alles augenscheinlich mit vielem Vergnügen. Reden zu halten, daran fand er großen Gefallen: wenigstens konnten dabei alle sehen, daß sein Verstand in Ordnung war. Und überhaupt liebte er es selbst im intimsten Privatleben sehr, in sein Gespräch besonders tiefsinnige Gedanken oder Bonmots einzustreuen; ich habe dafür volles Verständnis. Unten in seinem Hause war eine Art Hauskontor eingerichtet, und ein Beamter erledigte dort alle Geschäfte, prüfte die Rechnungen, führte die Wirtschaftsbücher und verwaltete gleichzeitig das Haus. Dieser Beamte, der außerdem noch ein Amt im Staatsdienst bekleidete, hätte auch allein völlig ausgereicht; aber auf persönlichen Wunsch des Fürsten wurde ich noch dazuengagiert, angeblich zur Unterstützung des Beamten; indes wurde ich sogleich in das Arbeitszimmer des Fürsten versetzt und hatte oft nicht einmal zum Schein eine Arbeit vor mir liegen, weder Papier noch Bücher.
Ich schreibe jetzt wie jemand, der längst ernüchtert ist, und in vieler Hinsicht fast wie ein Unbeteiligter; aber wie soll ich den damaligen Kummer zur Darstellung bringen, der sich in meinem Herzen festgesetzt hatte und mir soeben wieder lebhaft ins Gedächtnis gekommen ist, und vor allen Dingen meine damalige Aufregung, die sich zu einem so trüben, fieberhaften Zustand gesteigert hatte, daß ich sogar nachts nicht schlief vor ungeduldiger Erwartung, wie sich die Rätsel lösen würden, die ich mir selbst aufgegeben hatte.
Um Geld zu bitten, ist eine höchst widerwärtige Geschichte, und das gilt sogar für ein Gehalt, wenn man in den innersten Falten des Gewissens fühlt, daß man es nicht ganz verdient hat. Indessen hatte tags zuvor meine Mutter in einem Gespräch, das sie im Flüsterton, ohne Wissen Wersilows (»um Andrej Petrowitsch nicht zu erzürnen«), mit meiner Schwester führte, die Absicht ausgesprochen, ein Heiligenbild zu verpfänden, das ihr aus irgendeinem Grund besonders teuer war. Mein Monatsgehalt sollte fünfzig Rubel betragen; aber ich wußte gar nicht, auf welche Weise ich es erhalten würde; bei meiner Anstellung war mir darüber nichts gesagt worden. Als ich drei Tage vorher unten mit dem Beamten zusammengetroffen war, hatte ich mich bei ihm erkundigt, an wen man sich hier wegen seines Gehalts zu wenden habe. Dieser sah mich mit einem erstaunten Lächeln an (er konnte mich nicht leiden) und erwiderte:
»Bekommen Sie denn ein Gehalt?«
Ich dachte, er würde nach meiner bejahenden Antwort sagen: ›Wofür denn eigentlich?‹
Aber er antwortete nur trocken, er wisse nichts darüber, und steckte die Nase wieder in sein liniiertes Buch, in das er aus irgendwelchen Papieren Rechnungsposten eintrug.
Es war ihm übrigens wohlbekannt, daß ich denn doch dies und das getan hatte. Zwei Wochen vorher hatte ich volle vier Tage über einer Arbeit gesessen, die er selbst mir übergeben hatte; angeblich handelte es sich nur darum, von einem Konzept eine Reinschrift anzufertigen; es stellte sich aber heraus, daß fast eine vollständige Umarbeitung nötig war. Es war dies ein ganzer Haufen von »Gedanken« des Fürsten, die er dem Komitee der Aktionäre einzureichen beabsichtigte. Hieraus mußte ein abgerundetes Ganzes hergestellt werden, und auch der Stil bedurfte der Verbesserung. Der Fürst und ich saßen nachher einen ganzen Tag lang über diesem Schriftstück, und er disputierte mit mir sehr hitzig, äußerte aber doch seine Zufriedenheit; ich weiß nur nicht, ob er sein Expose auch wirklich eingereicht hat. Die zwei, drei Briefe, ebenfalls geschäftlichen Inhalts, die ich auf Bitten des Beamten geschrieben hatte, will ich gar nicht erwähnen.
Um mein Gehalt zu bitten war mir auch deswegen unangenehm, weil ich bereits vorhatte, meine Stelle aufzugeben, da ich ahnte, daß zwingende Umstände mich nötigen würden, von hier fortzugehen. Als ich an jenem Morgen aufwachte und mich oben in meiner Kammer anzog, fühlte ich, daß mir das Herz heftig schlug, und obgleich ich mir vornahm, mich um nichts zu scheren, verspürte ich dennoch, als ich das Haus des Fürsten betrat, wieder dieselbe Erregung: an diesem Vormittag mußte jene Person, jene Frau eintreffen, von deren Anwesenheit ich eine Aufhellung all der Zweifel, die mich quälten, erwartete. Dies war die Tochter des Fürsten, jene Generalin Achmakowa, die junge Witwe, von der ich schon gesprochen habe, Wersilows erbitterte Feindin. Endlich habe ich diesen Namen hergeschrieben! Ich hatte sie allerdings noch nie gesehen und konnte mir keine Vorstellung machen, ob überhaupt und wie ich mit ihr reden würde; aber ich glaubte (und dazu hatte ich vielleicht ausreichende Gründe), daß mit ihrer Ankunft sich der dunkle Nebel lichten würde, der Wersilow in meinen Augen umgab. Ich vermochte nicht ruhig zu bleiben: ich ärgerte mich sehr, daß ich gleich beim ersten Schritt so kleinmütig und linkisch war; ferner befand ich mich in gespannter Erwartung, und vor allen Dingen war mir die Sache höchst widerwärtig, – so kamen drei verschiedene Empfindungen zusammen. Ich erinnere mich an diesen ganzen Tag auf das allergenaueste!
