Fjodor Dostojewski

Der Doppelgänger


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Nase hoch trägt.«

      »Hm! Wie ist denn das zu verstehen?«

      »Ich rede von einem gewissen Menschen, Krestjan Iwanowitsch ... von einem gemeinsamen Bekannten von uns, sagen wir mal z. B. von Wladimir Semjonowitsch ...«

      »Ach so!...«

      »Ja, Krestjan Iwanowitsch; und ich kenne gewisse Leute, Krestjan Iwanowitsch, die auf die öffentliche Meinung nicht so viel Wert legen, daß sie auch manchmal die Wahrheit sagen sollten.«

      »Ach so ... Wie denn das?«

      »Nun, ganz einfach so (übrigens gehört das nicht zur Sache): sie verstehen es, manchmal ein Ei mit Sauce zu servieren.«

      »Was? Was zu servieren?«

      »Ein Ei mit Sauce, Krestjan Iwanowitsch; das ist eine russische Redensart. Sie verstehen es z. B. manchmal, jemandem zur rechten Zeit zu gratulieren. Solche Leute gibt es, Krestjan Iwanowitsch.«

      »Zu gratulieren?«

      »Jawohl, zu gratulieren, Krestjan Iwanowitsch; wie es neulich einer meiner nächsten Bekannten gemacht hat!...«

      »Einer Ihrer nächsten Bekannten... ach so! Wie ist denn das zugegangen?« fragte Krestjan Iwanowitsch, der Herrn Goljadkin aufmerksam anblickte.

      »Ja, einer meiner nächsten Bekannten gratulierte einem andern sehr nahen Bekannten von mir, der sogar mein Freund, ja, wie man sich ausdrückt, mein Busenfreund ist, zum Avancement, zur Erlangung des Assessorgrades. Das kam ihm gerade sehr gelegen. ›Ich freue mich von ganzem Herzen über die Gelegenheit,‹ sagte er, ›Ihnen meinen Glückwunsch darbringen zu können, Wladimir Semjonowitsch, meinen aufrichtigen Glückwunsch zu Ihrem Avancement. Und ich freue mich um so mehr, da heutzutage, wie jedermann weiß, die alten Hexen, die einem Übles anwünschen konnten, ausgerottet sind.‹« Hier nickte Herr Goljadkin schlau mit dem Kopfe und blickte, die Augen zusammenkneifend, Krestjan Iwanowitsch an...

      »Hm! Also das hat er gesagt...«

      »Das hat er gesagt, Krestjan Iwanowitsch, das hat er gesagt, und dabei blickte er Andrei Filippowitsch, den Onkel unseres teuren Wladimir Semjonowitsch, an. Aber was kümmert mich das, daß er Assessor geworden ist, Krestjan Iwanowitsch? Was kümmert das mich? Er will heiraten, obwohl ihm, mit Erlaubnis zu sagen, die Milch noch nicht auf den Lippen getrocknet ist. Das habe ich denn auch gesagt. ›So ist das,‹ habe ich gesagt, ›Wladimir Semjonowitsch!‹ Nun habe ich aber alles gesagt; gestatten Sie mir, mich zu entfernen.«

      »Hm ...«

      »Ja, Krestjan Iwanowitsch, ich sage, gestatten Sie mir jetzt, mich zu entfernen. Aber um zwei Sperlinge mit einem Stein tot zu werfen, wandte ich mich, nachdem ich den jungen Mann mit seinen alten Hexen abgeführt hatte, an Klara Olsufjewna (die Geschichte spielte vorgestern bei Olsufi Iwanowitsch, und sie hatte soeben ein gefühlvolles Lied gesungen) und sagte: ›Sie haben ein gefühlvolles Lied gesungen; aber Ihre Zuhörer haben kein reines Herz.‹ Das war eine deutliche Anspielung, verstehen Sie wohl, Krestjan Iwanowitsch; damit spielte ich deutlich darauf an, daß man es jetzt nicht auf sie absieht, sondern weiterliegende Ziele verfolgt...«

      »Aha! Nun, und was tat er darauf?«

      »Er machte ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen, Krestjan Iwanowitsch, wie man zu sagen pflegt.«

      »Hm...«

      »Jawohl, Krestjan Iwanowitsch. Ich sprach auch mit dem Alten selbst. ›Olsufi Iwanowitsch,‹ sagte ich, ›ich weiß, wie sehr ich Ihnen verpflichtet bin; ich verstehe vollkommen die Wohltaten zu schätzen, mit denen Sie mich fast seit meiner Kindheit überhäuft haben. Aber machen Sie die Augen auf,‹ sagte ich, ›Olsufi Iwanowitsch! Passen Sie auf! Ich selbst handle ehrenhaft und offen, Olsufi Iwanowitsch.‹«

