Fjodor Dostojewski

Der Jüngling


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hatte, und ich ihm nicht mehr zürnen konnte. Etwas Ähnliches hatte ich im Gymnasium, und zwar schon in den untersten Klassen, durchgemacht: wenn einer meiner Mitschüler mich übertraf, sei es in den Wissenschaften oder in witzigen Antworten oder an Körperkraft, dann hörte ich sofort auf, mit ihm zu verkehren und zu reden. Nicht daß ich ihn gehaßt oder ihm etwas Schlechtes gewünscht hätte; ich wandte mich einfach von ihm ab, weil das nun einmal in meinem Charakter lag.

      Ja, ich habe mein ganzes Leben lang nach Macht gedürstet, nach Macht und Einsamkeit. Ich träumte davon schon in so jungen Jahren, daß mir bestimmt jeder ins Gesicht gelacht hätte, wenn er erfahren hätte, was unter meiner Hirnschale vorging. Dies ist der Grund, weshalb ich das heimliche Wesen so liebgewann. Ja, ich arbeitete mit aller Kraft an meinen Luftschlössern, dergestalt, daß ich zu Gesprächen mit anderen Menschen gar keine Zeit hatte; man folgerte daraus, daß ich menschenscheu sei, und zog aus meiner Zerstreutheit noch häßlichere Schlüsse zu meinen Ungunsten, aber meine roten Wangen bewiesen das Gegenteil.

      Besonders glücklich fühlte ich mich, wenn ich mich ins Bett gelegt, die Decke über den Kopf gezogen hatte und nun ganz allein, in vollster Einsamkeit, ohne daß Menschen um mich herum gewesen wären oder ich auch nur einen Laut von ihnen gehört hätte, anfing, mein Leben in Gedanken umzugestalten. Solchen Träumereien gab ich mich mit brennendem Eifer hin, bis ich meine »Idee« fand, worauf dann alle meine bis dahin törichten Phantasien auf einmal verständig wurden und aus der Form des erdichteten Romans in die Form vernunftmäßiger Wirklichkeit übergingen.

      Alles floß zusammen und nahm die Richtung auf ein Ziel hin. Meine Phantasien waren übrigens auch vorher nicht gar so töricht gewesen, trotz ihrer unzählbaren Menge. Aber ich hatte unter ihnen meine besonderen Lieblinge gehabt ... Indessen kann ich sie hier nicht vorführen.

      Macht! Ich bin überzeugt, daß es sehr vielen Menschen sehr lächerlich vorkommen würde, wenn sie erführen, daß ein solches »Subjekt« wie ich nach Macht trachtet. Aber ich will sie in noch größeres Erstaunen versetzen: vielleicht schon von meinen ersten Träumereien an, das heißt fast seit meiner frühesten Kindheit, habe ich mich nie anders denken können als auf dem ersten Platz, immer und auf allen Gebieten des Lebens. Ich füge noch ein sonderbares Geständnis hinzu: vielleicht dauert das noch bis auf den heutigen Tag. Ich bemerke dabei, daß ich deswegen nicht um Verzeihung bitte.

      Und darin besteht eben meine »Idee«, darin liegt ihre Kraft, daß Geld der einzige Weg ist, der sogar ein unbedeutendes Subjekt auf den ersten Platz führt. Ich bin vielleicht gar nicht einmal ein unbedeutendes Subjekt, aber ich weiß zum Beispiel aus dem Spiegel, daß mein Äußeres mir schadet, da ich ein ganz ordinäres Gesicht habe. Aber wenn ich erst so reich sein werde wie Rothschild, wer wird dann an meinem Gesicht etwas auszusetzen haben, und werden dann nicht Tausende von Frauen, sobald ich nur pfeife, mit ihrer Schönheit Hals über Kopf zu mir gelaufen kommen? Ich bin sogar überzeugt, daß sie selbst schließlich ganz aufrichtig mich für einen schönen Mann halten werden. Ich bin vielleicht klug. Wenn sich jedoch in der Gesellschaft jemand findet, der sehr klug ist, dann bin ich erledigt. Aber wenn ich ein Rothschild bin, kann dann dieser kluge Mann gegen mich aufkommen? Es wird ihm neben mir nicht einmal vergönnt werden, den Mund auf zu tun! Ich bin vielleicht geistreich; rivalisiert jedoch ein Talleyrand, ein Piron mit mir, so bin ich in den Schatten gestellt; aber wenn ich ein Rothschild bin, wo bleibt da ein Piron und vielleicht sogar ein Talleyrand? Das Geld ist sicherlich eine despotische Macht, aber zugleich ist es der größte Gleichmacher, und darin liegt seine Hauptstärke. Das Geld macht alle Ungleichheiten gleich. All das ist mir schon in Moskau klargeworden.

      Man wird in diesem Gedanken natürlich nur eine Unverschämtheit sehen, den Wunsch, andere zu vergewaltigen, das Streben eines unbedeutenden Subjektes, über talentvolle Mitmenschen zu triumphieren. Ich gebe zu, daß dieser Gedanke dreist ist (ebendeshalb ist er so wonnevoll). Aber mag er es sein, mag er es sein: meint jemand, ich hätte mir damals Macht gewünscht, um andere Menschen zu erdrücken und mich so zu rächen? Das ist es ja eben, daß ein ordinärer Mensch unbedingt so handeln würde. Ja noch mehr: ich bin überzeugt, daß Tausende von talentvollen, hochstehenden Männern, wenn ihnen auf einmal Rothschilds Millionen zufielen, die Selbstbeherrschung verlieren, sich wie die gemeinste, gewöhnlichste Sorte betragen und ihre Mitmenschen in der ärgsten Weise bedrücken würden. Meine Idee ist von anderer Art. Ich bin vor dem Geld nicht bange; es wird mich nicht bedrücken und mich nicht veranlassen, andere zu bedrücken.