Daß seine Tochter wahrscheinlich an diesem Tag ankommen würde, wußte mein Fürst noch nicht, er erwartete ihre Rückkehr erst ungefähr in einer Woche. Ich hatte es tags zuvor ganz zufällig erfahren: Tatjana Pawlowna, die von der Generalin einen Brief erhalten hatte, beging, während ich im Zimmer war, im Gespräch mit meiner Mutter eine Unvorsichtigkeit. Sie flüsterten zwar nur miteinander und redeten in Andeutungen, aber ich erriet es doch. Selbstverständlich horchte ich nicht; aber ich konnte nicht umhin, weiter hinzuhören, als ich sah, in welche Aufregung meine Mutter bei der Nachricht von der Ankunft dieser Frau plötzlich geriet. Wersilow war nicht zu Hause.
Dem alten Herrn wollte ich keine Mitteilung machen, da mir die ganze Zeit über nicht hatte entgehen können, wie sehr er sich vor ihrer Ankunft fürchtete. Er hatte sich sogar drei Tage vorher die Bemerkung entschlüpfen lassen, allerdings nur schüchtern und andeutungsweise, er fürchte ihre Ankunft meinetwegen, das heißt, er fürchte, daß es ihm um meinetwillen schlimm ergehen werde. Ich muß indes hinzufügen, daß er seiner Familie gegenüber seine Selbständigkeit und seine Stellung als Oberhaupt doch zu wahren wußte, besonders was die Verwendung des Geldes anlangte. Ich hatte mir anfänglich über ihn die Vorstellung gebildet, daß er einfach ein altes Weib sei; aber später mußte ich meine Ansicht doch insofern korrigieren, als ich einsah, daß ihm, wenn er auch ein altes Weib war, doch wenigstens manchmal eine gewisse Hartnäckigkeit, wenn nicht gar Mannhaftigkeit verblieben war. Es kamen Zeiten vor, wo mit ihm trotz seines anscheinend ängstlichen und nachgiebigen Charakters fast nichts anzufangen war. Wersilow hat mir dafür später eine eingehende Erklärung gegeben. Ich erwähne noch die interessante Tatsache, daß der Fürst und ich fast nie miteinander von der Generalin gesprochen hatten, wir schienen es beide zu vermeiden: besonders ich vermied es, sie zu erwähnen, und er seinerseits vermied es, von Wersilow zu sprechen, so daß ich mir mit aller Bestimmtheit sagte, daß er mir keine Antwort geben würde, wenn ich es wagen sollte, ihm eine der heiklen Fragen, die mich so sehr interessierten, vorzulegen.
Wenn aber jemand fragen sollte, worüber wir beide denn nun diesen ganzen Monat lang miteinander gesprochen hatten, so antworte ich: über alles mögliche, aber immer über einigermaßen sonderbare Themen. Sehr gut gefiel mir die außerordentliche Offenherzigkeit, die er im Verkehr mit mir an den Tag legte. Manchmal sah ich diesen Menschen höchst erstaunt an und fragte mich: ›Wo hat denn der früher seinen Posten gehabt? Der hätte doch ausgezeichnet in unser Gymnasium hineingepaßt, etwa in die vierte Klasse, - da wäre er ein prächtiger Kamerad gewesen!‹Auch über sein Gesicht wunderte ich mich oft: es wirkte äußerlich sehr ernst (übrigens beinahe schön) und kühl; das dichte graue Haar etwas lockig, der Blick der Augen offen, die ganze Gestalt hager, jedoch gut gewachsen; aber sein Gesicht hatte die unangenehme, beinah unschickliche Eigenheit, sich auf einmal aus einem sehr ernsten in ein übermäßig lustiges zu verwandeln, so daß, wer zum erstenmal mit ihm zu tun hatte, dies in keiner Weise erwartet hätte. Ich redete darüber mit Wersilow, der mir interessiert zuhörte; er schien nicht vermutet zu haben, daß ich imstande sei, solche Beobachtungen zu machen, und bemerkte so obenhin, das habe sich bei dem Fürsten erst nach seiner Krankheit herausgebildet und eigentlich erst in der allerletzten Zeit.
Namentlich redeten wir über zwei abstrakte Themen: erstens über Gott und sein Dasein, das heißt, ob er existiert oder nicht, und zweitens über die Frauen. Der Fürst war sehr religiös und gefühlvoll. In seinem Arbeitszimmer hing ein großer Heiligenschrein mit einem Lämpchen davor. Aber mitunter bekam er eine plötzliche Anwandlung und begann dann auf einmal, am Dasein Gottes zu zweifeln und ganz wunderliche Dinge zu reden, wobei er mich offenbar zu einer Erwiderung herausforderte. Diese Idee ließ mich im allgemeinen ziemlich kalt; aber dennoch gerieten wir beide dabei immer in Eifer, und das ganz aufrichtig. Überhaupt