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Wilma Burk
Von kleinen und großen Leuten
9 Kurzgeschichten
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Inhaltsverzeichnis
Sternenkinder
Ein warmer Abend im Spätsommer; es war schon dunkel und eine sternklare Nacht ohne Mondschein. Lea kuschelte sich ganz dicht an den Vater. Sie saßen vor ihrem Haus und schauten nach den Sternschnuppen, die vom Himmel fielen.
„Da, wieder eine! Hast du sie gesehen?“
„Ja, und noch eine – so viele. Wo kommen sie her?“, wollte Lea wissen.
„Das sind Sternenkinder.“
„Von den Sternen da oben?“
„Ja.“ Der Vater schmunzelte, doch Lea konnte es in der Dunkelheit nicht bemerken.
„Aber sind die Sterne dann nicht traurig, wenn ihre Kinder weggehen?“
„Na ja, vielleicht ein bisschen schon wie bei uns Eltern, wenn ihre Kinder groß geworden sind und aus dem Haus gehen.“
„Und warum gehen die Kinder dann fort? Ich werde das nie tun!“
Da lachte der Vater: „Ich werde dich daran erinnern! Es ist nun einmal die Aufgabe der Eltern, die Kinder gehen zu lassen, wenn sie groß genug dazu sind. Und genauso ist es bei den Sternenkindern.“
„Und wo gehen sie dann hin?“
„Sie fliegen in die Welt. Das siehst du doch.“
„Sind sie glücklich dabei?“
„Oh, ja, sehr! Denn sie wollen Freude machen. Darum kannst du dir etwas wünschen, wenn du eine siehst.“
„Und das geht in Erfüllung?“
„Vielleicht.“
„Wirklich? Dann möchte ich so gerne ein Sternenkind haben. Wie sehen sie aus?“
„Das sind kleine Steine, die haben so viel Licht in sich aufgesaugt, dass sie leuchten können.“
„Und sie leuchten immer?“
„Nein, nur wenn sie wollen, dass man sie findet.“
„Hast du schon einen ...“
„Lea, es ist Zeit, ins Bett zu gehen!“ Die Mutter kam, um Lea ins Haus zu holen.
„Och, nur noch ein Sternenkind, bitte!“
Und dann wollte sie noch eins und noch eins sehen, aber schließlich musste sie doch ins Bett gehen. „Und sie fallen alle auf die Erde?“, fragte sie beim Gute-Nacht-Sagen den Vater.
„Ja, sie kommen alle auf die Erde. Nun schlaf aber“, antwortete der Vater, löschte das Licht und ging aus dem Zimmer.
*
Doch Lea konnte nicht einschlafen. Bestimmt brauchte sie nur gerade dort zu sein, wo ein Sternenkind heruntergefallen war, dann könnte sie es einfangen. Das konnte doch nicht schwer sein, sie hatte ja gesehen, wie viele da vom Himmel kamen. Schon stand sie ganz leise auf, schlüpfte in ihre Schuhe, nahm von ihrem Bruder das Netz, mit dem er Schmetterlinge fing, und schlich sich so wie sie war, im Pyjama, aus dem Haus. Da, ganz deutlich sah sie es, ein Sternenkind purzelte direkt in den Wald hinter ihrem Haus. Dahin musste sie laufen und warten bis wieder eins herunterkam. Sie eilte durch den Garten und zum Gartentor hinaus, so schnell sie ihre Füße trugen. Wieder fiel ein Sternenkind herab. Das nächste würde sie bestimmt einfangen. Vielleicht lag auch schon eins im Wald und leuchtete, weil es von ihr gefunden werden wollte.
Sie erreichte den Waldesrand. Zögernd blieb sie stehen. Wie finster es darin war! Irgendwo knackten Zweige. Ängstlich wich sie zurück. Doch da tiefer drinnen, leuchtete dort am Boden nicht etwas? Ein Sternenkind! Mutig schulterte sie das Schmetterlingsnetz und lief in den Wald hinein. Sie sprang über kleine Büsche, kroch über Moos und duckte sich unter die tief hängenden Zweige der Bäume. Als sie aber dahin kam, wo es geleuchtet hatte, war nichts mehr zu sehen. Doch über ihr, auf einem Zweig, war es da nicht, als würde ein schwaches Licht an und ausgehen. Wie sollte sie dort hinaufkommen? Ein Schatten glitt herunter, an ihr vorbei, ein Windzug streifte sie und etwas berührte ihr Haar. Entsetzt sprang sie zur Seite. Weg war auch dieses Leuchten. Ein Uhu schrie seinen unheimlichen Ruf. Panik erfasste Lea. „Mama!“ So schnell sie in der Dunkelheit konnte, rannte sie, prallte gegen einen Baum und Zweige kratzten ihr Gesicht. Sie achtete nicht darauf. Sie wollte nur noch nach Hause. Aber wo war das? Wie entlang musste sie in dieser Dunkelheit laufen?
„Lea!“ – „Lea!“ – Die Eltern riefen nach ihr!
„Hier!“, schrie sie so laut sie konnte.
Ein Lichtstrahl durchschnitt die Finsternis des Waldes. Irgendwo huschte etwas eilig davon. Dann hatte der Schein der Taschenlampe Lea erfasst. Glücklich sprang sie dem Vater in die Arme.
„Lea, was ist in dich gefahren? Wie kannst du nachts aus dem Haus laufen?“, schimpfte die Mutter.
„Ich wollte doch nur ein Sternenkind suchen.“
„So ein Blödsinn! Das hast du jetzt davon, Walter! Was musst du dem Kind dauernd solche fantastischen Geschichten erzählen.“
Der Vater sagte nichts darauf, drückte Lea noch einmal an sich und setzte sie ab. „Das machst du nicht noch einmal, Lea, hörst du!“, ermahnte er sie. Dann nahm er sie an die Hand und sie gingen mit ihr zurück zum Haus.
Nein, das wollte Lea wirklich nie mehr tun. „Es ist so schrecklich, wenn kein Licht brennt und alles nur dunkel ist“, versicherte sie. Ganz fest hielt sie sich an des Vaters Hand.
Als sie aber den Garten erreicht hatten, riss sie sich los. „Ein Sternenkind“, rief sie aufgeregt und rannte zu einem Busch, unter dem wirklich etwas leuchtete, nachdem der Lichtstrahl der Taschenlampe darüber hingeglitten war. Die verdutzten Eltern hatten noch nichts gesagt, da kam sie schon zurück und trug etwas vorsichtig wie einen Schatz in ihren Händen. „Da, schaut, ein Sternenkind! In unseren Garten ist es gefallen. Vati, du hast gesagt, es leuchtet, wenn es gefunden werden will, und ich habe es gefunden. Ein Sternenkind, ein Sternenkind! Ich habe ein Sternenkind!“
„Zeig her!“ Zweifelnd betrachtete die Mutter im Schein der Taschenlampe das, was Lea in ihren kleinen Händen hielt. Es hatte die Form einer Sonnenblume und leuchtete wirklich ganz schwach in der Dunkelheit.