deshalb zielstrebig eine seiner bevorzugten Metzgereien an. Die „Metzgerei Ferdinand“ war sein Ziel. Deren Imbisstheke bot stets die leckersten Appetitstiller: Leberkäse,
Rollbraten Fleischpflanzerl, Bratwürste, Schnitzel und Brathendl warteten darauf verzehrt zu werden.
Max lief das Wasser im Mund zusammen, wie er vor der heißen Theke stand und die dampfenden Leckerbissen betrachtete, Max gelüstete es nach einer saftigen Schnitzelsemmel. Bei „Ferdinand“ waren die Schnitzel stets in einer besonders dicken goldgelben Panade gebrutzelt und schmeckten ausgezeichnet.
Max war inzwischen Stammkunde bei „Ferdinand“. Schon oft hatte sich Max dort sein Mittagessen oder eine Brotzeit geholt und das Zeug von Gitti, das er sich immer Mittag aufwärmen musste, lieber dem Mülleimer übergeben. Heimlich natürlich! Gitti wäre ihm bestimmt tödlich beleidigt, wenn sie davon erfährt. An diesem sonnigen Tag nahm er die Semmel gleich in die Hand und verspeiste sie mit Heißhunger auf der belebten Straße. Er schlenderte kauend an den Schaufenstern und den Passanten vorbei, als das Unglück passierte! Irgendetwas undefinierbar Hartes hatte er plötzlich im Mund. Er schob es mit der Zunge hin und her, versuchte noch mal darauf zu beißen, um zu prüfen, ob es sich um ein Stück Knochen oder einen Knorpel handelte, der sich im Schnitzelfleisch versteckt hatte. Doch das Ding ließ sich nicht zerbeißen. Im Gegenteil: Es war hart wie ein Stein! Max fummelte mühsam den Fremdkörper aus dem Mund. Er befand sich in einem kleinen Batzen zerkautem Fleisch. Er half mit den Fingern seiner freien Hand nach und spuckte ihn in seine Serviette.
Nachdem er das Stückchen von den Essensresten gesäubert hatte, glaubte er seinen Augen kaum zu trauen ...
Augenblicklich brach ihm heftig der Schweiß aus. Das durfte doch nicht wahr sein! In der Serviette befand sich die
„Auau, auaa“, stöhnte er laut. Seine Hand zitterte mit der in der Serviette eingewickelten Krone. Sein Puls raste. Zögerlich setzte er sich in Bewegung. Seine Knie waren schwammig. Er war kaum in der Lage geradeaus zu gehen. Was tun? Max jammerte laut. Die Nerven des Zahnes rumorten und tobten in seinem Mund. An der nächsten Kreuzung war ein Abfalleimer an einem Laternenmast angebracht. Max warf die restliche Semmel hinein. Ganz auf seine Schmerzen konzentriert, lief er weiter an den Häusern entlang. Er lief und lief, bis er nicht mehr konnte. Mit der Hand stützte er sich an einer Hausmauer ab. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Max blickte sich um. Da fiel ihm auf, dass er seine Hand direkt neben einem Schild auf der Hausmauer stützte.
„Doktor A. Wotan - Zahnarzt“ stand darauf. Ein Hinweis auf die Sprechzeiten in kleiner Schrift darunter. Ein Zufall? Oder Glück?
Max fackelte nicht lange und klingelte. Die Praxis befand sich im Erdgeschoss eines relativ neuen Gebäudes.
Die Praxis war nicht groß, machte aber einen soliden, positiven Eindruck. Die Sprechstundenhilfe sass hinter der Anmeldung und war jung und hübsch. Sehr jung und sehr hübsch. Aber dafür hatte Max jetzt leider keinen Nerv. Denn einige seiner empfindlichsten Nerven lagen blank in seinem Mund.
„Max Muckel“ stellt er sich mit weinerlicher Stimme vor:
„Ich hab mir eine Krone ausgebissen!“ Zum Beweis hielt er dem Mädchen die geöffnete Serviette mit dem ausgebrochenen Zahn hin.
„Oh“ machte die hübsche Blondine. Sie stand auf und beugte sich über den Tresen um sich das Corpus Delicti anzusehen.
„Haben Sie starke Schmerzen?“, fragte sie mit einem mitfühlenden Ton in ihrer Stimme. Max nickte heftig. Fast wäre ihm eine Träne aus dem Auge gelaufen.