      »Sehen Sie mal an!«

      »Jawohl, Krestjan Iwanowitsch. So ist das!«

      »Und was sagte er darauf?«

      »Ja, was sagte er, Krestjan Iwanowitsch! Er kaute so etwas zurecht; dies und das, und ›ich kenne dich,‹ und daß Seine Exzellenz seine Freude daran habe, jemandem Gutes zu erweisen, – und nun kam er ins Salbaldern hinein... Was ist da auch zu erwarten? Er ist vor Alter ja schon ganz wacklig geworden, wie man zu sagen pflegt.«

      »Aha! Also so steht das jetzt!«

      »Ja, Krestjan Iwanowitsch; so steht es mit uns allen! Er ist ein schnurriger alter Mann: er sieht schon in seinen Sarg hinein und riecht nach Weihrauch, wie man zu sagen pflegt; aber wenn irgendein Weibergewäsch aufkommt, dann hört er darauf hin; da ist er mit Notwendigkeit dabei...«

      »Weibergewäsch sagten Sie?«

      »Ja, Krestjan Iwanowitsch, sie haben ein Weibergewäsch aufgebracht. Auch unser Bär und sein Neffe, unser teurer Freund, haben ihre Hände dabei im Spiele gehabt; sie haben mit den Weibern unter einer Decke gesteckt und die Sache zusammengebraut. Was glauben Sie: sie haben geplant, einen Menschen zu ermorden!...«

      »Einen Menschen zu ermorden?«

      »Jawohl, Krestjan Iwanowitsch, einen Menschen zu ermorden, im geistigen Sinne einen Menschen zu ermorden. Sie sprengten aus... ich rede immer von einem nahen Bekannten von mir...«

      Krestjan Iwanowitsch nickte mit dem Kopfe.

      »Sie sprengten über ihn ein Gerücht aus... Ich gestehe Ihnen, Krestjan Iwanowitsch, ich schäme mich ordentlich, davon zu reden.«

      »Hm!...«

      »Sie sprengten ein Gerücht aus, er habe bereits ein schriftliches Heiratsversprechen gegeben und sei bereits der Bräutigam einer anderen... Und was meinen Sie, Krestjan Iwanowitsch, wessen Bräutigam?«

      »Ich bin gespannt.«

      »Der Bräutigam einer Speisewirtin, einer unwürdigen Deutschen, bei der er zu Mittag aß; statt der Bezahlung seiner Schulden habe er ihr seine Hand angeboten.«

      »Das sagen sie?«

      »Sollten Sie es glauben, Krestjan Iwanowitsch? Eine Deutsche, eine gemeine, widerwärtige, schamlose Deutsche, Karolina Iwanowna, wenn Sie sie kennen...«

      »Ich muß gestehen, ich für meine Person...«

      »Ich verstehe Sie, Krestjan Iwanowitsch, ich verstehe Sie und habe meinerseits die gleiche Empfindung...«

      »Sagen Sie mir, bitte, wo wohnen Sie jetzt?«

      »Wo ich jetzt wohne, Krestjan Iwanowitsch?«

      »Ja ... ich möchte ... Sie wohnten ja wohl früher...«

      »Ja freilich, ich wohnte, Krestjan Iwanowitsch, ich wohnte, ich wohnte auch früher! Wie soll ich denn nicht gewohnt haben!« antwortete Herr Goljadkin und begleitete seine Worte mit einem kurzen Lachen; er verblüffte Krestjan Iwanowitsch ein wenig durch seine Antwort.

      »Nein, das haben Sie falsch aufgefaßt; ich wollte meinerseits...«

      »Ich wollte ebenfalls meinerseits, Krestjan Iwanowitsch, ich wollte ebenfalls,« fuhr Herr Goljadkin lachend fort. »Aber ich habe bei Ihnen schon viel zu lange gesessen, Krestjan Iwanowitsch. Ich hoffe, Sie erlauben mir jetzt, Ihnen einen guten Morgen zu wünschen...«

      »Hm!...«

      »Ja, Krestjan Iwanowitsch, ich verstehe Sie, ich verstehe Sie jetzt völlig,« sagte unser Held und nahm vor Krestjan Iwanowitsch eine etwas theatralische Stellung an. »Also erlauben Sie, daß ich Ihnen einen guten Morgen wünsche...«

      Hier machte unser Held einen Scharrfuß und verließ das Zimmer, in welchem Krestjan Iwanowitsch höchlichst erstaunt zurückblieb. Während Herr Goljadkin die Treppe des Arztes hinabstieg, lächelte er und rieb sich vergnügt die Hände. Als er vor der Haustür die frische Luft einatmete und sich in Freiheit fühlte, war er wirklich nahe daran, sich für den glücklichsten aller Sterblichen zu halten und sich nun geradeswegs nach seinem Bureau zu begeben – da fuhr auf einmal rasselnd eine Kutsche vor: er sah sie an, und alles fiel ihm wieder ein. Petruschka öffnete schon den Schlag. Ein sonderbares und außerordentlich