Stefan Zweig

Legenden


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nicht verstanden, Allverstehender – oder muß ich mein Wort dir noch deuten, ich, deine unkunde Magd? So begreife, Hartköpfiger – auch ich war in Eifersucht verfallen, weil Jakob an meine Schwester sich ausgoß, so wie du nun eiferst, weil meine Kinder andern Göttern räucherten an deiner Statt. Aber doch, ich schwach Weib, ich bezähmte mein Grollen, ich erbarmte mich um deinetwillen, den ich einen Barmherzigen meinte, ich erbarmte mich Leas, und Jakob erbarmte sich meiner, merke es, Gott: wir alle, die wir nur Menschen sind, arm und vergänglich, wir bezwangen das Böse des Neidens – du aber, du Allmächtiger, der alles erschaffen und alles erschöpft, du, aller Wesen Anbeginn und Übermaß, du, dem alles Meer ward, des wir nur Tropfen haben – du wolltest dich nicht erbarmen? Wohl weiß ich's, ein starrnackig Volk ist mein Kindvolk, und immer locken sie wider dein heilig Joch, aber doch, so du Gott bist und Herr aller Fülle, muß da nicht deine Langmut ihren Übermut übermessen und dein Erbarmen ihre Fehle? Denn dies darf nicht sein, daß vor deiner Engel Antlitz ein Mensch sich beschämte und jene redeten: es war ein Weib einst auf Erden, ein schwach, sterblich Weib, Rahel genannt, die bezähmte ihren Ingrimm. Er aber, Gott, der Herr aller ist und des Alls, er diente seinem Zorn als ein Knecht. Nein, Gott, das darf nicht sein, denn so dein Erbarmen nicht ohne Ende ist, dann bist du selber unendlich nicht – dann – bist –du – nicht – Gott. Dann bist du der Gott nicht, den ich schuf aus meinen Tränen und dessen Stimme mich anrief in meiner Schwester geängstetem Schrei – ein Fremdgott dann bist du, ein Zorngott, ein Strafegott, ein Rachegott, und ich, Rahel, ich, die nur den Liebenden liebt und nur dem Barmherzigen diente, ich, Rahel – ich verwerfe dich vor dem Antlitz deiner Engel! Mögen diese hier, mögen deine Erwählten und Propheten sich beugen – siehe, ich, Rahel, die Mutter, ich beuge mich nicht – aufrecht recke ich mich auf und trete in deine eigene Mitte, ich trete zwischen dich und dein Wort. Denn ich will rechten mit dir, ehe du rechtest mit meinen Kindern, und so klage ich dich an: dein Wort, Gott, ist Widerspruch wider dein Wesen, und dein zorniger Mund verleugnet dein eigentlich Herz. So richte, Gott, zwischen dir und deinem Wort! Bist du wahrhaft der Zornige, den du kündest, dann wirf auch mich in Finsternis zu meinen Kindern, denn als eines Zorngottes Antlitz will ich das deine nicht schauen, und mich widert die Wut deiner Eifersucht. So du aber der Barmherzige bist, den ich liebte von Anfang an und dessen Lehre ich lebte – dann laß dich endlich erkennen von mir, dann sieh mir ins Antlitz mit dem Leuchten deiner Milde und spare die Kinder, verschone die heilige Stadt.«

      Nachdem Rahel so das Schwert ihres Wortes in die Himmel gestoßen, brach ihr abermals die Kraft. Sie fiel hin in die Knie, rückgelehnt das Haupt in Erwartung des oberen Wortes, und ihre Lider lagen verschlossen gleich denen einer Toten.

      Ängstend aber wichen die Erzväter und Propheten von Rahels Nähe, denn ein Blitz, fürchteten sie, müsse niederfahren auf die Frevlerin, die mit Gott gerechtet. Scheuen Auges starrten sie in die Himmel. Kein Zeichen jedoch kam ihnen zu.

      Die Engel aber, die vor Gottes düsterer Braue ihr Haupt unter den Fittichen verbargen und schauernd hin auf die Verwegene blickten, die ihres Herrn Allmacht geleugnet, sie sahen, daß mit einemmal ein Licht ausging von Rahels Antlitz und ihre Stirne erglänzte. Wie von innen hob ihres Leibes Haut an zu strahlen, und die Tränen auf ihren Wangen, den mütterlichen, funkelten morgenrötlich wie Tau. Des erkannten die Engel, daß Gott mit all seiner atmenden Liebe Rahel ins Antlitz gesehen. Und sie erkannten, daß Gott die Leugnerin seines Wortes mehr liebte um ihres Glaubens Unmaßes und Ungeduld willen denn die Diener, die frommen seines Worts, um ihrer Hörigkeit. Da schwand der Engel Ängsten, sie hoben getrost ihre Augen, und siehe: es war wieder Helle und Herrlichkeit um Gottes Gegenwart, und seines Lächelns beseligend Blau überglänzte unendlich die Räume. Da rauschten die Cherubim auf mit klingenden Flügeln, und silbernen Fußes sprang der Wind ihren Fittichen nach, daß ein flüssig Tönen ging von Chorälen in des Himmels weißem Gezelt. Das Leuchten aber auf Gottes Antlitz wuchs zu unendlichem Glanz, bis die Firmamente solche Fülle nicht mehr trugen und zu strömen begannen vom Brausen des Lichts. Und aufklangen darin heiliger Eintracht die Stimmen der Engel und die Stimmen der Toten und aller jener, die Gott noch nicht zur Erde gerufen, bis alles ein selig Atmen ward und ein großer Gesang. Die Menschen aber tief unten, ewig dem Ratschluß der Himmlischen fremd, sie ahnten noch immer nicht, was ob ihren Häuptern geschah. In Sterbegewänder gehüllt, beugten sie dumpf die Stirn zur verdunkelten Erde. Da war plötzlich dem einen und andern, als ob über ihnen ein sanftes Sausen anhübe gleich einem märzlichen Wind. Unsicher blickten sie auf und erstaunten. Denn auf der zerspaltenen Wand des Gewölks stieg mit einmal ein Regenbogen herrlich nach oben und trug in den sieben Farben des Lichts ihre Tränen Rahel, der Mutter, entgegen.

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