Karl May

Im Reich des silbernen Löwen I


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Weg mit dem meinigen zusammenfallen sollte.

      Sie sahen weder mein Pferd, weil dieses sich hinter dem Gebüsch befand, noch mich, denn das Gras, in welchem ich lag, war hier am Bache so hoch, daß es mich verdeckte. Die Augen immer auf meine Fährte gerichtet, kamen sie näher und näher, bis sie kaum noch zwanzig Schritte von mir entfernt waren. Da mußten sie denn doch bemerken, daß die Spur, welcher sie folgten, plötzlich ein Ende nahm. Sie hielten ihre Maultiere an und derjenige mit der Schmarre rief erstaunt aus.

      »Wetter! Da ist die Fährte alle! Siehst du das nicht auch, alter Tim?«

      »Yes,« nickte der andere. »Aber wo ist der Kerl?«

      »Wie weggeblasen!«

      »Da müßte jemand da sein, der ihn fortgeblasen hat, alter Jim. Man sieht aber auch so einen nicht. Ist mir noch nie passiert!«

      »Mir auch nicht. Aber schau, dort führen Hufstapfen hinter das Gebüsch. Der Kerl wird sich dort versteckt haben.«

      »Nein. Richte deine gesegneten Augen hier herunter! Da ist er abgestiegen und nach dem Wasser gegangen, wo er – –«

      Er hielt inne, folgte meinen Fußeindrücken mit den Augen, bis sie an der Stelle, wo ich lag, haften blieben, und fuhr dann fort:

      »Alle Teufel! Dort liegt er im Grase und rührt sich nicht! Meint er etwa, daß es hier im wilden Westen kein Pulver und kein Messer giebt? Hält da Mittagsruhe, als ob er daheim auf dem Kanapee läge und nicht jenseits des Mississippi, wo die Comantschen herumstreifen wie Wölfe, die nach Beute heulen. Komm, wollen ihn aufwecken!«

      Sie lenkten ihre Tiere zu mir heran. Ich sah ihnen mit offenen Augen entgegen, woraus sie erkennen mußten, daß ich nicht geschlafen hatte. Darum sagte der mit der Schmarre:

      »Good day, Mann! Seid Ihr ein unvorsichtiger Mensch! Macht eine Fährte, die man drei Meilen weit erkennen kann, und legt Euch am Ende derselben ruhig in das Gras, sodaß es jedem Roten kinderleicht werden müßte, Euch aufzufinden und auszulöschen. Ein Westmann scheint Ihr also keinesfalls zu sein!«

      Infolge seiner sonderbaren Riesennase hatte seine Stimme jenen eigenartigen Klang, weicher der Grund zu dem Namen Snuffle war. Er musterte mich mit einem forschenden, aber keineswegs übelwollenden Blick, den ich ruhig aushielt, und fuhr dann fort:

      »Nun, habt Ihr keine Antwort für mich?«

      »O doch; aber ich wollte Euch nicht widersprechen,« antwortete ich.

      »Widersprechen? Möchte wissen, woher Ihr das Zeug zum Widerspruch nehmen wolltet!«

      »Aus Euern Worten, Sir.«

      »Ah! Wirklich? Wieso?«

      »Ihr nanntet mich unvorsichtig, ohne den geringsten Grund dazu zu haben. Wenn jemand diesen Vorwurf verdient, so seid Ihr es.«

      »Wir? Wetter! Möchte wirklich wissen, wie Ihr das beweisen wollt!«

      »Sehr einfach. Meint Ihr denn wirklich, daß ein Roter, der auf meiner Spur käme, mich so leicht auslöschen könnte?«

      »Natürlich!«

      »Oho! Ich würde ihn kommen sehen, und er bekäme meine Kugel, ehe er nur wüßte, an welcher Stelle ich liege.«

      »Meint Ihr wirklich?«

      »Jawohl. Ihr selbst waret ja nur ein paar Schritte von mir entfernt, als Ihr mich endlich sahet. Ich hätte Euch also zehnmal so wegblasen können, wie Ihr glaubtet, daß ich weggeblasen sei.«

      Da richtete er einen erstaunten Blick auf seinen Bruder und sagte zu ihm:

      »Dieser Mann hat nicht unrecht; meinst du nicht, alter Tim? Er spricht fast wie ein Buch, obgleich er gar nicht so klug aussieht. Hätte uns wirklich ganz leicht wegputzen können, wenn es Feindschaft zwischen uns und ihm gäbe und« – fügte er mit Betonung hinzu – »wenn er ein Westmann wäre.«

