, stieg hinauf und blickte sehnsuchtsvoll aus dem Fenster. Da lag die Trave. Es roch nach Seeluft. Ein paar Schiffe fuhren vorbei: Seine waren es nicht. Was wohl aus ihnen geworden war? Keine einzige Nachricht hatte er seit einem halben Jahr empfangen. Er wusste nicht, was seine Männer taten, ob sie noch Waren zum Verkauf hatten, ob seine Handelskontore in London, Brügge, Riga, Nowgorod und Bergen noch arbeiteten. Was seine Frau und Kinder machten? Wie sehr vermisste er sie, hatte sie doch schon lange nicht mehr gesehen und hätte sie so gerne in seine Arme genommen. Er sah sie deutlich vor sich: Sie war zierlich, hatte dunkles Haar und blaue Augen. Einige meinten, sie habe grüne Augen, was eigentlich nicht so wichtig war. In jedem Fall waren sie reizvoll und zeigten einen ausgeprägten Willen, den einige sogar als Hochmut empfanden. Aber das war sie nicht. Sie stammte aus gutem Hause, eine wohlhabende Familie von Ratsherren. Erfolgreich und weit gereist. In jedem Fall eine Respektsperson.

      Der Gedanke übermannte ihn, und seine Augen begannen sich mit Tränen zu füllen. Aber er wischte sie schnell wieder ab, denn so sollte ihn niemand sehen, nicht einmal die wachhabenden Bediensteten.

      Er stieg vom Tisch, ihm war elend zu Mute, legte sich auf die harte Pritsche, aber an Schlaf war nicht zu denken. Zu sehr drückten ihn die Sorgen um sein künftiges Schicksal. Doch endlich übermannte ihn der Schlaf.

      Besuch seiner Ehefrau

      Eine Woche später besuchte ihn seine Frau Elisabeth, Tochter der angesehenen Lübecker Ratsfamilie von Bardewik. Sie umarmten und drückten sich mit Inbrunst und Freudentränen in den Augen, denn sie hatten sich seit seiner Abreise nicht mehr gesehen. Nach geraumer Weile fasste sie sich:

      „Mein Schatz wie erbärmlich siehst du aus. Bist du krank?“

      „Nein, krank bin ich nicht, aber es geht mir nicht gut. Die Strapazen der vergangenen sechs Monate und insbesondere die Enttäuschungen der letzten Tage haben mir stark zugesetzt.“

      „Ich sehe es dir an: Du bist abgemagert und etwas gealtert. Jedenfalls nicht mehr so energisch und kräftig wie du mich verlassen hast.“

      „Ja, es war eine schwierige Zeit für mich und auch für meine Mitstreiter.“

      „Es muss schrecklich gewesen sein. Tag und Nacht habe ich an dich gedacht, für dich und uns alle um den Sieg gebetet. Aber mein Gebet wurde nicht erhört.“

      „Gott hat mich verlassen“ sagte er resigniert mit einem tiefen Seufzer. Dann straffte er sich: „Aber ich will mich nicht versündigen. Sage mir lieber, wie es dir in der Zwischenzeit ergangen ist. Und wie geht es den Kindern?“

      „Auch wir hatten eine schwere Zeit: Ein Leben zwischen Hoffen und Bangen. Täglich warteten wir auf eine Nachricht von dir und hofften auf eine Siegesmeldung. Die Kinder fragten mich jeden Tag, wann du endlich zurückkämest. Und ich wusste doch keine Antwort zu geben. Du hättest mir öfters schreiben sollen.“

      „Du hast durchaus recht, aber ich hatte alle Hände voll zu tun. Außerdem war es unmöglich, irgendeine Nachricht zu senden: Kein Schiff fuhr gen Heimat. Alle Nachrichtenwege waren unterbrochen. Es gab wirklich keine Möglichkeit dir zu berichten. Nicht einmal dem Rat unserer Stadt konnte ich regelmäßig Nachrichten zukommen lassen.“

