Йозеф Рот

Hotel Savoy


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kommst du heute?«

      »Ich war gestern hier, hörte, daß bei euch Gesellschaft war, und wollte nicht in diesem Anzug –«

      »Ach, was – ein ganz schöner Anzug! Heutzutage schämt man sich nicht. Heute tragen Millionäre auch keinen besseren Anzug! Ich hab' auch nur drei Anzüge! Ein Anzug kostet ein Vermögen!«

      »Ich wußte nicht, daß es so ist. – Ich komme aus der Kriegsgefangenschaft.«

      »Da ist es dir doch gutgegangen? Alle Menschen sagen, in der Gefangenschaft ist es gut.«

      »Es war manchmal auch schlecht, Onkel Phöbus!«

      »Nun, und jetzt willst du weiterfahren?«

      »Ja, ich brauche Geld!«

      »Geld brauch' ich auch«, lachte Phöbus Böhlaug. »Wir brauchen alle Geld!«

      »Du hast es ja wahrscheinlich.«

      »Ich hab'? Wie weißt du, daß ich hab'? Man ist von der Flucht zurückgekommen und hat sein Vermögen zusammengeklaubt. Ich hab' in Wien deinem Vater Geld gegeben – seine Krankheit hat mich ein schönes Geld gekostet, und deiner seligen Mutter hab' ich einen Grabstein gesetzt, einen schönen Stein – er hat schon damals zwei runde Tausender gekostet.«

      »Mein Vater ist im Siechenhaus gestorben.«

      »Aber die selige Mutter im Sanatorium.«

      »Was schreist du so? Reg dich nicht auf, Phöbus!«, sagt Regina. Sie kommt aus dem Schlafzimmer, hält ein Korsett in der Hand, mit baumelnden Strumpfbändern.

      »Das ist Gabriel«, stellt Phöbus vor.

      Regina bekam einen Handkuß. Sie bedauerte mich, meine Leiden in der Gefangenschaft, den Krieg, die Zeiten, die Kinder, den Mann.

      »Alexanderl ist hier, sonst hätten wir Sie gebeten, bei uns zu schlafen«, sagt sie.

      Alexanderl kommt in einem blauen Pyjama, verbeugt sich und scharrt mit den Pantoffeln. Er war im Krieg rechtzeitig von der Kavallerie zum Train gekommen, studiert jetzt in Paris »Export« – wie Phöbus sagt – und feiert seinen Urlaub zu Hause.

      »Sie wohnen im Hotel Savoy?«, sagt Alexander mit weltmännischer Sicherheit. »Dort wohnt ein schönes Mädchen« – und er zwinkert mit einem Aug' gegen seinen Vater. »Sie heißt Stasia und tanzt im Varieté – unnahbar, sag' ich Ihnen – ich wollte sie nach Paris mitnehmen« – er rückt nahe heran – »aber sie geht allein, wenn sie will, sagt sie mir. – Ein feines Mädchen!«

      Ich blieb zum Mittagessen. Phöbus' Tochter kam mit dem Mann. Der Schwiegersohn »half im Geschäft«, war ein robuster, gutmütiger, rotblonder, stiernackiger Mensch, löffelte brav seine Suppe, sorgte für Tellersäuberung, schweigsam, unberührt von rollenden Gesprächen.

      »Ich denke grade nach«, sagt Frau Regina, »dein blauer Anzug wird Gabriel passen.«

      »Ich hab' noch blaue Anzüge?«, fragt Phöbus.

      »Ja«, sagt Regina, »ich bring' ihn.«

      Ich versuchte vergeblich Abwehr. Alexander klopfte mir auf die Schulter, »ganz richtig«, sagte der Schwiegersohn, und Regina brachte den blauen Anzug. Ich probiere ihn in Alexanders Zimmer, vor dem großen Wandspiegel – er paßt.

      Ich sehe ein, sehe die Notwendigkeit eines blauen, »wie neuen« Anzugs ein, die Notwendigkeit braungetupfter Krawatten, einer braunen Weste, und scheide am Nachmittag mit einem Pappkarton in der Hand. Ich werde wiederkommen. Leise noch singt in mir eine Hoffnung auf Reisegeld.

      »Siehst du, jetzt hab' ich ihn ausgestattet«, sagt Phöbus zu Regina.

      5

      Stasia heißt das Mädchen. Das Programm des Varietés nennt ihren Namen nicht. Sie tanzt auf billigen Brettern vor einheimischen und Pariser Alexanders. Sie macht ein paar Wendungen in einem orientalischen Tanz. Dann setzt sie sich mit verschränkten Beinen vor einen Weihrauchkessel und wartet das Ende ab. Man kann ihren Körper sehn, blaue Schatten unter den Armen, schwellenden Ansatz einer braunen Brust, die Rundung der Hüfte, den Oberschenkel aus plötzlich aufhörendem Trikot.

