Rudolf Steiner

Vom Menschenrätsel


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Dichtung, während es unzulässig sei, von deutscher Mathematik oder deutscher Physik in demselben Sinne zu reden.

      Es gibt Menschen, die in jeder Weltanschauung – jeder Philosophie – eine Begriffsdichtung sehen. Diese brauchen sich mit dem Einwand, der aus der angedeuteten Empfindung ersteht, nicht zu beschäftigen.

      Doch die Ausführungen dieser Schrift sind nicht von solchem Gesichtspunkte aus geschrieben. Sie stellt sich auf den andern, dass im Ernste niemand von einer Weltanschauung sprechen kann, der ihr nicht einen Erkenntniswert zuerkennt, der nicht voraussetzt, dass ihre Gedanken aus Wirklichkeiten stammen, die allen Menschen gemeinsam sind. Man kann auch sagen, das sei im allgemeinen richtig; aber eine allen Menschen gemeinsam geltende Weltanschauung sei ein Ideal, das noch nirgends verwirklicht ist; alle bestehenden Weltanschauungen tragen an sich, was aus der Unvollkommenheit der Menschennatur ihnen aufgedrückt ist. Auf eine Besprechung der aus solchem Grunde bestehenden Unvollkommenheit der Weltanschauungen kann hier verzichtet werden. Denn es sollen nicht etwa aus der Volkstümlichkeit von Weltanschauungsgedanken Entschuldigungen für deren Schwäche, sondern Gründe für deren Stärke gesucht werden. Daher kann die Behauptung hier außer Betracht bleiben, dass eben die Denker wie von ihren persönlichen Standpunkten, so auch von dem abhängig sind, was ihnen aus ihrer Volkheit anhaftet; und dass sie eben deshalb nicht zu einer allgemein-menschlichen Weltanschauung durchdringen können.

      Diese Schrift spricht von einer Reihe von Persönlichkeiten in dem Sinne, dass deren Gedanken wirklich allgemein-menschliche Geltung zuerkannt wird. Von dem, was als Irrtümer oder einseitige Ansichten gekennzeichnet wird, nur insofern, als man darin Umwege zur Wahrheit sehen kann. Könnte aus der erwähnten Empfindung heraus ein unbedingt geltender Einwand entspringen, so hätte er Berechtigung gegenüber der Art, wie in dieser Schrift Weltanschauungsgedanken mit dem Wesen der deutschen Volkheit in Verbindung gebracht werden. Was dieser Empfindung aber entgegengehalten werden muss, durchschaut man nur, wenn man sich von einem Glauben abbringen kann, der auch in anderer Richtung schwerwiegende Täuschungen hervorruft. Es ist der Glaube, die vielartigen Gedankengestaltungen der in Weltanschauungsfragen forschenden Denker seien wirklich ebenso viele verschiedene Weltanschauungen, die miteinander nicht bestehen können.

      Aus diesem Glauben heraus bekämpft oft der naturwissenschaftlich Gesinnte den Mystiker, der Mystiker den naturwissenschaftlich Gesinnten. Der eine meint, die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse seien allein wahre Ergebnisse der Wirklichkeitsforschung; aus ihnen müsse man die Gedanken gewinnen, welche für Welt und Leben Verständnis bringen können, so weit dieses Verständnis von dem Menschen erreichbar ist. Der andere bekennt sich zu der Ansicht, das wahre Wesen der Welt erschließe sich nur dem mystischen Erleben, und die Gedanken des naturwissenschaftlich Gesinnten können an die echte Wirklichkeit nicht herankommen. Der »Monist« ist nur zufrieden, wenn eine einheitliche Grundlage für die stoffliche und die geistige Welt vorgestellt wird. Entweder es erblickt die eine Art der Monisten diese Grundlage in den Stoffen und ihren Wirkungen, so dass ihnen die geistigen Erscheinungen zu Offenbarungen der stofflichen Welt werden. Oder andere Monisten gestehen nur dem Geiste wahres Sein zu und glauben, alles Stoffliche sei nur eine Art des Geistigen. Der Dualist sieht in einer solchen Vereinheitlichung ein Verkennen sowohl des Wesens des Stoffes wie auch des Geistes. Nach seiner Ansicht müssen die beiden als für sich mehr oder weniger selbständige Weltgebiete betrachtet werden.

      Es käme eine lange Reihe zustande, wenn man auch nur die hervorragendsten dieser vermeintlichen Weltanschauungen kennzeichnen wollte. Nun gibt es ja viele Menschen, die meinen, über alles Reden von Weltanschauung hinausgekommen zu sein. Diese sagen: ich richte mich in der Erkenntnis nach dem, was ich in der Wirklichkeit finde; was eine Weltanschauung davon hält, darum kümmere ich mich nicht. Das glauben sie zwar; allein ihr Verhalten zeigt etwas völlig anderes. Sie bekennen sich mehr oder weniger bewusst, oder auch unbewusst, doch in der allerentschiedensten Art zu einer solchen Weltanschauung.

      Wenn sie diese auch nicht unmittelbar aussprechen oder denken, so entwickeln sie ihre Vorstellungen in deren Richtung und bekämpfen, lehnen ab oder behandeln die Vorstellungen anderer Menschen so, wie es einer solchen »Weltanschauung« entspricht.

