Frank Hille

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg - Band 2


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Beyer, Marsch zur Maas, 14. Mai 1940

      Als die Panzer die Wälder verließen lag ein Gelände hinter ihnen, dass nach der Meinung des französischen Generalstabs für diese unpassierbar war. Beyer war müde aber gespannt, wie sich der weitere Vormarsch entwickeln würde. Die Fahrzeuge entfalteten sich im offenen Gelände und gewannen rasch an Raum. Vor ihnen ertönte Gefechtslärm, Ju 88 und Stuka flogen Angriffe und als die Stellungen der Franzosen weitestgehend zerstört waren rückten Infanterie und Sturmpioniere der 1. Panzerdivision nach. Es gelang ihnen schnell Brückenköpfe zu errichten, und bis zum späten Nachmittag hatten die Deutschen die beherrschenden Höhen von Marfee besetzt, sie standen jetzt schon zwei Kilometer hinter der Maas. Kritischer war die Lage bei der 2. und 10. Panzerdivision, sie konnten am Südufer erst nach mehreren Ansätzen Fuß fassen, der 2. Panzerdivision gelang dies erst im Verlauf der Nacht. Die Luftwaffe hatte ihre Einsätze in die Tiefe verlagert und so konnten die ersten Panzer in den Morgenstunden des 14. Mai die Pontonbrücke überqueren.

      Fred Beyer war unbehaglich als er den Panzer auf die Brücke zusteuerte. Er allein saß in dem Stahlgehäuse, die anderen ragten aus den Luken oder hatten sich Platz auf der Wanne gesucht. Vorsichtig mit den Lenkhebeln hantierend gab sich Beyer Mühe das Fahrzeug in der Mitte der Brücke zu halten, wenn er einen Ponton verließ und auf den nächsten auffuhr nickte der Panzer in den Federn. Unerwartet schnell hatte er die Brücke passiert und am Ufer angekommen stieß er erleichtert die Luft aus. Die Reihe der Panzer überquerte die Brücke ohne Zwischenfälle und die Fahrzeuge rollten sofort weiter nach vorn, um der feindlichen Luftwaffe kein Ziel zu bieten. Die Inaktivität der französischen Flieger verwunderte ihn, aber die Franzosen hatten sich bei ihren Planungen auf einen langwierigen Krieg vorbereitet und ein Großteil der Maschinen stand nicht einsatzbereit im Hinterland, eine größere Anzahl zudem noch in Nordafrika.

      Auch hatten die Franzosen damit gerechnet, dass die Deutschen sich durch Belgien kämpfen und frühestens drei Wochen nach Angriffsbeginn an der Maas stehen würden. Lediglich eine Infanteriedivision mit Reservisten schützte das Territorium und die Truppen waren durch die deutschen Luftangriffe bereits angeschlagen. Das hatte vor allem die ungeschützte Feldartillerie getroffen, die Einheiten in den Befestigungsanlagen blieben weiter kampfbereit. Ob diese Anlagen wieder wie im ersten Krieg einen fast unüberwindlichen Riegel bilden würden war fraglich, denn die Deutschen hatten diesmal andere Pläne, wie sie vorrücken würden.

      Die Männer der SS-Kompanie hockten in gepanzerten Halbkettenfahrzeugen und wurden durch die schlechten Straßen und Wege in den Ardennen ordentlich durchgeschüttelt. An diesem Feldzug sollten gerade einmal zwei Divisionen der SS teilnehmen, das Misstrauen der Wehrmacht in die Kampffähigkeit dieser Truppe war nur gering, und sie sahen die SS ohnehin nur als Heinrich Himmlers Privatarmee an, die wahrscheinlich nur wenig leisten würde. Unbeschadet davon war es aber schon in Polen üblich gewesen, die SS da einzusetzen, wo eine schwierige Lage zu bereinigen war. Obwohl es in der offiziellen Lesart verschwiegen wurde, hatte sich die SS bereits einen gewissen Ruf als rücksichtslos vorgehende und tapfer kämpfende Truppe erwiesen, ihre Verlustraten waren im Vergleich zu denen der Wehrmacht erschreckend hoch. Der eigentliche Unterschied zwischen einem Wehrmachtssoldaten und einem SS-Mann lag darin, dass die einen einberufen wurden, die anderen aber alle Freiwillige waren und einer Idee folgten. Für sie stand fest, dass Deutschland wieder zu alter Größe zurückfinden musste und, etwas theatralisch formuliert, ein Kreuzzug gegen den Bolschewismus zu führen sei. Wenn man Günther Weber gesagt hätte, dass er an diesem Tag fallen würde, hätte ihn das zwar bedrückt, aber er wäre trotzdem mit der Überzeugung in den Kampf gezogen, dass er ein Opfer für sein Volk bringen und nicht vergessen werden würde.