      Ich brauche das Geld nicht, oder, richtiger gesagt, ich brauche nicht das Geld und nicht einmal die Macht, sondern nur das, was man durch die Macht erlangt und was man ohne Macht auf keine Weise erlangen kann: das ist ein einsames, ruhiges Kraftbewußtsein! Das ist die erschöpfendste Definition der Freiheit, diese Definition, mit der sich die Welt so herumschlägt! Freiheit! Endlich habe ich dieses große Wort hingeschrieben ... Ja, das einsame Kraftbewußtsein ist etwas Verlockendes und Schönes. Ich besitze Kraft, und ich bin ruhig. Jupiter hat den Donnerkeil in der Hand, und was tut er: er ist ruhig; hört man ihn etwa häufig donnern? Ein Dummkopf könnte glauben, er schlafe. Aber man setze irgendeinen Literaten oder ein dummes Bauernweib an Jupiters Stelle – und das Gedonner würde nicht abreißen!

      Wenn ich erst die Macht habe, so überlegte ich, dann werde ich gar nicht das Bedürfnis haben, mich ihrer zu bedienen; ich versichere, daß ich selbst, aus eigenem, freiem Willen, überall den letzten Platz einnehmen werde. Wenn ich ein Rothschild wäre, so würde ich mit einem schlechten, alten Überzieher und mit einem Regenschirm gehen. Was mache ich mir daraus, daß ich auf der Straße gestoßen werde, daß ich genötigt bin, eilig durch den Schmutz zu springen, damit mich die Droschken nicht überfahren? Das Bewußtsein, daß ich es bin, Rothschild selbst, würde mich in diesem Augenblick sogar heiter stimmen. Ich weiß, daß ich vielleicht ein so feines Diner wie kein anderer und den besten Koch von der Welt haben kann, und es genügt mir, daß ich es weiß. Ich werde ein Stück Brot mit Schinken essen und schon durch das Bewußtsein satt sein. Ich denke sogar heute noch so.

      Ich werde mich nicht an die Aristokratie herandrängen, sondern sie sich an mich, ich werde nicht auf die Weiber Jagd machen, sondern sie werden von selbst angelaufen kommen und mir alles anbieten, was eine Frau anbieten kann. Die »gemeinen« Weiber werden des Geldes wegen kommen, und die klugen wird die Neugier zu dem sonderbaren, stolzen, verschlossenen, gegen alles gleichgültigen Wesen hinziehen. Ich werde zu den einen wie zu den andern freundlich sein und ihnen vielleicht Geld geben, selbst aber von ihnen nichts annehmen. Neugier erzeugt Leidenschaft, und so werde auch ich ihnen vielleicht Leidenschaft einflößen. Aber ich versichere: sie werden, ohne etwas erreicht zu haben, wieder weggehen, höchstens mit Geschenken. Dadurch werde ich für sie doppelt interessant werden.

      ... Genug schon ist mir Solches Wissen.

      Merkwürdig, daß ich mich in dieses Bild (das übrigens zutreffend ist) schon als Siebzehnjähriger verliebt habe.

      Quälen und erdrücken will und werde ich niemand; aber ich weiß, daß, wenn ich irgend jemand, einen Feind von mir, zugrunde richten wollte, niemand mir dabei hinderlich sein, sondern vielmehr alle mir behilflich sein würden, und dieses Bewußtsein würde mir wieder genügen. Ich würde mich nicht einmal an jemand rächen. Ich habe mich immer darüber gewundert, wie James Rothschild hat einwilligen können, Baron zu werden! Warum, wozu, da er doch auch ohnedies alle Menschen auf der Welt überragte? ›Mag mich doch jener unverschämte General auf der Poststation beleidigen, wo wir beide auf frische Pferde warten; wenn er wüßte, wer ich bin, würde er selbst hinlaufen, um sie mir anzuspannen, und würde eifrig hinzuspringen, um mir beim Einsteigen in meinen bescheidenen Reisewagen behilflich zu sein! In der Zeitung hat einmal gestanden, daß ein ausländischer Graf oder Baron in einem von Wien abgehenden Eisenbahnzug einem dortigen Bankier vor den Augen der Mitreisenden die Pantoffeln angezogen hat; und dieser ist ordinär genug gewesen, das zuzulassen. Oh, mag diese junge Dame, deren Schönheit geradezu Schrecken einflößt (jawohl: Schrecken, es gibt solche Schönheit), diese Tochter einer hochmütigen, vornehmen Aristokratin, mag sie, wenn sie zufällig auf einem Dampfschiff oder sonstwo mit mir zusammentrifft, mich von der Seite ansehen und, die Nase rümpfend, sich geringschätzig darüber wundern, wie dieser bescheidene, häßliche Mensch, mit einem Buch oder einer Zeitung in der Hand, hat so dreist sein können, sich in die erste Klasse einzudrängen und sich neben sie zu setzen. Aber wenn sie wüßte,