      »Yes. Ein Westmann aber ist er nicht,« antwortete Tim in sehr bestimmtem Tone, indem er mich mit einem wohlwollend bedauernden Blicke betrachtete. »Wird irgend ein verirrter Settler sein.«

      »Jawohl; das sieht man ja mit dem ersten Blicke. Wollen uns seiner annehmen und ihn auf den richtigen Weg bringen. Sich hier im fernen Westen zu verirren und von den Comantschen ergriffen zu werden, ist keineswegs das höchste der Gefühle. Inzwischen können wir hier auch ein wenig ruhen; der Platz ist nicht übel dazu.«

      Er stieg ab, setzte sich zu mir nieder, was auch sein Bruder that, und fragte mich in jenem selbstbewußten, dabei aber freundlichen Tone, dessen sich ein Höherer einem hilfsbedürftigen Niederern gegenüber bedient:

      »Ihr habt doch nichts dagegen, daß wir Euch Gesellschaft leisten, he?«

      »Die Prairie ist für einen jeden offen, Sir.«

      »Oho! Das klingt ja genau so, als ob es Euch ganz schnuppe wäre, daß wir Euch Rat und Hilfe bringen wollen.«

      »Sehr lieb von Euch; brauche aber weder Rat noch Hilfe.«

      »Nicht?« fragte er, indem er die Brauen emporzog und mich bedenklich ansah. »Ihr habt Euch also nicht verirrt?«

      »Nein.«

      »Kennt Euch also aus in dieser Gegend?«

      »Ja.«

      »Hm! Sonderbar! Ich wette mein Maultier gegen eine junge Ziege, daß Ihr kein Westmann seid. Woher seid Ihr denn eigentlich?«

      »Aus Deutschland.«

      »Ein Deutscher? Hm, das will ich glauben; das ist allerdings sehr wahrscheinlich. Euer Gesicht, Euer Anzug, ja, ja, es ist alles deutsch an Euch. Man darf wohl erfahren, was Ihr hier treibt und wie Ihr heißt?«

      »Warum nicht? Aber ich war zuerst hier und habe also das Recht, diese Frage zunächst an Euch zu stellen.«

      »Wetter, sieht dieser Mann auf Ambition! Na, da wir wirklich später gekommen sind, wollen wir gemütlich sein und Euch sagen, daß wir Westmänner sind, echte, wirkliche Westmänner und keine Aasjäger, wie sie jetzt zu Hunderten die alte Prairie unsicher machen. Und wie wir heißen? Unser eigentlicher Name wird Euch wohl gleichgültig sein, denn wir werden von aller Welt nur »Die beiden Snuffles« genannt, nämlich wegen unserer Nasen, müßt Ihr wissen. Es ist das vielleicht ein wenig ärgerlich; aber wir sind es nun so gewöhnt, daß wir uns nichts daraus machen. So, jetzt wißt Ihr, was wir sind und wie wir heißen, und ich denke, daß Ihr meine Frage nun auch beantworten werdet.«

      »Sehr gern,« erwiderte ich, indem ich mich nun fast genau seiner eigenen Worte bediente. »Ich will auch gemütlich sein und Euch sagen, daß ich ein Westmann bin, ein echter, wirklicher Westmann und kein Aasjäger, wie sie jetzt zu Hunderten die alte Prairie unsicher machen. Und wie ich heiße? Mein eigentlicher Name wird Euch wohl gleichgültig sein, denn ich werde von aller Welt nur Old Shatterhand genannt.«

      Bei diesen meinen Worten sprang Jim Snuffle in die Höhe und rief aus:

      »Old Shatterhand? Alle Wetter! Da haben wir ja die große Ehre, den berühmtesten – –«

      Er konnte nicht weiter sprechen, denn sein Bruder Tim fiel ihm in die Rede:

      »Unsinn! Laß dir doch nichts weismachen, alter Jim! Sieh dir diesen Mann doch richtig an! Er und Old Shatterhand! Ich weiß doch genau, daß du auch Augen im Kopfe hast!«

      Jim folgte dieser Aufforderung, indem er seinen Blick über mich gleiten ließ, und stimmte dann in enttäuschtem Tone bei:

      »Well, hast recht, alter Tim; dieser Mann ist kein Old Shatterhand. Was habe ich nur gedacht! Wenn er Old Shatterhand wäre, so dürfte man einen Waschbär für einen Grizzly halten.«

      Während er dies sagte, setzte er sich wieder nieder; ich bemerkte ihm.

      »Ob Ihr meinen Worten Glauben schenkt oder nicht, kann an der Wahrheit derselben gar nichts ändern.«

      »Pshaw!« lachte er. »Ihr heißet nicht Old Shatterhand. Ich weiß besser, wer und was Ihr seid.«