Torben Stamm

Das Todesnetz des Ian Degry


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musterte Phil: Der junge Mann war drahtig, hatte ein markantes Kinn und deutlich sichtbare Muskeln, die allerdings nicht aufgepumpt, sondern hart erarbeitet wirkten.

      „Sie möchten einen Job für mich ausführen?“, fragte Degry.

      „Ja, Sir.“

      „Sparen Sie sich das Sir. Wir sind nicht bei der Armee. Das hier ist ein Betrieb und wie in jedem Betrieb zählt nur der Erfolg. Ist das klar?“ Phil schluckte: „Ja.“

      „Gut. Wenn Sie versagen, ist das nicht nur für Sie ein Problem, sondern auch für mich. Und ich habe keine Lust, wegen Ihnen Probleme zu kriegen, klar?“

      „Ja!“

      „Wenn Sie versagen, hat das Konsequenzen – und es gibt keine zweite Chance.“

       Botschaft angekommen: Wenn ich versage, bin ich tot.

      Degry wartete einen Moment, dann fuhr er fort: „Die Zielperson heißt Walt Gouren.“ Er griff sich in die Hosentasche und holte einen kleinen Zettel hervor, den er auf den Schreibtisch legte.

      „Die Adresse.“

      Phil griff nach dem Zettel, las ihn und wollte ihn einstecken, als Degry schnauzte: „Was tun Sie da?“

      „Ich… Ich stecke den Zettel ein?“

      „Ist das eine Frage?“

      „Nein: Ich wollte den Zettel einstecken.“

      Degrys Miene verfinsterte sich: „Das werden Sie ganz bestimmt nicht tun.“

      „Aber…“

      „Sie sind jung. Sie werden sich eine scheiß Adresse doch wohl noch merken können, oder?“

      „Ja.“

      „Was fällt Ihnen an dem Zettel auf?“

      Phil faltete ihn erneut auseinander und betrachtete den gelben Zettel, auf dem jemand – wahrscheinlich Degry – handschriftlich die Adresse des Opfers notiert hatte.

      „Ähmmm…“

      „Großartig. Sie sind ein Genie.“ Degry schüttelte genervt den Kopf: „Den Zettel habe ich mit der Hand geschrieben. Sie glauben doch wohl nicht, dass ich Ihnen einen handgeschriebenen Zettel aushändige, auf dem die Adresse eines Mannes steht, der hoffentlich bald tot sein wird, oder?“

      Phil schluckte: Scheiße!

      „Hören Sie gut zu: Sie müssen an jedes Detail denken. Sie dürfen keine Spur hinterlassen, die zu Ihnen führt.“ Degry bemerkte, wie Szwans Blick kurz zu dem Computer huschte: „Sie fragen sich, warum ich die Adresse nicht am PC schreibe und ausdrucke?“

      Szwan nickte.

      „Weil das scheiß Internet das Gegenteil von anonym ist. In dem Moment, wo Sie etwas elektronisch verarbeiten, kann es jemand abfangen.“ Er verdrehte die Augen: „Früher hat man Briefe geschrieben. Die konnte man auch abfangen, aber man musste dafür jemanden an der richtigen Stelle einschleusen. Heute sitzt ein fetter Wichser irgendwo auf der Welt in seiner vollgepissten Bude und klaut überall auf der verdammten Welt elektronische Post. Und mit so einem Apparat“, er zeigte mit dem Zeigefinger auf den Laptop, „soll ich einen Mordauftrag erteilen?“

      Phil schüttelte den Kopf. Er warf einen Blick auf den Zettel, prägte sich die Adresse ein und legte das Papier zurück auf den Schreibtisch.

      „Sie haben 48 Stunden Zeit. Ich erwarte, dass Sie den Auftrag erledigen und sich dann eine Woche von mir fern halten, klar? Egal, was passiert: Sie melden sich nicht!“

      „Wollen…“

      „Sie melden sich nicht, habe ich gesagt. Wenn Sie erfolgreich sind, kriege ich das mit. Wenn Sie es vergeigen, kriege ich es auf jeden Fall mit. Ein Kontakt zwischen uns und somit eine rekonstruierbare Verbindung ist also nicht notwendig. Und jetzt verschwinden Sie.“

      Die neue Generation

      Die Szene der Auftragsmörder ist ein Milieu, das sich ständig verändert. Das liegt zum einen daran, dass ständig Leute sterben und weggesperrt werden, zum anderen an den vielen Konflikten auf der gesamten Welt.

