„Ja bitte, kommen Sie herein.“
Der Hotelangestellte betritt den Raum, wendet sich sofort dem ersten Fenster zu, öffnet es, zieht die Läden heran und verriegelt sie sorgfältig. Dasselbe beim Zweiten. Er verabschiedet sich mit den Worten „Entschuldigen Sie bitte die Störung, jetzt kann Ihnen hier nichts mehr passieren.“
Die Stehlampe in der Ecke des Zimmers verbreitet ein angenehmes gedämpftes Licht. Carina testet den Sitz des Bademantels, verknotet ihn mit dem Bindegürtel so, dass er vorne auseinanderfällt, sobald sie sich setzt.
Sie wartet. Sollte ihn die Sturmwarnung abgehalten haben? War ihr Angebot für ihn zu eindeutig gewesen? Ist er womöglich der getreue Mann, der hier auf der Insel lediglich ein paar Tage auszuspannen gedenkt? Währen sie darüber nachdenkt, vernimmt sie von draußen ein erstes Heulen des herannahenden Sturms. Wenn er jetzt nicht schon unterwegs ist, kommt er nicht mehr, überlegt sie gerade, als das Telefon auf dem Nachttisch klingelt. Sie hebt ab, hält sich den Hörer ans Ohr: „Ja bitte?“
„Entschuldigen sie die Störung, Frau Elbers, ein Herr Anger wünscht sie zu sprechen.“
„Ja, bitten Sie ihn herauf!“
Kurz darauf klopft es an der Tür. Ein letzter Blick in den Spiegel im Flur, bevor sie die Tür öffnet.
Vier
Wir klammern uns aneinander mit der Gewalt eines totalen Bebens aus Verlangen und Erleichterung. Es ist eine Umarmung, die mich alles bisher erlebte für immer vergessen lassen kann. Es ist eine Umarmung, die keiner anderen meines Lebens gleicht, soweit ich mich erinnern kann. Ich versuche den Kopf in den Nacken zu legen, um ihr ins Gesicht zu schauen, aber sie hält die Augen geschlossen und presst sich immer noch an mich. Wir scheinen uns nicht mehr voneinander lösen zu können, sind nicht mehr in der Lage, aufhören zu können, den Druck unserer eng aneinander geschmiegten Körper zu spüren, das Gefühl des Gefundenhabens und der Zuflucht, das Gefühl angekommen zu sein.
Ich streiche mit den Händen über ihren Rücken, um ihre Taille und ihre Hüften, küsse sie auf den Hals und auf die Schläfe und auf die Stirn, um ihr noch näher zu sein. Ich küsse sie auf die Lippen. Eine riesige Lust steigt in mir auf, zu nehmen und zu besitzen. Ich küsse sie wieder auf den Mund und öffne mit der Zunge ihre Lippen. Was ich dann erlebe, sprengt meinen gesamten sexuellen Erfahrungsschatz.
Die wenigen Male, die sich Regina nach dem anfänglichen Theater mir hingegeben hat, waren immer in derselben Weise vonstattengegangen. Sie hat mich empfangen, mich gewähren lassen, sich anschließend auf die Seite gelegt.
Zum ersten Mal in meinem Leben ergreift eine Frau die Initiative. Sie wirft mich rücklings auf das Bett. Sie streichelt mich, bis sie meine Bereitschaft spürt. Sie setzt sich auf mich, bewegt sich, entzieht sich mir zum rechten Zeitpunkt. Wehrt mich ab, als ich ungeduldig werde. Sagt: „Ich will es sehen.“ Danach führt sie meine Hand zu sich, und ich gebe das gerade erlebte an sie zurück.
Erst als wir beide entspannt, einander zugewandt, noch keiner Worte fähig sind, registriere ich das Heulen des Sturms, der jetzt mit gesteigerter Kraft an den Fensterläden rüttelt und zerrt und es den Anschein hat, als würde er immer wütender in seiner Erfolglosigkeit, uns zu erreichen.