      Die Standardwaffe der Infanterie war der Karabiner 98k, auch Weber hielt so eine Waffe zwischen seinen Beinen. Der Vorläufer, das Gewehr 98 war bereits 1898 in die deutsche Armee eingeführt worden. In der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts wurde der 98k dann an die Truppe gegeben. Er war wesentlich kürzer und leichter, wog knapp 4 Kilogramm und verfügte über ein 5 Schuss fassendes Kastenmagazin. Weber erinnerte sich an den Feldzug in Polen und war der Meinung, dass der moderne Infanteriekampf mit anderen Waffen geführt werden müsste. Er dachte da an die MP 40, von der es momentan nur wenige Exemplare in der Truppe gab, und diese waren ausschließlich Zug- oder Kompanieführern vorbehalten. Seine Vorstellungen vom Kampf sahen eine durchgängig mit solchen Maschinenpistolen bewaffnete Einheit, die so eine erhebliche Feuerkraft entwickeln würde. Besonders im Nahkampf war das Nachladen des Karabiners hinderlich und die 5 Schuss im Magazin hielt er für zu wenig. Dass die MP eine geringere effektive Reichweite als die Karabiner und ein kleineres Kaliber hatten hielt er unwesentlich, denn er ging davon aus, dass es diesmal keinen Stellungskrieg wie im ersten Weltkrieg geben würde. Die deutsche Strategie war auf schnelle Vorstöße ausgerichtet, und auf das enge Zusammenwirken der verschiedenen Waffengattungen. In Polen hatte seine Kompanie herbe Verluste hinnehmen müssen, aber das lag damals noch an ihrer Unerfahrenheit. Die Zeit vom Ende des Feldzuges bis heute war keine Ruhepause gewesen, das Gegenteil war der Fall. Die berühmte Norm, dass ein SS-Mann 3 Kilometer mit voller Ausrüstung in 20 Minuten bewältigen musste, hatten sie vielfach einhalten müssen. Dazu kam ein ausgedehntes Schiesstraining. Natürlich wurde das übliche Tamtam des Exerzierens beibehalten, aber es spielte nur noch eine untergeordnete Rolle. Vielmehr übten sie die Bewegung im Gelände und das gedeckte Vorgehen. Die Tage waren anstrengend aber Weber sagte sich, dass sie nur mit einem harten Training noch besser werden würden und das könnte den Ausschlag über den Ausgang eines Gefechtes geben.

      Das Auge des Sehrohrs zog durch die kabbelige See und hinterließ eine kleine Schaumspur. Dass der nur wenig aus dem Wasser herausragende Gegenstand entdeckt werden könnte war relativ unwahrscheinlich, da die Dämmerung bereits hereingebrochen und die Sicht dementsprechend schlecht war. Das Boot war auf Sehrohrtiefe eingesteuert und bewegte sich mit 6 Knoten vorwärts. Der Kommandant sah durch die einsetzenden Regenschleier nur die dunkelgraue Umgebung.

      „Verdammt“ presste er durch die Zähne heraus „die Sicht ist saumiserabel! Ich kann nichts erkennen. Wenn jetzt ein Zerstörer auftaucht karrt der uns doch glatt über den Haufen. LI, auf 40 Meter gehen.“

      U 378 verschwand von der Oberfläche und der Kommandant ließ nochmals rundhorchen.

      „Zerstörergeräusche in 285 Grad“ meldete der Horcher wenig später „näherkommend.“

      „Verdammt, die müssen doch das Sehrohr gesehen haben. LI, auf 80 Meter gehen.“

      Das Boot tauchte stark vorlastig tiefer und das Geräusch der mahlenden Zerstörerschrauben war jetzt deutlich zu vernehmen.

      „Noch tiefer LI“ befahl der Kommandant „auf 150 Meter. Schnell!“

      Als 90 Meter durchgingen meldete der Horcher:

      „Wirft Wasserbomben!“

      „Hart Backbord, große Fahrt voraus!“

      Ein Ruck ging durch das Boot, fünf Sekunden später wurde es durch die Detonationen heftig durchgeschüttelt, das Licht ging aus, aber die Lampen flammten schnell wieder auf. Der Kommandant ließ noch tiefer gehen, der LI und die Tiefenrudergänger starrten auf die Tiefenanzeige: 180 Meter. Ein Sirren ging durch den Rumpf und die Männer im Boot schauten mit bangen Blicken nach oben.

      „Nur 2 Zentimeter Schiffbaustahl sind rings um uns“ sagte Rau leise zu Haberkorn „der Alte treibt ein gefährliches Spiel. Wenn jetzt eine Schweißnaht reißt kommt das Wasser mit enormem Druck hereingeschossen. Aber wenn wir dem Zerstörer entwischen wollen müssen wir schon noch eine Weile hier unten bleiben. Aber irgendwann muss der Zerstörer zu den Frachtern zurück und wie ich den Alten kenne wird der dann wieder nachsetzen. Allerdings ist der Überraschungseffekt dahin und die da oben wissen dass wir in der Nähe sind. Ich würde die Sache abbrechen, ist viel zu gefährlich. Aber leider habe ich hier nichts zu sagen.“

      Martin Haberkorn lag auf einer Koje und starrte nach oben, er hatte Wachfrei und konnte nichts weiter tun als die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Er sah vor sich,