      Sie verstehen das nicht?

      Kein Problem: Sagen wir, in einem viertklassigen Land bekämpfen sich zwei Gruppen, am besten noch unterstützt durch Waffenimporte aus dem Ausland, damit auch alle was davon haben. Jede Gruppe bildet über kurz oder lang Spezialisten aus, um gezielt Feinde zu töten.

      Es dauert zwar mal länger, mal kürzer, aber in der Regel ist irgendwann jeder Konflikt irgendwann einmal beendet oder mittelfristig unterbrochen: Entweder weil die eine Gruppe nicht mehr existiert oder weil beide Gruppen schlicht nicht mehr können. Irgendwann gehen sie wahrscheinlich wieder aufeinander los, aber für eine Zeit herrscht Ruhe. Im Schatten der jubelnden Weltgemeinschaft bleiben dann jene zurück, die sich die letzten Jahre oder Jahrzehnte ausschließlich aufs Töten spezialisiert haben.

      Was sollen sie machen? Sie haben Familien, Kinder und Frauen. Sie müssen Geld verdienen.

      Also gründen sie ein Start-Up und machen sich selbstständig.

      Und deswegen gibt es immer wieder Wellen von neuen Killern.

      Aber das ist es nicht nur.

      Ich glaube, dass langsam auch ein Generationenwechsel einsetzt – was sich dumm anhört, denn so alt bin ich ja noch gar nicht.

      Aber die Jungs, die heute frisch nachkommen, die Zwanzigjähren oder so, sind anders großgeworden: Mit Splatterfilmen und Ballerspielen. Sie wollen töten und sie wollen es jetzt.

      Für mich ist das Töten nichts, was Spaß macht, sondern lediglich Mittel zum Zweck – und der Zweck ist Broterwerb.

      Aber diese Generation brennt förmlich darauf, sich zu beweisen. Vor lauter Ehrgeiz vergessen sie dabei die Grundregeln und damit wird ihr Ehrgeiz zu meinem Problem, denn ich bin dafür verantwortlich, dass diese Abteilung läuft.

      Eine Vorstellung, die ich alles andere als prickelnd finde.

      Warum?

      Ganz einfach: Ich habe immer eher komplizierte Jobs angenommen. Diese werden besser bezahlt und dadurch muss man nicht im Akkord ran.

      Im Schnitt waren das vielleicht alle sechs Wochen ein Job.

      Bedeutet zwei Jobs in drei Monaten.

      Acht Jobs im Jahr.

      Bei jedem Job kann etwas schief gehen.

      Zeugen, Autopannen, die Liste ist lang.

      Aber man kann die Fehlerwahrscheinlichkeit eindämmen.

      Unterm Strich musste ich meinen Kopf für acht Jobs pro Jahr hinhalten, wobei ich persönlich dafür sorgen konnte, dass die Wahrscheinlichkeit, dass etwas dazwischen kommt, möglichst gering blieb.

      Und jetzt?

      Jetzt muss ich phasenweise jede Woche einen Job delegieren!

      Nachdem Gregor Gian Mateo ersetzt hatte, stand erstmal der Frühlingsputz an: Mögliche Konkurrenten ausschalten, hier und da ein Zeichen setzen… Es war eine elende Plackerei. Natürlich mussten wir auch ein paar alte, hochkarätige Berufskollegen erledigen, die es mit ihrer Loyalität zu meinem verstorbenen Vorgänger Figerd übertrieben haben – oder ihrem Ehrgeiz.

      Das alles hat die Killer-Szene mächtig durcheinandergewirbelt.

      Die alte Generation hat ordentlich geblutet, im wahrsten Sinne des Wortes.

      Also ist frisches Blut nachgekommen.

      Und damit muss ich mich jetzt rumschlagen.

      Ankunft

      Ryan Ferdinand