Thomas Riedel

An der Pforte zur Hölle


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      Blake nickte zustimmend.

      »Abgesehen davon haben wir die Kleidung der Toten dort gefunden«, fügte er McGinnis‘ Anmerkung hinzu.

      James hatte für sein Gefühl bereits genug gehört. Sofort begann es in ihm wieder zu brodeln und sein Temperament begann mit ihm durchzugehen. Für ihn war der Hinweis auf Insel, Strömung und Kleidung nicht einfach ein Fakt: für ihn kam es einer Anschuldigung gleich – nein, vielmehr einer direkten Anklage.

      »Das mag ja alles stimmen, aber wenn Sie auch nur einen Augenblick glauben, wir wären das gewesen, dann haben Sie nicht mehr alle Latten am Zaun!«, stieß er wütend aus.

      Die beiden begleitenden Constabler hatte ihre Mühe den jungen Choleriker festzuhalten. Es machte jeden Anschein, als wolle er Blake und McGinnis an den Hals springen. James war außer sich.

      »Merkt ihr gar nicht, wie die uns was anhängen wollen!?«, schrie er. »Ist ja auch so einfach! Man schnappt sich irgendwen, beschuldigt, untermauert mit an den Haaren herbeigezogenen Indizien und gut ist. Fall abgeschlossen. Man henkt zwar die Falschen und lässt den wahren Killer laufen, … aber egal! Hauptsache man bekommt eine gute Presse!« Giftig sah er Blake an. »Die ist ja letztens nicht gerade gut ausgefallen, Chief Inspector, oder? Wie war das denn in Inverness? Und in Sachen der Selbstmordserie waren Sie doch kurz davor zu kapitulieren! Der Fähigste scheinen Sie mir kaum zu sein!« Er redete sich immer in Rage und damit um Kopf und Kragen, und als wenn es nicht längst genug war, legte er noch nach. »Na ja, demnächst werden Sie noch Chief Superintendent. Aber nur, weil man Sie nach dem Peterprinzip wegbefördert. Dann können Sie wenigstens keinen Scheiß mehr bauen!«

      Er bekam keine Antwort, weil der Aufzug gestoppt hatte und die Tür zurückglitt. Doch Blakes spöttisches Lächeln zeigte, dass er ohnehin nicht auf die Bemerkungen des Studenten eingegangen wäre. Nur mit McGinnis‘ sonst so stoischer Ruhe war es nicht mehr ganz so weit her. Er hatte eine Hand leicht zu einer Faust geballt.

      Kalte Luft schlug ihnen entgegen, als sie in einen tristen Korridor traten, an dessen Decke einfallslos nackte Neonröhren brannten.

      Ihre Schritte auf den Bodenfliesen hallten klappernd von den weiß gestrichenen kahlen Wänden des langen Ganges zurück, während sie auf eine marineblaue Doppelschwingtür zugingen. Durch die milchigen Glasscheiben im oberen Drittel fiel ein Lichtkegel, der sich schwach auf den weißen Fliesen spiegelte. Schon hier roch es nach Reinigungs- und Desinfektionsmitteln. Ein Hinweis besagte, dass es sich um die Pathologie handelte und der Zutritt nur autorisiertem Personal erlaubt war. Einer der Constables klingelte. Gleich darauf öffnete ihnen ein Mann in weißem Kittel. Er hatte den abgestumpften, gleichgültigen Blick eines Menschen, der ständig Umgang mit dem Tod hatte.

      »Hallo, Isaac!«, begrüßte er den Blake mit Handschlag und nickte McGinnis freundlich zu. »Cyril!«

      »Guten Morgen, Gordon!«, erwiderte Blake und deutete auf die jungen Leute. »Die Dame und die beiden Herren würden gern einen Blick auf die Leiche werfen«, fügte er unterstellend hinzu und lächelte.

      »Lässt sich machen«, erwiderte der mit Gordon angesprochene Mann. »Nur herein in die gute Stube.«

      Er grinste vielsagend, trat beiseite und gab den Weg frei.

      Chuck und Silky rieben sich unwillkürlich die Nase, als sie den Raum hinter der Tür betraten, von dem einige weitere Türen abzweigten. Eine davon war geöffnet. Der dahinterliegende Bereich schien eine Art Lager zu sein. An den Wänden befanden sich bis zur Decke reichende Metallregale, die größtenteils mit Kartons und Kisten gefüllt waren. Die Luft war ein wenig abgestanden und stickig. Anstandslos folgten die beiden Blake und McGinnis, während James nichts anderes übrigblieb, als sich von den beiden Constables führen zu lassen. Viel Spielraum zum Ausrasten hatten die beiden ihm vorsorglich nicht gelassen.

