Ralph Ardnassak

Void State: Das letzte Geheimnis


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schimmernden Rettungsdecke mit PET-Beschichtung.

      Der Einsatz des Schockgebers, des Defilibrators, hatte sich als wirkungslos erwiesen.

      Ebenso seine Intubation und die Beatmung mit dem Beatmungsbeutel.

      Die Gabe von Adrenalin als Standardmedikament, 1 mg alle drei bis fünf Minuten intravenös, zur Durchblutungsanregung von Herz und Gehirn, war erfolglos verlaufen.

      Auch die Verabreichung des Antiarrhytmikums Amiodaron, 300 mg, war zwecklos gewesen.

      Sein Körper widersetzte sich mit ungewohnter Beharrlichkeit sämtlichen Versuchen der Sanitäter und des Notarztes, ihn ins Leben zurück zu holen. Es schien, als sei seine irdische Zeit nunmehr endgültig und unwiderruflich abgelaufen und eine höhere Macht, gegen die kein Kraut gewachsen war, habe das vollständige und allumfassende Versagen sämtlicher Maßnahmen der ärztlichen Kunst beschlossen.

      „Soll wohl absolut nicht sein!“, knurrte der Notarzt im Sankra, der solche Fälle kannte. Entweder wollte der Geist des Sterbenden partout nicht mehr oder ein großes und ihm vollkommen rätselhaftes Fatum schien über dem Körper zu schweben, das alle ärztliche Bemühungen vollkommen entkräftete und wirkungslos werden ließ. Er konnte es mit seinen eigenen Worten nicht erklären oder beschreiben. Aber er konnte die beinahe körperliche Präsenz dieser Kraft fühlen. Es schien dies eine Kraft zu sein, gegen die alle ärztliche Kunst machtlos war. Eine ungeheuerliche Kraft. Eine urtümliche Kraft. Eine Kraft aus den Anfängen des Universums, als das All noch aus der Singularität bestand und Raum und Zeit gerade erst im Werden und Entstehen begriffen waren.

      Der Notarzt verinnerlichte sich, wie stets in solchen Situationen, den Grundsatz des Palliative Care, wonach der Akzeptanz der generellen Endlichkeit menschlichen Lebens aller höchste Priorität gebührt und eine künstliche Versorgung toter Körper abgelehnt wird.

      Ein künstliches Verzögern und weiteres Hinausschieben des Sterbens jenes männlichen Körpers, der dort vor ihm lag, war damit ebenso vollständig abzulehnen, wie jedwede Form einer aktiven Sterbehilfe.

      Das Leben dieses Mannes dort auf der Trage war unwiderruflich beendet.

      Er stellte jede Form der weiteren Herz-Lungen-Reanimation und der Wiederbelebungsversuche ein. Er verzichtete auf das Absetzen eines Notrufes. Er entfernte den Tubus aus der Luftröhre des toten Mannes und beendete damit die künstliche Beatmung.

      Die Herzdruckmassage und die Defillibration des Patienten setzte er ebenfalls aus.

      Er verabreichte keinerlei Medikamente mehr und entsorgte den venösen Zugang, der dem Patienten im Zuge der vergeblichen Wiederbelebungsmaßnahmen gelegt worden war.

      Während der Sankra noch auf dem großen Parkplatz des Flughafens hielt, ließ der Notarzt das Blaulicht abstellen und begann damit, den Totenschein, der aus auf zwei Briefumschläge verteilten vier Blättern bestand, auszufüllen.

      Er entkleidete den toten Körper vollständig, wie es vorgeschrieben war, um eine erste sogenannte äußerliche Leichenschau durchzuführen. Da der Tote erst unlängst verstorben und demzufolge noch kein vollständiger Rigor mortis der Armgelenke und der Ellenbogen eingetreten war, fiel das Entkleiden des Leichnams nicht schwer und das sogenannte Brechen der Totenstarre, das Beweglichmachen der Arm- und Beinmuskulatur, konnte somit entfallen.

      Er bezog, auch dies war in den Verordnungen des Bundeslandes verbindlich vorgeschrieben, alle Körperregionen des Toten in die gründliche Untersuchung und Betrachtung ein, bei welcher er zunächst auf das Vorhandensein der sicheren Todeszeichen, auf Totenflecken und Totenstarre, auf Fäulnis und auf das mögliche Vorliegen von Verletzungen zu achten hatte, welche mit dem Leben eines Menschen nicht zu vereinbaren waren.

      Nun versuchte der Notarzt, eine Eingrenzung der möglichen Todesursachen vorzunehmen, was ihm durch die Tatsache beträchtlich erschwert wurde, dass er keine Vorkenntnisse über den Gesundheitszustand des Toten zu dessen Lebzeiten besaß.

