will aber keine Geldgeschäfte mit dir machen. Ich möchte gerne, daß wir heiraten …«, sagt Ilse und hat doch schon das Gefühl des völlig Hoffnungslosen.
»Aber Itta!« ruft er vorwurfsvoll. »Was ist nur heute in dich gefahren?! Fange doch nicht immer wieder damit an! Du bist ein Durchgänger, und ich bin ein Durchgänger, das kann doch nichts werden …«
»Wir können uns doch ändern, Erich. Ich will mich bestimmt ändern …«
»Du änderst dich auch nie! Jeder bleibt, wie er von Anfang an ist. Das ist so ein Gesetz. Und, Itta«, sagt er hastiger, als er sieht, sie will schon wieder einen Einwurf machen, »ich würde nie ein Mädchen wie dich heiraten, von dem ich positiv weiß, es ist nicht treu …«
Es war ihr, als hätte er ihr einen Schlag ins Gesicht gegeben.
Schließlich fragt sie leise: »Und du?«
»Ach, mit Männern ist das ganz etwas anderes. Männer müssen nicht treu sein, von einem Mann verlangt man das gar nicht. – Und nun, Ittachen«, sagt er und faßt sie zärtlich um, »du hast heute deinen Melancholischen, geh in den Preußischen Adler und trink zwei Schoppen Mosel. Du sollst sehen, wie du gleich anderer Stimmung wirst. Du lachst dann selbst über deine Heiratspläne! Die Itta und eine Ehefrau, das ist doch wirklich komisch!«
Und er versucht zu lachen.
Aber sie lacht nicht mit. »Willst du wirklich, daß ich heute noch in den Preußischen Adler gehe?« fragt sie. Es scheint ihr so seltsam, daß ausgerechnet er sie dorthin schickt – zu dem andern.
»Nun, natürlich! Da ist der Wein am besten, und du sitzt ruhig, und der keusche Joseph, der Fritz Bleesern, wird dir schon nichts tun …«
»Begleit mich doch, Erich, bitte! Dann werde ich gleich anderer Stimmung.«
»Ganz unmöglich, meine Süße! Diese Kopfschmerzen …
Komm her, gib mir noch einen Kuß, Itta! Aber küß mich doch nicht wie ein Fisch, ein wenig Feuer, wenn ich bitten darf, mein Kind! – Das war wieder nichts, nein, du bist heute wirklich nicht in Stimmung. – Und, Ilse, das mit der Sparkasse, das habe ich natürlich nur gesagt, um dich vom Heiraten abzuschrecken.«
Sie schwieg. Er hielt sie umfaßt, aber zum erstenmal stand sie wie ein Pfahl in seinen Armen. Seine Liebkosungen ließen sie ganz kalt.
»Und morgen abend will ich sehen, daß wir zusammenkommen. Ich rufe dich noch draußen an. Eigentlich habe ich eine Verabredung, aber die wird sich schon verlegen lassen. Wir können dann die Geldgeschichte in Ruhe besprechen. Es ist wirklich furchtbar nett von dir, daß du mir das angeboten hast. Ich bringe gleich den Schuldschein mit, und du denkst auch an das Geld …«
»Gute Nacht, Erich. Lebe wohl dann!« sagte sie zu ihm und ging langsam aus seinen Armen. Als sie aber erst durch die Gartenpforte war, lief sie immer schneller, ohne zu sehen. Sie lief durch die Büsche des Kirchbergs, aber nicht nur die Dunkelheit verschleierte ihr den Blick.
9
Nachdem Ilse ihn mit der schnöden Empfehlung, nun brav ins Bett zu gehen, verlassen hatte, war der blinde Mann auf dem Hof stehengeblieben. Je mehr die Wirkung des Alkohols in ihm verflog, um so trauriger wurde er. Bella schmeichelte um ihn herum und bettelte um ihren Abendspaziergang, sie umkreiste ihn und bellte ihn aufmunternd an, aber er konnte sich nicht entschließen. Immer nur ein Tier zum Gefährten – er war doch ein Mensch, warum nur hielt es kein Mensch mehr bei ihm aus?
