Karl May

Der Scout


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er seinen Aufenthalt in New-Orleans dazu benutzt haben, eine Reimerei an das Publikum zu bringen? Vielleicht war die Veröffentlichung so schnell erfolgt, weil er die Aufnahme bezahlt hatte. Bewahrheitete sich meine Vermuthung, so konnte ich durch dieses Gedicht auf die Spur der Gesuchten gebracht werden. Ich las also:

      Die fürchterlichste Nacht.

      Kennst du die Nacht, die auf die Erde sinkt

      Bei hohlem Wind und schwerem Regenfall,

      Die Nacht, in der kein Stern vom Himmel blinkt,

      Kein Aug’ durchdringt des Wetters dichten Wall?

      So finster diese Nacht, sie hat doch einen Morgen;

      O lege dich zur Ruh, und schlafe ohne Sorgen!

      Kennst du die Nacht, die auf das Leben sinkt,

      Wenn dich der Tod auf’s letzte Lager streckt

      Und nah der Ruf der Ewigkeit erklingt,

      Daß dir der Puls in allen Adern schreckt?

      So finster diese Nacht, sie hat doch einen Morgen;

      O lege dich zur Ruh, und schlafe ohne Sorgen!

      Kennst du die Nacht, die auf den Geist dir sinkt,

      Daß er vergebens nach Erlösung schreit,

      Die schlangengleich sich um die Seele schlingt

      Und tausend Teufel ins Gehirn dir speit?

      O halte fern dich ihr in wachen Sorgen,

      Denn diese Nacht allein hat keinen Morgen! W. O.

      Ich gestehe, daß die Lectüre des Gedichtes mich tief ergriffen. Mochte man es für literarisch werthlos erklären, es enthielt doch den Entsetzensschrei eines begabten Menschen, welcher vergebens gegen die finstern Gewalten des Wahnsinnes ankämpft und fühlt, daß er ihnen rettungslos verfallen müsse. Doch schnell überwand ich meine Rührung, denn ich mußte handeln. Ich hatte die Ueberzeugung, daß William Ohlert der Verfasser dieses Gedichtes sei, suchte im Directory nach der Adresse des Herausgebers der Zeitung und begab mich hin.

      Expedition und Redaction befanden sich in demselben Hause. In der Ersteren kaufte ich mir ein Exemplar und ließ mich sodann bei der Redaction melden, wo ich erfuhr, daß ich sehr richtig vermuthet hatte. Ein gewisser William Ohlert hatte das Gedicht am Tage vorher persönlich gebracht und um schleunige Aufnahme gebeten. Da das Verhalten des Redacteurs ein ablehnendes gewesen war, so hatte der Dichter zehn Dollars deponirt und die Bedingung gestellt, daß es in der heutigen Nummer erscheine und ihm die Revision zuzuschicken sei. Sein Benehmen sei ein sehr anständiges gewesen, doch habe er ein wenig verstört drein geschaut und wiederholt erklärt, daß das Gedicht mit seinem Herzblute geschrieben sei – übrigens eine Redensart, deren sich begabte und unbegabte Dichter und Schriftsteller gern zu bedienen pflegen. Wegen der Zusendung der Revision hatte er seine Adresse angeben müssen, und ich erfuhr dieselbe natürlich. Er wohnte oder hatte gewohnt in einem als fein und theuer bekannten Privatkosthause in einer Straße des neueren Stadttheiles.

      Dorthin verfügte ich mich, nachdem ich mich in meiner Wohnung unkenntlich gemacht hatte, was mir nach meiner Ansicht sehr gut gelang. Dann holte ich mir zwei Polizisten, welche sich vor der Thüre des gedachten Hauses aufstellen sollten, während ich mich im Innern befand.

      Ich war so ziemlich überzeugt, daß mir die Festnahme des gesuchten Spitzbuben und seines Opfers gelingen werde, und in ziemlich gehobener Stimmung zog ich die Hausglocke, über welcher auf einem Messingschilde zu lesen war: »First class pension for Ladies and Gentlemen.« Ich befand mich also am richtigen Orte. Haus und Geschäft waren Eigenthum einer Dame. Der Portier öffnete, fragte mich nach meinem Begehr und erhielt den Auftrag, mich bei der Dame zu melden; auch übergab ich ihm eine Visitenkarte, welche auf einen andern Namen lautete als den meinigen. Ich wurde in das Parlour geführt und hatte nicht lange auf die Lady zu warten.

      Sie war eine fein gekleidete, behäbig aussehende Dame von ungefähr fünfzig Jahren. Wie es schien, hatte sie einen kleinen Rest von schwarzem Blute in ihren Adern, wie ihr gekräuseltes Haar und eine leichte Färbung ihrer Nägel vermuthen ließen. Sie machte den Eindruck einer Frau von Gemüth und empfing mich mit großer Höflichkeit.

      Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich ihr einen Bären von ziemlichem Umfang aufband, denn ich stellte mich ihr als den Feuilletonredacteur der »Deutschen Zeitung« vor, zeigte ihr das betreffende Blatt und gab an, daß ich den Verfasser dieses Gedichtes sprechen müsse; dasselbe habe solchen Anklang gefunden, daß ich ihm Honorar und neue Aufträge bringe.

      Sie hörte mir ruhig zu, betrachtete mich aufmerksam und sagte dann:

      »Also ein Gedicht hat der Herr bei Ihnen drucken lassen? Wie hübsch! Schade, daß ich nicht Deutsch verstehe, sonst würde ich Sie bitten, es mir vorzulesen. Ist es gut?«

      »Ausgezeichnet! Ich hatte bereits die Ehre, Ihnen zu sagen, daß es sehr gefallen habe.«

      »Das ist mir von größtem Interesse. Dieser Herr hat den Eindruck eines fein gebildeten Mannes, eines wahrhaften Gentleman auf mich gemacht. Leider sprach er nicht viel und verkehrte mit Niemanden. Er ist nur ein einziges Mal ausgegangen, jedenfalls als er Ihnen das Gedicht brachte.«

      »Wirklich? Ich entnahm aus der kurzen Unterhaltung, welche ich mit ihm hatte, daß er hier Gelder erhoben habe. Er muß also öfters ausgegangen sein.«

      »So ist es während meiner Abwesenheit vom Hause geschehen, vielleicht auch hat sein Sekretär diese geschäftlichen Dinge abgemacht.«

      »Er hat einen Sekretär? Davon sprach er nicht. Er muß also ein wohlsituirter Herr sein.«

      »Gewiß! Er zahlte gut und speiste auf das Feinste. Sein Sekretär, Master Clinton, führte die Kasse.«

      »Clinton! Ah, wenn dieser Sekretär Clinton heißt, so muß ich ihn im Club getroffen haben. Er stammt aus New-York oder kommt wenigstens von dort und ist ein vorzüglicher Gesellschafter. Wir trafen uns gestern zur Mittagszeit – –«

      »Das stimmt,« fiel sie ein. »Da war er ausgegangen.«

      »Und fanden,« fuhr ich fort, »ein solches Wohlgefallen an einander, daß er mir seine Photographie verehrte. Die meinige hatte ich nicht bei mir, mußte sie ihm aber bestimmt versprechen, da wir uns heute wieder treffen wollen. Hier ist sie.« Und ich zeigte ihr Gibsons Bild, welches ich immer bei mir trug.

      »Richtig, das ist der Sekretär,« sagte sie, als sie einen Blick daraufgeworfen hatte. »Leider werden Sie ihn nicht so bald wieder sehen, und von Master Ohlert werden Sie kein weiteres Gedicht erhalten können; sie sind beide abgereist.«

      Ich erschrack, faßte mich indessen schnell und sagte:

      »Das thut mir sehr leid. Der Einfall, abzureisen, muß ihnen ganz plötzlich gekommen sein?«

      »Allerdings. Es ist das eine sehr, sehr rührende Geschichte. Master Ohlert freilich sprach nicht davon, denn Niemand greift in die eigenen Wunden, aber sein Sekretär hat sie mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgetheilt. Sie müssen nämlich wissen, daß ich mich stets des besonderen Vertrauens derjenigen erfreue, welche zeitweilig bei mir wohnen.«

      »Das glaube ich Ihnen. Ihre feinen Manieren, Ihre zarten Umgangsformen lassen das als ganz natürlich erscheinen,« flunkerte ich mit der größten Unverfrorenheit.

      »O bitte!« meinte sie, trotz der Unbeholfenheit dieser Adulation geschmeichelt. »Die Geschichte hat mich fast zu Thränen gerührt, und ich freue mich, daß es dem unglücklichen jungen Manne gelungen ist, noch zur rechten Zeit zu entkommen.«

      »Entkommen? Das klingt ja genau so, als ob er verfolgt werde!«

      »Es ist auch wirklich der Fall.«

      »Ah! Wie interessant! Ein so hochbegabter, genialer Dichter, und verfolgt! In meiner Eigenschaft als Redacteur, gewissermaßen also als College des Unglücklichen, brenne ich vor Verlangen, etwas Näheres zu hören. Die Zeitungen repräsentiren eine bedeutende Macht. Vielleicht wäre es mir möglich, mich seiner in einem Artikel anzunehmen. Wie schade, daß Ihnen diese interessante Geschichte