Manja Gautschi

Steintränen


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      8 - Mara - Steintränen

      Wie geplant hatte Mara die Steinberge erreicht und sich ihr Nacht-Quartier eingerichtet, wo Custa und das Packpferd auf sie warteten, während sie zu Fuss mit Sammelmesser und Samtbeuteln Steintränen sammelte.

      Für einen Moment stellte sie sich reglos hin und schloss die Augen. Die Luft roch frisch und klar. Sie genoss den feinen Wind in ihrem Haar und diese Stille in den Steinbergen. Sie konnte sich keinen friedlicheren Ort vorstellen. Hier war sie alleine, nur mit sich selbst und konnte so richtig durchatmen. Sie mochte zwar stets Boris Anwesenheit und die ihrer Freunde, aber so richtig Energie tanken konnte sie nur hier, alleine. Anfänglich sorgte sich Boris, dass sie sich zu sehr absonderte, akzeptierte es aber mit der Zeit und merkte, dass Mara es nicht tat, weil sie sich irgendwie ausgeschlossen oder verstossen fühlte, sondern einfach nur, weil es ihr gefiel. Also liess er sie.

      Genüsslich zog sie die frische, klare, kalte Nachtluft durch die Nase. Es roch unheimlich gut. Die Ausbeute würde gut werden. Im Licht der beiden Zwillingsvollmonde glänzten die orangen Steintränen der weinenden Felsen wie wunderschöne Kristalle.

      In so klaren und kalten Nächten sonderten die Felsen der Steinberge immer besonders viele Tränen ab, dass konnte Mara riechen. Allerdings, wenn die Nächte so kalt waren wie heute, gab es zwar viele Steintränen, dafür waren die Eiswinde auch gefährlicher. Wurde man von einem Eiswind erfasst, erfror man in Sekunden, ausser man hatte ein dickes Fell wie die Riesensteinböcke und die Schwarzkrallen, die beiden grössten Säugetiere, die hier oben in den Steinbergen zu leben vermochten. Die Steintränensammler mussten immer auf der Hut vor den Eiswinden sein, die sich wie kleine Tornados zwischen den Felsen herum schlängelten. Mit der Zeit entwickelten erfahrene Sammler eine Art Gespür für die Eiswinde, aber schon manchen kostete diese nächtliche Arbeit das Leben.

      Weil die Arbeit als Steintränensammler so gefährlich war, gab es nicht viele Sammlerinnen und Sammler, trotz der steigenden Nachfrage und den immer höheren Preisen. Erntemaschinen gab’s auch keine, einmal von einem Eiswind erwischt, gab jedes Gerät seinen Geist auf. Und Steine in einem Kühler künstlich abkühlen funktionierte nicht. Die Tränen hatten einen Zusammenhang mit Luft und Licht hier an diesem Ort.

      Das alles kümmerte Mara wenig, sie war weder besonders erpicht darauf reich zu werden, noch hatte sie Angst vor den Eiswinden, denn sie war eine Meisterin auf ihrem Gebiet. Es war für sie kein Problem die Eiswinde frühzeitig zu hören und zu spüren, sodass sie immer rechtzeitig ausweichen konnte. Auch die Kälte machte ihr weit weniger aus als den anderen Sammlern.

      Nein, sie genoss es einfach immer wieder in der Stille der Steinberge zu sein und die frische, klare Luft einzuatmen. Hie und da hörte sie einen Riesensteinbock oder lauschte dem Wind. Auch die Arbeit im Dunkeln störte Mara nicht, ihre Augen hatten sich wohl schon so an die Dunkelheit gewöhnt, sodass sie nachts genauso gut sah wie tagsüber.

      Das ganze Jahr über lag Schnee in den Bergen. Nicht viel, denn die Niederschläge waren selten. Nebel hingegen gab es viel. Die Steine sonderten tagsüber feinen Dampf ab, der sich nachts wie eine kristallene, glitzernde Haut über die Felsen legte um sich am Tag in feinen Wasserfäden zu sammeln und die Steine hinunterzuperlen. Manche verschwanden zwischen den Steinen, manche bildeten den Anfang von Wasserbächen.

      Mit der gekrümmten Klinge des speziellen Sammelmessers musste sie die Steintränen von den Felsen schaben, was nur ging, wenn es richtig kalt war, denn nur dann weinten die Felsen und nur nachts wurde es in den Steinbergen genügend kalt dafür. Wie eine unwirkliche Zauberlandschaft der Nacht sahen die glitzernden Felsen mit den orangen Tränen aus.