Fünf
Spät am Morgen, eigentlich ist es schon Vormittag, bestellt Carina für uns das Frühstück aufs Zimmer. Ich warte im Bad, bis der Zimmerservice den Raum wieder verlassen hat, höre noch, wie er sagt, der Sturm habe noch nicht an Kraft verloren und dass sie die Fensterläden besser noch geschlossen hielte.
Wir stellen das große Tablett zwischen uns aufs Bett, greifen beide hungrig zu. Als ich zu ihr unter die Decke kriechen will, vertröstet Carina mich auf später und schlägt vor, dem Sturm zu trotzen, auf der Wattseite einen Spaziergang zu machen. Ich bewundere ihren Mut, erinnere mich daran, dass Regina das Haus nicht mehr verließ, selbst wenn das Gewitter noch kilometerweit entfernt war. Plötzlich plagen mich Gewissensbisse. Ohne ihr zu sagen, was ich vorhabe, wohin ich zu gehen gedachte, war ich einfach so abgehauen. Sicher würde sie sich jetzt um mich sorgen. Gestern noch, vor der Nacht mit Carina, kamen mir solche Gedanken nicht in den Sinn. Jetzt, nach dem Betrug, fühle ich mich schuldig. Mehr zum eigenen Schutz, zur Rechfertigung meines Handelns, erinnere ich mich: Eine Schulkameradin, die Regina einmal eingeladen hat, und die ich später zufällig in der Stadt traf, erzählte mir, als ich sie danach fragte, wie Regina früher so gewesen sei, dass Regina bei ihren Mitschülern nicht beliebt war. Sie galt als Petze und Miesmacherin. Beide Eigenschaften führten dazu, dass sie sich bei ihren Lehrern einschmeichelte. Das habe sie auch nötig gehabt, bei ihren schlechten Leistungen. Ihren Klassenkameradinnen gegenüber, denn Freundinnen habe sie nicht gehabt, behauptete sie, die Lehrer mochten sie nicht und gaben ihr deshalb schlechte Noten. In Wirklichkeit sei sie einfach nur dumm aber raffiniert genug, ihr Wissen über Verfehlungen anderer geschickt einzusetzen, um sich damit Vorteile zu verschaffen. Einmal habe sie einer Lehrerin gesteckt, dass sie auf der Toilette beobachtet habe, wie ein Mädchen und ein Junge sich in einer Kabine eingeschlossen hätten, um dort nicht nur zu rauchen, nein, um es miteinander zu treiben. Die Lehrerin sei empört gewesen, weil der Junge, zweimal sitzen geblieben, achtzehn und das Mädchen erst vierzehn Jahre alt gewesen seinen. Das hätte ein gerichtliches Nachspiel gehabt. Besonders schlimm, so die ehemalige Schulkameradin, Regina sei für die Anschwärzerei schulöffentlich gelobt worden, was ihre Versetzung in die höhere Klasse gesichert habe.
Als mir die Frau das erzählte, dachte ich noch, na gut, das ist schon lange her, und Menschen können sich schließlich ändern. Von da an achtete ich allerdings darauf, wie Regina über unsere Nachbarn sprach, und glaubte alsbald die Aussagen der ehemaligen Mitschülerin bestätigt zu finden.
Schlimmer noch. Bald wurde ich selbst das Opfer von Reginas Tratschsucht, denn eines Tages sprach mich ein Bekannter an, ich solle es doch besser unterlassen, Regina Gewalt anzutun. Wenn nicht, sähe er sich gezwungen, etwas zu unternehmen. Ich war völlig perplex und fragte nach. Er meinte, Regina hätte angedeutet, ich sei sexsüchtig und bedrängte sie täglich. Ich habe mich nicht dazu geäußert. Am Abend sprach ich Regina darauf an. Sie tat entsetzt, sagte: „Er lügt, so etwas würde ich doch nie behaupten.“
Ich verdränge diese Gedanken, steige aus dem Bett, ziehe meine Sachen an, die ich schon gestern, der Wetterlage entsprechend getragen habe. Carina beobachtet mich eine Zeit lang, was ich registriere, ohne es mir anmerken zu lassen. In ihrer Mimik glaube ich die Frage zu lesen: „Ist etwas, Valentin?“
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