      Da ihm die exakte Lufttemperatur jenes Warteraums am Gate 1 bekannt gegeben worden war, in welchem der Tote ums Leben gekommen war, nahm er zur möglichst exakten Bestimmung des Todeszeitpunktes eine Messung der Körperkerntemperatur des Leichnams vor.

      Da der rektale Wert der Körperkerntemperatur des Toten am nächsten kam, führte er die Messung im Mastdarm durch.

      Die Messung erfolgte dabei tief rektal, in einem Abstand von etwa 8 cm vom Schließmuskel.

      Nach dem Eintritt des Todes fiel die Körperkerntemperatur eines Toten, welcher sich innerhalb eines Raumes von einer Temperatur von 21 Grad Celsius befand, von der zu Lebzeiten vorherrschenden Körpertemperatur von annähernd etwa 37 Grad Celsius je Stunde des Todes um 0,8333 Grad Celsius ab, bis schließlich der vollständige Temperaturausgleich innerhalb des toten Körpers mit der Umgebungstemperatur hergestellt war. Bei einer Raumtemperatur von 21 Grad Celsius dauerte dieser Prozess ungefähr 19 Stunden, bis durch das vollständige Ausbleiben der inneren Oxidationsprozesse des Körpers der Algor mortis, also die reduzierte Körpertemperatur des toten Körpers eingetreten war. Die Kenntnis dieser Eckdaten und die tiefe rektale Messung der Körperkerntemperatur des Toten ermöglichten dem Notarzt eine genaue Eingrenzung des Todeszeitpunkts.

      Nach dieser ersten Untersuchung des Leichnams, der Kenntnis des Ortes, an dem der Tod eingetreten war und der Inaugenscheinnahme der Personalien, die bei dem Toten gefunden worden waren, füllte der Notarzt den Totenschein aus.

      Zunächst wandte er sich dazu dem nicht vertraulichen Teil des Totenscheines zu. Hier vermerkte der Notarzt den Vor- und den Nachnamen des Toten sowie dessen Geschlecht.

      Er vermerkte die letzte bekannte Wohnadresse des Toten, seinen Geburtstag und den Geburtsort. Sofern dies zu ermitteln war, vermerkte er ebenfalls den letzten behandelnden Arzt auf dem nicht vertraulichen Teil des Totenscheines.

      Er trug Sterbezeitpunkt und Sterbeort ein und die Personalien derjenigen Person, die den Toten identifiziert hatte.

      Ebenfalls vermerkte der Notarzt diverse Warnhinweise, die beispielsweise aufgrund einer Infektionsgefahr, welche von dem Leichnam ausgehen könnte, möglicherweise gerechtfertigt und sinnvoll waren.

      Nun versuchte der Arzt, die Todesart einzugrenzen, indem er zwischen natürlichem und unnatürlichem Tod, beispielsweise hervorgerufen durch Mord oder durch Suizid, unterschied.

      Abschließende Angaben zur eigenen Person des Notarztes und seine Unterschrift vervollständigten diesen nicht vertraulichen Teil des Totenscheines, welcher später dem Standesbeamten zur Ausstellung der Sterbeurkunde vorgelegt werden musste.

      Nun begann der Notarzt damit, den zweiten nämlich den vertraulichen Teil des amtlichen Totenscheines, auszufüllen.

      Hier vermerkte er zunächst Angaben und Feststellungen über die sicheren Zeichen des Todes, über Totenstarre, Totenflecken, Fäulnis und mit dem Leben nicht zu vereinbarende Verletzungen, wie Abtrennung des Kopfes, Zweiteilung des Rumpfes oder vollständige Verkohlung des Leichnams.

      Er fuhr nun damit fort, die Todesursache genauer zu unterteilen, in die unmittelbare Todesursache, die als Folge einer Verletzung oder als Folge eines Grundleidens des Verstorbenen eingetreten sein konnte.

      Er klassifizierte die Todesursache möglichst exakt und benannte seine Gründe, die für die Entscheidung für gerade die benannte Todesursache sprachen.

      Nun unterschrieb er auch diesen vertraulichen Teil des Totenscheins, der für eine Übersendung an das Gesundheitsamt, bei einer vorgesehenen Feuerbestattung des Leichnams für die Übersendung an das Krematorium, bei unnatürlichen Todesursachen jedoch zur Übersendung an die Staatsanwaltschaft vorgesehen war.

      Die Kosten der ärztlichen Leichenschau und der Feststellung des Todes einschließlich eines entsprechenden Wegegeldes, würde der Notarzt schließlich gemäß Ziffer 100 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) dem durch mögliche Angehörige des Toten beauftragten Bestattungsinstitut in Rechnung stellen.

      Einen Nachtzuschlag würde er jedoch nicht geltend machen.

      Dann setzte sich der Krankenwagen mit dem Leichnam nach dem Krankenhaus am Heimatort des Toten