Johannes Hucke

Zurück zu Schmitt!


Скачать книгу

ergänzte: „Man muss hier fahren wie der Teufel! Sonst hat man keine Chance. Die bügeln einen glatt um.“

      Wer eigentlich? Die Vorstadt war im Augenblick menschenleer.

      „Äh, Herr Schmitt! Sie sind dran vorbeigefahren.“

      „Was?“

      Der Mercedesfahrer trat fest auf die Bremse.

      „Wo?“

      „Urps – . An der Packura. Wir fahren – Urps! Urps! – selbstverständlich auf den Firmenparkplatz. Wenn Sie einmal um den Block ...“

      Den Vorschlag hätte sich Essenwein sparen können. Gequält drehte Schmitt den Hals, aber nur zur Hälfte oder eher zu einem Viertel, denn seine Nackenverspannungen waren chronisch. Dann setzte er mit Vollgas zurück, stark schlingernd und weit über das Ziel hinausschießend.

      „Halt! Halt, Herr Schmitt! Jetzt sind Sie wieder dran vorbei gefahren!“

      „Was?“

      „Die Firma ... das Bürogebäude ... jetzt ist es wieder da vorne.“

      „Wenn Sie alles besser wissen, warum fahren Sie nicht selber? Man kriegt doch keine klaren Anweisungen mehr.“

      Einmal mehr gelang es Gisela Schlesinger, den Ex-Kollegen zu beruhigen.

      Die Packura ---. Eine bösartig übergrelle Nachmittagssonne ließ die weiße Fassade des Bürotrakts der Firma blendend aufleuchten.

      Schmitt stand still.

      Dem Auto entstiegen, bemühte er sich offenbar, aus dem Fremden das Vertraute herauszuspähen.

      Es misslang.

      „Was ist das hier?“

      „Tja, Herr Schmitt.“ Essenwein schob sich von schräg hinten näher. „Wären Sie auf unsere Weihnachtsfeiern gekommen ...“

      „Hören Sie auf mit dem Kiki. Wer hat hier so viel Geld verplempert?“

      „Vor drei Jahren mussten wir die Packura einem Facelifting ...“

      „Was?“

      „ ... unterziehen.“

      „Das Gebäude wurde renoviert“, flüsterte die Schlesinger.

      Es war alles viel schlimmer als befürchtet.

      „Wo ist der Schriftzug? Die Leuchtschrift?“

      „Abmontiert.“

      „Warum?“

      Die Sekretärin hob die Schultern.

      Wie einen Moribunden nahmen die beiden Schmitt in die Mitte und führten ihn die neugestaltete Auffahrt hinauf, gesäumt von schweineteuren Schlangentannen und kinetischen Kunstwerken aus Aluminium. Das sei gerade hip, hatte der Manager der Gartenbaufirma geflötet. Mit seiner Chipkarte öffnete Jens die edelgrau und maigrün eingefasste Sicherheitstür. Wo früher das filigrane Treppengeländer aus den Fünfzigern den Kunden im Schwung entgegengeeilt kam, entbreitete sich jetzt eine Empfangshalle, wie sie einem soeben eröffneten Luxushotel wohlangestanden hätte. Inmitten fieselte eine Quelle aus einem weiteren kühlen Kunstwerk hervor und verlor sich zwischen Basaltplatten.

      Schmitt schwieg.

      Von einem gläsernen Aufzug wurden sie in den dritten Stock empor gehoben, Schmitts alte Etage. Hier saß die Verwaltung. Die Organisation. Die Büroleitung. Nichts erkannte er wieder. Essenwein erzählte, die Schlesinger beschwichtigte, und Schmitt schwieg. Großraumbüros mit von überall einsehbaren Computertischen wechselten mit loungeartig offenen Sitzgruppen, wintergartenähnlichen Konferenzräumen, baumbestandenen Verbindungsfluren.

      „Schön hell geworden, was?“, wagte Essenwein einen Vorstoß.

      Schmitt schwieg.

      Nur ein einziges Mal sagte er was. In den Fluren kamen den Besuchern einzelne Eifrige entgegen. Gisela und Jens grüßten, mal geschäftsmäßig, mal freundschaftlich. Zweimal wurde Schmitt offenbar höchst bedeutsamen Mitarbeitern vorgestellt. Die sahen aus, als wären sie aus Knetgummi zusammengefummelt. Er blickte zur Seite, verweigerte den Handschlag.