      „Ich glaube dir, aber du hast mir sehr gefehlt.“

      „Du mir auch,“ fuhr er seufzend fort und ließ sich kraftlos auf das Bett sinken. Das war in höchstem Maße ungehörig, und er schämte sich, dass er sich so hatte gehenlassen. Darum raffte er alle ihm noch verbliebene Energie zusammen und richtete sich auf:

      „Verzeih, ein kurzer Schwächeanfall, es wird nicht wieder vorkommen.“

      „Ist schon in Ordnung. Ich weiß ja, was du durchgemacht hast. Ruhe dich aus.“

      „Dank für dein Verständnis. Ich habe dir noch nicht einmal einen Sitzplatz angeboten, aber ich habe hier außer dem klapprigen Holzstuhl nichts Geeignetes für dich.“

      „Lass gut sein, er wird mich schon halten.“ Dabei setzte sie sich behutsam auf den Holzstuhl, als fürchte sie, dass er unter ihrer Last zusammenbrechen könnte. „Doch nun erzähle mir in allen Einzelheiten, wie es dir in den vergangenen Monaten ergangen ist. Ich will alles wissen.“

      „Erspare mir die Details, die Erinnerungen sind zu schmerzlich. Eigentlich begann alles ganz planmäßig: Wir hatten in wenigen Wochen das königliche Schloss in Kopenhagen erreicht und unsere schweren Geschütze, die wir von Onkel Grope erhalten hatten, in Stellung gebracht. Wir eröffneten das Feuer. Die Wirkung der Geschosse war verheerend. Es hätte nicht viel gefehlt, und das gesamte Schloss wäre in Schutt und Asche zerfallen. Aber das war nicht unser Ziel. Vielmehr wollten wir es erhalten und Beute machen, um unsere Kosten zu decken.

      Nach wenigen Tagen erhielten wir die Nachricht, dass der König das Schloss kampflos übergeben würde. Das Angebot haben wir akzeptiert. Damit schien die Sache glücklich ausgestanden zu sein. Aber unsere Männer – insbesondere die Söldner aus preußischen Landen – plünderten die Stadt. Ich konnte es nicht verhindern.“

      „Wo ist die Beute? Sind wir jetzt reich?“

      „Nein, wir mussten sie dem Feind überlassen, weil wir ihm nach Helsingborg folgten, wohin er geflohen war.“

      „Warum habt ihr den Feigling nicht dort sitzen lassen und seid mit der Beute heimgekehrt?“

      „Das konnten wir nicht, denn wir hatten den eindeutigen Auftrag, den König lebend oder tot gefangen zu nehmen und ihn mitsamt seiner Flotte nach Lübeck zu bringen, damit ein für alle Mal Ruhe auf der Ostsee einkehrt, und wir unseren Geschäften nachgehen können.“

      „Das hättet ihr doch ein anderes Mal tun können.“

      „Nein, denn wir hatten einen Vertrag mit den Schweden und den Norwegern geschlossen, demzufolge wir die dänische Flotte vernichten mussten, sonst hätten wir auf die Kriegsbeute verzichten müssen. Das konnten wir uns nicht leisten, denn wir alle brauchten das Geld, um unsere Kosten für die Schiffsausrüstung zu decken.“

      „Auch du hattest einen Kredit bei meinem Onkel Grope aufgenommen, wie du mir gesagt hast. Den musst du ihm in jedem Fall zurückzahlen.“

      „Das ist Ehrensache, aber ich weiß im Augenblick nicht wie.“

      „Du hast doch erhebliche Außenstände bei anderen Kaufleuten. Mit dem Geld zahlst du deinen Kredit zurück.“

      „Sofern sie pünktlich zahlen.“

      „Das werden sie bestimmt tun, denn es handelt sich bei allen um ehrenhafte Kaufleute.“

      „Nicht alle sind, was sie scheinen.“

      „Du hast mir nicht erzählt, warum ihr den König nicht gefangen habt.“

      „Ach die Frage trifft