Friedrich Nietzsche Nietzsche

Jenseits von Gut und Böse: Zur Genealogie der Moral


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der Metaphysik in die Hand, recht eigentliche Gewissensfragen des Intellekts, welche heissen: »Woher nehme ich den Begriff Denken? Warum glaube ich an Ursache und Wirkung? Was giebt mir das Recht, von einem Ich, und gar von einem Ich als Ursache, und endlich noch von einem Ich als Gedanken-Ursache zu reden?« Wer sich mit der Berufung auf eine Art Intuition der Erkenntniss getraut, jene metaphysischen Fragen sofort zu beantworten, wie es Der thut, welcher sagt: »ich, denke, und weiss, dass dies wenigstens wahr, wirklich, gewiss ist« – der wird bei einem Philosophen heute ein Lächeln und zwei Fragezeichen bereit finden. »Mein Herr, wird der Philosoph vielleicht ihm zu verstehen geben, es ist unwahrscheinlich, dass Sie sich nicht irren: aber warum auch durchaus Wahrheit?«

      17. Was den Aberglauben der Logiker betrifft: so will ich nicht müde werden, eine kleine kurze Thatsache immer wieder zu unterstreichen, welche von diesen Abergläubischen ungern zugestanden wird, – nämlich, dass ein Gedanke kommt, wenn »er« will, und nicht wenn »ich« will; so dass es eine Fälschung des Thatbestandes ist, zu sagen: das Subjekt »ich« ist die Bedingung des Prädikats »denke«. Es denkt: aber dass dies »es« gerade jenes alte berühmte »Ich« sei, ist, milde geredet, nur eine Annahme, eine Behauptung, vor Allem keine »unmittelbare Gewissheit«. Zuletzt ist schon mit diesem »es denkt« zu viel gethan: schon dies »es« enthält eine Auslegung des Vorgangs und gehört nicht zum Vorgange selbst. Man schliesst hier nach der grammatischen Gewohnheit »Denken ist eine Thätigkeit, zu jeder Thätigkeit gehört Einer, der thätig ist, folglich –«. Ungefähr nach dem gleichen Schema suchte die ältere Atomistik zu der »Kraft«, die wirkt, noch jenes Klümpchen Materie, worin sie sitzt, aus der heraus sie wirkt, das Atom; strengere Köpfe lernten endlich ohne diesen »Erdenrest« auskommen, und vielleicht gewöhnt man sich eines Tages noch daran, auch seitens der Logiker ohne jenes kleine »es« (zu dem sich das ehrliche alte Ich verflüchtigt hat) auszukommen.

      18. An einer Theorie ist wahrhaftig nicht ihr geringster Reiz, dass sie widerlegbar ist: gerade damit zieht sie feinere Köpfe an. Es scheint, dass die hundertfach widerlegte Theorie vom »freien Willen« ihre Fortdauer nur noch diesem Reize verdankt –: immer wieder kommt jemand und fühlt sich stark genug, sie zu widerlegen.