      Steintränen waren für die Medizin in den letzten Jahren immer unverzichtbarer geworden. Beinahe jedes Mittel enthielt in irgendeiner Form Steintränen, denn Steintränen haben enorme Heilkräfte. Sie verhinderten Entzündungen, Prellungen und förderten die Wundheilung. Das Wundermittel der letzten Jahre schlechthin. Die Terra Sonnensystem Chemiker forschten schon lange daran es synthetisch herzustellen, ohne Erfolg. Auch suchte man schon lange nach einer anderen Quelle, aber nur in den Steinbergen bei Rupes auf Steinwelten existiert diese sonderbare chemische Verbindung.

      Und wer weiss, wenn Boris Entführung mit den Steintränen zu tun hatte? Wenn das Terra Sonnensystem tatsächlich vor einem weiteren Krieg nicht zurückschreckt? Nein, dachte Mara, was sollte dann Boris für eine Rolle spielen, er war doch nur der Apotheker von Rupes und seine Tinkturen waren kein Geheimnis. Was wohl in diesem Koffer sein wird? Antworten oder noch mehr Fragen?

      ‚Ah!! Stop!’ Mara schüttelte den Kopf um diese kreisenden Gedanken loszuwerden. Denken, denken, immer denken! Sie ermahnte sich in Gedanken selbst damit aufzuhören und Stille und Ruhe einkehren zu lassen, wenn auch nur für ein paar Stunden. Sie nahm das samtene Säckchen aus der Manteltasche und schabte ganz vorsichtig die ersten Steintränen hinein. Wie kleine Perlen kullerten die orangenen, glitzernden Krümel ins Säckchen, worin sie gegen Morgen von alleine zu feinem, reinstem Steintränenpulver zerfallen werden.

      Noch einmal streckte sie den Kopf in die Luft und zog noch einmal die Luft der Nacht durch ihre Nase. Was wollte sie mehr. Frieden und Ruhe. Und wünschte sich nichts mehr für alle. Gewalt ging ihr so gegen den Strich.

      9 - Aron, Ilrimi & Simone - ‚Code 9’ und der Stadtmeister

      Die Tür öffnete sich langsam einen Spalt breit und ein hagerer, kleiner Mann mit schwarzem Haar und Brille schielte in den dunklen dreckigen Gang hinaus. „Wer ist da?“ fragte er leise und zickig, denn der Besucher hatte sich eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, sodass er ihn mit der Überwachungskamera nicht hatte erkennen können.

      Obwohl der Besucher den geheimen Ort und ihr Zeichen kannte, blieb Ilrimi immer noch vorsichtig. Deshalb hielt er seine Schusswaffe geladen hinter der Tür bereit. „Lass mich schon rein!“ sprach eine Frauenstimme unter der Kapuze hervor. „Hein?“ schnaubte Ilrimi und versuchte unter die Kapuze zu blicken. „Ich bin’s! Simone!“ drängte Simone. Sofort entspannte sich Ilrimi und er öffnete hastig die Tür um sie gleich ebenso hastig wieder zu verschliessen.

      Erstaunt blickte er auf Simone „Simone!“ brachte er hervor „Was machst du denn hier? Wieso hast du nichts gemeldet?“ sprach er weiter während er mit ihr in den nächsten Raum lief und sie endlich die Kapuze vom Kopf nahm.

      Nach dem kleinen Eingangsbereich betraten sie einen etwas grösseren Raum, der sich dank der vielen technischen Geräte und Monitoren mehr wie eine Sauna anfühlte als wie ein geheimes Büro unter der Erde. Vom Technik-Raum aus führten zwei weitere Türen weg. Eine in eine kleine Küche und eine zu ein paar Schlafstellen mit Toilette und Dusche. Während des Siedlungskrieges zwischen Rupes und Rotsand entstanden unter Rotsand viele solche unterirdischen Verstecke, es wusste nur keiner mehr genau, wo sie alle waren und das hier war so ein Versteck. Hier hatten sich Ilrimi und Aron eingerichtet und von hier aus koordinierten sie ihre geheimen Missionen, welche die offiziellen Wachcorps von Rupes und Rotsand nicht ausführen konnten, bzw. durften, wie z.B. Boris Befreiung. Arons Vater hatte das Ganze ins Leben gerufen und aufgebaut. Seither hatten sie Verbündete im gesamten Universum.

      Im Technik-Raum, wo Simone und Ilrimi jetzt standen, sass ein zweiter Mann, der im Sessel vor den Monitoren eingeschlafen war und laut schnarchte. „Aron!“ Ilrimi schüttelte seinen Freund so ruppig an der Schulter, dass dieser fast aus dem Sessel fiel. Fluchend öffnete Aron seine Augen „Verflucht noch mal! Ilrimi was soll das denn? Du trampeliger Rüppel mit Brille und...“ dann sah er Simone und plötzlich blickten ihr Aron’s hellwache Augen entgegen. „Simone!“ Aron stand auf und umarmte Simone überschwänglich.