Er hatte dagegen getobt, gegen seine ganze Umwelt hatte er getobt. Die Ärzte waren Nichtskönner, nur Beutelschneider, die Freunde hatten kein wahres Interesse und nicht die Spur von Hilfsbereitschaft, seine Frau – nun seine Frau mußte für alle bezahlen! Das war ja auch nicht mehr als recht – sie hätte sich schon ein bißchen Gedanken um ihn machen dürfen, als diese rasenden Kopfschmerzen bei ihm einsetzten, die Vorboten des Erblindens. Er hörte noch ihre gereizte Stimme: »Du bist heute wirklich wieder ganz unerträglich, Peter! Nimm doch noch ein Pyramiden!«
Und dann, später, als seine Blindheit nicht mehr zu leugnende Tatsache war, kam ihre läppische Art zu trösten: »Du mußt dich eben damit abfinden, Peter! Es ist doch nun einmal nicht daran zu ändern. Keiner trägt die Schuld – es ist eben Schicksal! Trage dein Schicksal wie ein Mann, Peter!«
Er konnte sich noch recht gut an die Zeit vor seiner Krankheit erinnern: Eigentlich war er ein ganz normaler, gut gelaunter, tatkräftiger und arbeitslustiger Mann gewesen. Die Blindheit hatte ihm alles genommen: Arbeit und Frohsinn, Freude, Freunde und Frau. Er war nur noch ein kläglicher Überrest, etwas ganz anderes, als er gewesen, angewiesen auf die bezahlte Hilfe fremder Menschen, die ihn entweder bestahlen oder lieblos behandelten. Er war allen – und sich selbst – bloß noch lästig.
Und es gab keinen Ausweg! Es gab keine Rettung für ihn …
Lola Bergfeld ist unterdes auch an ihm vorübergegangen; sie gab ihm nicht einmal Gelegenheit, seine Bitte um einen Abendspaziergang anzubringen, so schnell huschte sie an ihm vorbei. Nun steht er ganz allein auf dem Hof, auch Bella hat ihn verlassen, sie ist wohl hinter Lola dreingelaufen. Eine endlose Nacht hat er vor sich, das heißt, seine Nacht ist ja immer endlos, aber auch die Zeit bis zum nächsten Frühstück, da wieder Menschen in seiner Nähe sind, scheint ihm endlos.
Traute Kaiser, die dritte im Hause, die einzige, die es gut mit ihm meint, liegt nun schon im Bett und schläft. Plötzlich fällt ihm ein, warum er heute nachmittag getrunken hat: Er hörte sie die Treppe so heimlich hinabschleichen. Ja, nun war auch sie für ihn verloren, hatte keine Gedanken und Gefühle mehr für ihn übrig – und sie war noch so jung, gerade erst siebzehn!
Der blinde Peter Siebenhaar steht noch immer am Fuß der Treppe.
Dann tut er das, um das er die ganze Zeit schon innerlich mit sich gerungen hat, er tut das Würdelose, er geht zu seiner Haustochter betteln. Er steigt leise und rasch die Treppe zum ersten Stockwerk hinauf, klopft an die Tür und tritt sofort ein.
»Guten Abend, Traute«, sagt er leise. »Ich störe dich sicher. Die andern sagten mir, du wolltest gleich schlafen gehen.«
»Nein«, sagt Traute Kaiser, ein wenig verwirrt, denn es ist ja gerade dies Alleinsein mit dem Blinden, vor dem sie sich gefürchtet hat. Zu dumm von ihr, daß sie vergaß, die Tür abzuschließen. Dann könnte sie jetzt ruhig behaupten, sie läge schon im Bett. Aber so – sagt sie lieber die Wahrheit!
»Nein«, antwortet sie darum, »ich habe mich noch nicht hingelegt. Ich schreibe gerade an meine Mutter …«
»Dann will ich dich nicht länger stören, Traute«, sagt Herr Siebenhaar. »Grüße deine Mutter schön von mir. Zu Haus ist doch alles wohl?«
»Danke, Herr Siebenhaar.«
»Es ist nur – ich bin nur darum hier heraufgekommen, weil ich dich fragen wollte, ob du nicht ein Viertelstündchen mit mir spazierengehen möchtest? Ich bin heute noch gar nicht an die Luft gekommen. Und Bella ist mir auch untreu geworden. Ein Viertelstündchen würde nicht sehr lange sein, nicht wahr?«
»Gewiß, Herr Siebenhaar, ich gehe gern mit Ihnen noch einen Augenblick. Vielleicht nach dem Dorf zu, bis zum Spritzenhaus …«
»Selbstverständlich! Es ist furchtbar nett von dir, Traute!«
Aber als sie aus dem Hof traten, wollte Herr Siebenhaar doch lieber in die andere Richtung gehen, den Weg in die Felder, den Traute heute mittag zornrot gegangen war, an der Sandgrube vorbei, bis zur kleinen Brücke.
»Es ist frischer dort, Traute. Und du weißt doch, im Dorf sind um diese Stunde immer noch Leute vor den Türen …«
Sie kennt seine Menschenscheu. Er mag nicht, daß die Leute, die ihn als aufrechten Mann gekannt haben, ihn nun am Arm geführt dahinschleichen sehen. So stimmt sie zu, trotzdem sie jeden andern Weg lieber ginge als gerade diesen, der unangenehme Erinnerungen in ihr wachruft. (War sie nicht doch zu scharf gewesen?) Ein wenig bangt ihr auch vor dem völlig menschenfernen Beisammensein mit dem blinden Mann. Sie spürt es doch, wie gespannt