      Dem bewussten oder unbewussten Glauben an solche vermeintliche Weltanschauungen liegt eine Täuschung zum Grunde über das Verhältnis des Menschen zur außermenschlichen Welt. Der in dieser Täuschung Befangene hält nicht recht auseinander, was der Mensch von der Außenwelt für die Gestaltung der Gedanken empfängt, und was er aus sich selbst herausholt, wenn er Gedanken bildet.

      Bemerkt man, dass zwei Denker verschiedene Gedanken über die Fragen des Lebens aussprechen, so hat man allzuleicht das Gefühl: wenn die beiden mit ihren Gedanken die wahre Wirklichkeit zum Ausdrucke brächten, so müssten sie ein Gleiches, nicht Verschiedenes sagen. Und man denkt, die Verschiedenheit könne nicht in der Wirklichkeit, sondern nur in der persönlichen (subjektiven) Auffassungsart der Denker ihre Gründe haben. Wenn dies auch nicht immer offen bekannt wird von den Menschen, die über Weltanschauungen sprechen, so liegt diese Meinung dem Geiste und der Haltung ihres Redens doch mehr oder weniger bewusst oder auch unbewusst zum Grunde. Ja, die Denker selbst leben zumeist in einer solchen Befangenheit. Sie sprechen ihre Gedanken über das aus, was sie für Wirklichkeit halten, sehen diese Gedanken für ihr »System« einer rechten Weltanschauung an und glauben, eine andere Gedankenrichtung beruhe auf der persönlichen Eigenart des Denkers.

      Die Darstellung dieser Schrift hat eine andere Ansicht zu ihrem Hintergrunde. (Diese Ansicht kann an dieser Stelle zunächst allerdings nur wie eine Behauptung vorgebracht werden. Ich hoffe, dass man in der Schrift selbst einiges zu ihrer Begründung werde finden können. In einem großen Teile meiner andern Schriften habe ich mich bemüht, manches weitere zu dieser Begründung beizutragen.)

      Zwei voneinander abweichende Gedankenrichtungen können ihrem Wesen nach oftmals nur dadurch begriffen werden, dass man ihre Verschiedenheit so ansieht wie die Verschiedenheit zum Beispiele zweier Bilder eines Baumes, die von zwei Richtungen her durch einen Photographierapparat aufgenommen sind. Die Bilder sind verschieden; aber ihre Verschiedenheit beruht nicht auf dem Wesen des Apparates, sondern auf der Stellung des Baumes zum Apparat. Und diese ist etwas ebenso außerhalb des Apparates Liegendes wie der Baum selbst. Die Bilder sind beide wahre Ansichten von dem Baume. Das Abweichende zweier Weltanschauungen hindert nicht, dass beide die wahre Wirklichkeit zum Ausdrucke bringen.

      Die Wirrnis der Ideen entsteht, wenn die Menschen dieses nicht durchschauen. Wenn sie sich zu Materialisten, Idealisten, Monisten, Dualisten, Spiritualisten, Mystikern oder gar – Theosophen machen, oder von anderen gemacht werden, und damit ausgedrückt werden soll: man käme nur zu einer wahren Ansicht über die Quellen des Lebens, wenn man seine ganze Denkweise im Sinne eines dieser Begriffe abstimmt.

      Aber es ist die Wirklichkeit selbst, die von der einen Seite her durch materialistische Ideen erkannt sein will; von einer anderen durch geistgemäße, von einer dritten als Einheit (Monon), von einer weiteren als Zweiheit. Der denkende Mensch möchte durch eine Vorstellungsart das Wesen der Wirklichkeit umfassen.

      Und wenn er bemerkt, dass er dieses umsonst unternimmt, so behilft er sich damit, dass er sagt: alle Vorstellungen über die Wurzeln des wirklichen Lebens sind persönlich (subjektiv) gestaltet, und das Wesen des »Dinges an sich« bleibt unerkennbar. – Aus wie vielen Verwirrungen des Gedankenlebens heraus führte doch die Erkenntnis, dass gar mancher Mensch über eine von der seinigen abweichende Weltanschauung so spricht, wie einer, der das von einer Seite her aufgenommene Bild eines Baumes kennt, und der, gestellt vor ein von anderer Seite her erhaltenes, nicht zugeben will, dass dies ein »richtiges« Bild desselben Baumes ist!

      Viele, die sich Lebenspraktiker dünken, trösten sich über solch quälende Weltanschauungsfragen allerdings dadurch hinweg, dass sie sagen: lasset diejenigen über diese Dinge streiten, die dazu Muße und Lust haben; dem wahren Leben schadet dies nichts; das braucht sich darum nicht zu bekümmern. Aber so sprechen können doch nur diejenigen Menschen, welche gar nicht ahnen, wie weit ihre Vorstellungen von den wirklichen Triebkräften des Lebens entfernt sind.

      Es sind dies diejenigen Menschen, deren Bild Johann Gottlieb Fichte vor der Seele stand, als er die Worte sprach:

      »Indes man in demjenigen Umkreise, den die gewöhnliche Erfahrung um uns gezogen, allgemeiner selbst denkt und richtiger urteilt,