„Hehemem“, antwortete er mit fast geschlossenem Mund, weil die kalte Luft schon wieder empfindliche Schmerzwellen verursacht hatte.
„Alles nicht so schlimm. Nur keine Angst! Ich sehe mal, ob der Doktor noch Zeit hat ... ... für Sie und ihr ... Problemchen!“ beruhigte ihn die Zahnarzthelferin.
Schon erhob sie sich, warf ihm noch einen aufreizenden Blick zu
Gleich darauf kam sie wieder und bat Max noch einen Moment im Wartezimmer Platz zu nehmen. Erleichtert nahm Max das Angebot an. Das Wartezimmer war klein und menschenleer. Zwei Reihen von je vier Stühlen standen sich gegenüber. Dazu ein Tischchen mit Zeitschriften. An den Wänden prangten unzählige Tierfotografien. Ein gerahmtes Foto neben dem anderen. Alle diese Tiere bleckten die Zähne. Auf den ersten Blick sah das wirklich lustig aus. Der Arzt war wohl ein großer Tierlieber oder ein besonderer Spaßvogel. Die bedrückte, ängstliche Stimmung von Max löste sich beim Betrachten der Fotos ein wenig. Fast hätte er den Schmerz vergessen. Er musste nicht lange warten, bis sich die Tür öffnete und die Sprechstundenhilfe ihn in das Behandlungszimmer bat.
Max setzte sich auf den Behandlungsstuhl. Es sah wirklich alles recht modern aus bei diesem Zahnarzt. Die Blondine stattete ihn mit einem Lätzchen aus und tätschelte ihm die Schulter.
„Sie werden sehen es ist alles nicht so schlimm. Der Doktor kommt sofort ...“ redete sie beruhigend auf ihn ein. Sie lächelte ihn an, als würde auf Max eine wohltuende Wellnessbehandlung erwarten.
Als der Doktor Wotan einen kurzen Moment darauf in der Tür erschien, bekam Max einen gehörigen Schreck. An irgendjemand erinnerte ihn diese bullige, grobschlächtige Gestalt. Ein Bär von einem Mann war zu seinem Behandlungsstuhl getreten. Er war in etwa demselben Alter wie Max. Er hatte einen militärisch anmutenden Kurzhaarschnitt aus grauen Haaren. Der Zahnarzt ließ sich einfach auf den Rollhocker fallen. Max wunderte sich, dass der Stuhl den Angriff des Riesen aushält. Schon ergriff der Arzt die rechte Hand von Max.
„Doktor Wotan“, bellte er ungewöhnlich langsam und mit tiefer, sonorer Stimme. Die Hand von Max verschwand dabei vollständig in der des Zahnarztes. Doktor Wotan wartete gar nicht erst die Antwort ab, sondern ergriff sogleich eines seiner bereitliegenden Folterinstrumente. Gleichzeitig senkte sich der Behandlungsstuhl in die Waagrechte. Max fühlte sich unendlich hilflos. Er schloss vorsichtshalber die Augen. Außerdem mochte er Doktor Wotan nicht in die Augen schauen. Komisch, Max hatte große Angst vor dem Doktor. Und diese Angst rührte in nicht aus der Tatsache, dass der Mann von so beeindruckender körperlicher Gestalt war. Nein, es war dieser merkwürdige Moment der Wiederkennung, welcher Max so Angst machte.
„Machen Sie doch den Mund auf“, raunte ihm der Zahnarzt in sanften Befehlston, aber freundlich zu.
Max hatte gar nicht aufgepasst. Ganz automatisch gehorchte er der Anweisung. Er öffnete vorsichtig die Augen, wohl darauf bedacht den Doktor nicht anzusehen. Sein Blick richtete sich nach oben. Es war kaum zu glauben ... An der Decke direkt über ihm war ein riesengroßes Bild angebracht ... und was war darauf zu sehen? Eine Gruppe von zähnefletschenden Hunden. Angeordnet wie ein Familienbild. Großeltern Hunde, Eltern Hunde. Eine dicke Hundetante. Hundezwillinge. Kinder und zahlreiche Enkel als Welpen. Sicher war das eine Fotomontage, aber ... Wie war es möglich normale Hunde so zu arrangieren?
Der Arzt rief inzwischen seiner Zahnarzthelferin eine Reihe von Zahlen zu, die sie aufmerksam notierte.
„Mhhhmm“, gab der Doktor von sich. Der Stuhl bewegte sich leise