      Als sie wieder zu dritt waren, wandte er sich an Gisela:

      „Was machen die alle hier? Es ist doch Samstag.“

       Der Direktor drängte sich mit einer Antwort dazwischen.

      „Das gab es doch schon, als Sie noch hier tätig waren, Herr Schmitt. Damals hieß das „gleitende Arbeitszeit“, erinnern Sie sich? Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mündig! Sie können sich frei einteilen, wie sie ...“

      „Schwachsinn.“ Schmitt fingerte eine HB aus der Jackentasche. „Wochenende ist Wochenende. Wann sollen sich die Leute denn erholen?“

      Giselas Blick, den er aus dem Augenwinkel empfing, beinhaltete leise Zustimmung.

      Als der Gast im eigenen Hause auch noch ein Feuerzeug auspackte und seine Zigarette anglühte, musste der Direktor einschreiten. Er keuchte beinahe:

      „Herr Schmitt, bitte. Wir haben striktes Rauchverbot. Seit den frühen Neunzigern, mindestens. Auf der Dachterrasse ...“

       „Ist mir Wurscht.“

      Schmitt rauchte, Essenwein keuchte, und die Schlesinger grinste.

      Die Führung dauerte nicht mehr lange. Im Gegensatz zu den Räumlichkeiten für die Chefs und Angestellten entbehrten sowohl Fertigung als auch Lager und Versand jedweder neuzeitlichen Aufhübschung.

      „Hier hat der Zaster dann wohl nicht mehr gelangt,“ ließ sich der Ehemalige am Hinterausgang vernehmen. „Da zieht´s noch genauso wie früher. Ein Furunkel hab ich mir geholt.“

      Es war die Stelle, wo er seine letzten drei Monate abgesessen hatte.

      Essenwein widersprach nicht. Er schien erschöpft: So ein verdammter Knacker! Unangenehm, verdammt unangenehm. Aber genau darum hatte er die ganze Prozedur ja ins Rollen gebracht. Falls Schmitt zusagte, begab er, Essenwein selbst, sich schon am Dienstag nach Bad Gastein – für mindestens drei Monate, besser ein halbes Jahr. Dann hatten die anderen den Trubel. Ballenberger würde enorme Verluste – vor allem an Humankapital – hinnehmen müssen, bis er den reaktivierten Rentner loshatte.

      Wie wär´ das schön!

      „Sie hatten gesagt“, Essenwein wedelte in der Luft, um Schmitts dritte Zigarette nicht riechen zu müssen, „dass Sie sich rasch entscheiden würden?“

      „Habe ich.“

      „Und das gilt noch?“

      „Was denken Sie denn? Ich entstamme einer Generation, wo das Wort noch gegolten hat.“

      „Ich dachte nur, es hat sich ja so viel verändert, hier. Und die ganzen Formalitäten und ...“

      „Kann ich Sie heute Abend erreichen?“

      „Sicher. Gerne. Hier ist meine Karte.“

      „Ich rufe Sie Punkt 19 Uhr an.“

      Die Rückfahrt geriet nicht weniger haarsträubend als der Hinweg. Gleichzeitig bremsten Schlesinger und Essenwein immer wieder hinten mit. Einmal wich Schmitt mit Schwung einem Möbeltransporter aus, der, von Warnblinklichtern scheinbar gesichert, in zweiter Reihe parkte. Dabei übersah der Fahrer zwei Studentinnen mit Kisten und Topfpflanzen, die sich empört in Sicherheit brachten.

      „Das ist eine Fahrbahn!“, schrie Schmitt, ohne jede Aussicht, dass die Unvorsichtigen ihn hätten hören können. „Eine Fahrbahn ist keine Parfümabteilung, Ihr Flittchen!“

      Auch eine Hundehalterin samt Golden Retriever entkam nur unter Aufbietung von Akrobatik einer Attacke des immer noch erstaunlich flotten Mercedes´.

      „Diese Arschis“, keifte Schmitt. „Alles zukacken, aber die Klappe aufreißen. Wo sind wir denn hier?“

      Aber dann waren sie da. Essenwein,