      Es gab eine lächerliche Blechmusik, die Geigen fehlten, und das schmerzte fast. Es gab alte Witzlieder, modrige Späße eines Clowns, einen dressierten Esel mit roten Ohrenläschchen, der geduldig auf und ab trippelte, weiße Kellner, die wie Bierkeller rochen, mit überschäumenden Krügen zwischen dunklen Reihen, der Glanz eines gelben Scheinwerfers fiel schräg aus willkürlicher Deckenöffnung, ein finsterer Bühnenhintergrund schrie wie ein aufgerissener Mund, der Ansager krächzte, Bote trauriger Kunden.

      Am Ausgang warte ich; es ist wieder wie einst; als wartete ich, ein Knabe, im Seitengäßchen, gedrückt in den Schatten eines Haustors und in ihn verfließend, bis rasche, junge Tritte erschallen, aus dem Pflaster erblühen, wunderbar aus unfruchtbaren Kieselsteinen.

      Mit Frauen und Männern kam Stasia daher, die Stimmen rannen durcheinander.

      Lange war ich einsam unter Tausenden gewesen. Jetzt gibt es tausend Dinge, die ich teilen kann: den Anblick eines krummen Giebels, ein Schwalbennest im Klosett des Hotels Savoy, das irritierende, biergelbe Aug' des alten Liftknaben, die Bitterkeit des siebenten Stockwerks, die Unheimlichkeit eines griechischen Namens, eines plötzlich lebendigen grammatikalischen Begriffs, die traurige Erinnerung an einen boshaften Aorist, an die Enge des elterlichen Hauses, die plumpe Lächerlichkeit Phöbus Böhlaugs und Alexanderls Lebensrettung durch den Train. Lebendiger wurden die lebendigen Dinge, häßlicher die gemeinsam verurteilten, näher der Himmel, untenan die Welt.

      Die Tür des Fahrstuhls war offen, Stasia saß da. Ich verbarg meine Freude nicht, wir wünschten einander guten Abend wie alte Bekannte. Ich empfand den unvermeidlichen Liftboy bitter, er tat, als wüßte er nicht, daß ich im sechsten Stock aussteigen mußte, fuhr uns beide in den siebenten; hier stieg Stasia aus, verschwand in ihrem Zimmer, während der Liftmann noch wartete, als müßte er hier Passagiere mitnehmen: Wozu wartet er mit gelben Hohnaugen?

      Ich gehe also langsam die Treppe hinab, lausche, ob der Fahrstuhl sich in Bewegung setzt; endlich, ich bin in der Mitte, höre ich des Fahrstuhls glucksendes Geräusch und kehre um. Auf der obersten Stiege schickt sich der Liftmensch gerade an hinunterzusteigen. Er hat den Fahrstuhl leer laufen lassen und geht mit langsamer Bosheit zu Fuß.

      Stasia hat wahrscheinlich mein Klopfen erwartet.

      Ich will mich entschuldigen.

      »Nein, nein«, sagt Stasia. »Ich hätte Sie schon früher eingeladen, aber ich hatte Angst vor Ignatz. Er ist der Gefährlichste im Hotel Savoy. Ich weiß auch, wie Sie heißen, Gabriel Dan, und kommen aus der Gefangenschaft – ich hielt Sie gestern für einen – Kollegen – Artisten –« sie zögert – vielleicht fürchtet sie, mich zu beleidigen? Ich war nicht beleidigt. »Nein«, sagte ich, »ich weiß nicht, was ich bin. Früher wollte ich Schriftsteller werden, aber ich ging in den Krieg, und ich glaube, daß es keinen Zweck hat zu schreiben. – Ich bin ein einsamer Mensch, und ich kann nicht für alle schreiben.«

      »Sie wohnen gerade über meinem Zimmer«, sagte ich, weil ich doch nichts Schöneres sagen kann.

      »Weshalb wandern Sie die ganze Nacht herum?«

      »Ich lerne Französisch, ich möchte nach Paris gehn, etwas tun, nicht tanzen. Ein Dummkopf hat mich nach Paris mitnehmen wollen – seither denke ich daran hinzufahren.«

      »Alexander Böhlaug?«

      »Sie kennen ihn? Seit gestern sind Sie hier?«

      »Sie kennen ja auch mich.«

      »Haben Sie auch schon mit Ignatz gesprochen?«

      »Nein, aber Böhlaug ist mein Vetter.«

      »Oh! Entschuldigen Sie!«

      »Nein, bitte, bitte, er ist ein Dummkopf!«

      Stasia hat ein paar Schokoladerippen,