      Unbehaglich ob der Situation, aber grundsätzlich interessiert, sahen sich die drei Medizinstudenten in dem großen steril wirkenden Raum um, in den sie geführt wurden, und in dem sich mittig eine Reihe silbrig glänzender Tische befanden, auf denen sich unter weißen Laken die Umrisse menschlicher Körper abzeichneten. Bei einigen ragte die große Zehe heraus, an die mit Bindfäden Zettel befestigt worden waren, auf denen sich Angaben zur jeweiligen Person befanden. Im Hintergrund konnte man die fast quadratischen anmutenden Türen der doppelreihig angelegten Kühlfächer sehen. Auf rollenden Beistelltischen fand sich diverses chirurgisches Instrumentarium.

      Blake und McGinnis ließen die drei vorläufig Festgenommenen nicht aus den Augen. Insbesondere Blake war an jeder ihrer Reaktionen interessiert, als der Pathologe, Doktor Gordon Lestrade, gezielt auf einen Tisch zusteuerte, an dem sich gerade ein Weißkittel über einen leblosen Körper beugte. Als der sie kommen sah, richtete er sich langsam auf, drehte sich in ihre Richtung und schob den Mundschutz ein Stück nach unten.

      »Hallo, Curt«, begrüßte Blake den Mann. »Wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen.«

      »Hallo, Isaac«, lächelte Curt Hancock, während er seine Latexhandschuhe auszog, um ihm die Hand zu schütteln.

      Er war Lestrades Stellvertreter und ein erfahrener Rechtsmediziner, der in klinischer Mikrobiologie promoviert hatte. Hancock stammte gebürtig aus Cardiff und wurde wegen seines starken Dialekts von den allen, seine Abwesenheit vorausgesetzt, zumeist nur ›Der Waliser‹ genannt.

      »So, dann wollen wir uns die Leiche einmal näher ansehen«, meinte Lestrade, mit einem süffisanten Lächeln in den Mundwinkeln. »Deswegen seid ihr ja schlussendlich gekommen.«

      Mit einem Ruck zog er das, nur im oberen Drittel zurückgeschlagene, weiße Tuch weg.

      Sekundenlang geschah nichts …

      … fassungslos starrten Chuck, James und Silky auf die vor ihnen liegende tote Frau.

      »Wollen Sie uns mit diesem Anblick foltern, Sie Mistkerl!?«, schrie James Blake unvermittelt an. »Ich werde mich über Sie beschweren, Mister Möchtegern-Großinquisitor!«

      Während er noch seiner Wut Luft machte, war Silky bereits lautlos in Ohnmacht gefallen. Einer der beiden Constables schaffte es gerade noch rechtzeitig, ihr zu Hilfe zu springen und aufzufangen. Chuck war wie versteinert stehengeblieben. Ihm hatte es beim Anblick der Leiche den Atem verschlagen. Schwer keuchend begann sein Magen zu rebellieren. Er spürte die Übelkeit aufsteigen und versuchte sich krampfhaft zu beruhigen. Dann drehte er sich plötzlich zur Seite und erbrach sich – unmittelbar vor die Füße des Pathologen.

      »Angehende Mediziner?«, hakte Lestrade nach und warf Blake einen belustigten Blick zu. »Eine robuste Natur haben sie jedenfalls nicht.«

      Curt Hancock grinste.

      Auf ein Zeichen Blakes wurde die junge Studentin von einem der Constables in einen Nebenraum getragen und auf eine Ruheliege gelegt. Sie hatte das Bewusstsein noch nicht wiedererlangt. Die beiden jungen Männer hatten sich inzwischen etwas beruhigt.

      »Wie auch immer«, fuhr Lestrade fort. »Was haben wir hier?« Er begann zu dozieren. »Der Todeszeitpunkt wurde auf halb vier Uhr in der Früh festgelegt, plus-minus zehn Minuten. Die Todesursache gestaltet sich vielseitig. Fest steht, dass ein widerhakenbesetztes Instrument zum Einsatz gekommen ist, dessen fünf Spitzen durchschnittlich um fünfeinhalb Inch eingedrungen sind. Eine poseidonmäßige Waffe würde ich vermuten, nur eben kein klassischer Dreizack und auch keine lineare Anordnung, wie bei diesem. Die Einstichstellen entsprechen exakt einem Fünfeck. Da es für mich nach einem Ritualmord aussieht, kann man wohl von den Außenecken eines Pentagramms ausgehen. Interessant ist ...«, mit diesen Worten trat er näher an den Tisch heran und drehte die Leiche ein wenig auf die Seite, ... dieses kreisförmige Zeichen! Es wurde zweifelsfrei eingebrannt. Da ist nur ein Brandeisen vorstellbar.« Er wandte sich an Blake und McGinnis. »Die Fotos sind schon im System erfasst. Sie können sie später am PC noch eingehender studieren.« Er brachte die Leiche wieder in Rückenlage. »Was mich verstört ist die Tatsache, dass der oder die Täter medizinisches Fachwissen besitzen müssen.« Er wies auf das Gesicht der Frau. »Sehen Sie, es wurde eine beidseitige Enukleation durchgeführt, eine Entfernung beider Augäpfel. Dabei gab man sich sogar Mühe, die umgebenen Strukturen innerhalb