      19. Die Philosophen pflegen vom Willen zu reden, wie als ob er die bekannteste Sache von der Welt sei; ja Schopenhauer gab zu verstehen, der Wille allein sei uns eigentlich bekannt, ganz und gar bekannt, ohne Abzug und Zuthat bekannt. Aber es dünkt mich immer wieder, dass Schopenhauer auch in diesem Falle nur gethan hat, was Philosophen eben zu thun pflegen: dass er ein Volks-Vorurtheil übernommen und übertrieben hat. Wollen scheint mir vor Allem etwas Complicirtes, Etwas, das nur als Wort eine Einheit ist, – und eben im Einen Worte steckt das Volks-Vorurtheil, das über die allzeit nur geringe Vorsicht der Philosophen Herr geworden ist. Seien wir also einmal vorsichtiger, seien wir »unphilosophisch« –, sagen wir: in jedem Wollen ist erstens eine Mehrheit von Gefühlen, nämlich das Gefühl des Zustandes, von dem weg, das Gefühl des Zustandes, zu dem hin, das Gefühl von diesem »weg« und »hin« selbst, dann noch ein begleitendes Muskelgefühl, welches, auch ohne dass wir »Arme und Beine« in Bewegung setzen, durch eine Art Gewohnheit, sobald wir »wollen«, sein Spiel beginnt. Wie also Fühlen und zwar vielerlei Fühlen als Ingredienz des Willens anzuerkennen ist, so zweitens auch noch Denken: in jedem Willensakte giebt es einen commandirenden Gedanken; – und man soll ja nicht glauben, diesen Gedanken von dem »Wollen« abscheiden zu können, wie als ob dann noch Wille übrig bliebe! Drittens ist der Wille nicht nur ein Complex von Fühlen und Denken, sondern vor Allem noch ein Affekt: und zwar jener Affekt des Commando's. Das, was »Freiheit des Willens« genannt wird, ist wesentlich der Überlegenheits-Affekt in Hinsicht auf Den, der gehorchen muss: »ich bin frei, »er« muss gehorchen« – dies Bewusstsein steckt in jedem Willen, und ebenso jene Spannung der Aufmerksamkeit, jener gerade Blick, der ausschliesslich Eins fixirt, jene unbedingte Werthschätzung »jetzt thut dies und nichts Anderes Noth«, jene innere Gewissheit darüber, dass gehorcht werden wird, und was Alles noch zum Zustande des Befehlenden gehört. Ein Mensch, der will –, befiehlt einem Etwas in sich, das gehorcht oder von dem er glaubt, dass es gehorcht. Nun aber beachte man, was das Wunderlichste am Willen ist, – an diesem so vielfachen Dinge, für welches das Volk nur Ein Wort hat: insofern wir im gegebenen Falle zugleich die Befehlenden und Gehorchenden sind, und als Gehorchende die Gefühle des Zwingens, Drängens, Drückens, Widerstehens, Bewegens kennen, welche sofort nach dem Akte des Willens zu beginnen pflegen; insofern wir andererseits die Gewohnheit haben, uns über diese Zweiheit vermöge des synthetischen Begriffs »ich« hinwegzusetzen, hinwegzutäuschen, hat sich an das Wollen noch eine ganze Kette von irrthümlichen Schlüssen und folglich von falschen Werthschätzungen des Willens selbst angehängt, – dergestalt, dass der Wollende mit gutem Glauben glaubt, Wollen genüge zur Aktion. Weil in den allermeisten Fällen nur gewollt worden ist, wo auch die Wirkung des Befehls, also der Gehorsam, also die Aktion erwartet werden durfte, so hat sich der Anschein in das Gefühl übersetzt, als ob es da eine Nothwendigkeit von Wirkung gäbe; genug, der Wollende glaubt, mit einem ziemlichen Grad von Sicherheit, dass Wille und Aktion irgendwie Eins seien –, er rechnet das Gelingen, die Ausführung des Wollens noch dem Willen selbst zu und geniesst dabei einen Zuwachs jenes Machtgefühls, welches alles Gelingen mit sich bringt. »Freiheit des Willens« – das ist das Wort für jenen vielfachen Lust-Zustand des Wollenden, der befiehlt und sich zugleich mit dem Ausführenden als Eins setzt, – der als solcher den Triumph über Widerstände mit geniesst, aber bei sich urtheilt, sein Wille selbst sei es, der eigentlich die Widerstände überwinde. Der Wollende nimmt dergestalt die Lustgefühle der ausführenden, erfolgreichen Werkzeuge, der dienstbaren »Unterwillen« oder Unter-Seelen – unser Leib ist ja nur ein Gesellschaftsbau vieler Seelen – zu seinem Lustgefühle als Befehlender hinzu. L'effet c'est moi: es begiebt sich hier, was sich in jedem gut gebauten und glücklichen Gemeinwesen begiebt, dass die regierende Klasse sich mit den Erfolgen des Gemeinwesens identificirt. Bei allem Wollen handelt es sich schlechterdings um Befehlen und Gehorchen, auf der Grundlage, wie gesagt, eines Gesellschaftsbaus vieler »Seelen«: weshalb ein Philosoph sich das Recht nehmen sollte, Wollen an sich schon unter den Gesichtskreis der Moral zu fassen: Moral nämlich als Lehre von den Herrschafts-Verhältnissen verstanden, unter denen das Phänomen »Leben« entsteht.

      20. Dass die einzelnen philosophischen Begriffe nichts Beliebiges, nichts Für-sich-Wachsendes sind, sondern in Beziehung und Verwandtschaft zu einander emporwachsen, dass sie, so plötzlich und willkürlich sie auch in der Geschichte des Denkens anscheinend heraustreten, doch eben so gut einem Systeme angehören als die sämmtlichen Glieder der Fauna eines Erdtheils: das verräth sich zuletzt noch darin, wie sicher die verschiedensten Philosophen ein gewisses Grundschema von möglichen Philosophien immer wieder ausfüllen. Unter einem unsichtbaren Banne laufen sie immer von Neuem noch einmal die selbe Kreisbahn: sie mögen sich noch so unabhängig von einander mit ihrem kritischen oder systematischen Willen fühlen: irgend Etwas in ihnen führt sie, irgend Etwas treibt sie in bestimmter Ordnung hinter einander her, eben jene eingeborne Systematik und Verwandtschaft der Begriffe. Ihr Denken ist in der That viel weniger ein Entdecken, als ein Wiedererkennen, Wiedererinnern, eine Rück- und Heimkehr in einen fernen uralten Gesammt-Haushalt der Seele, aus dem jene Begriffe einstmals herausgewachsen sind: – Philosophiren ist insofern eine Art von Atavismus höchsten Ranges. Die wunderliche Familien-Ahnlichkeit alles indischen, griechischen, deutschen Philosophirens erklärt sich einfach genug. Gerade, wo Sprach-Verwandtschaft vorliegt, ist es gar nicht zu vermeiden, dass, Dank der gemeinsamen Philosophie der Grammatik – ich meine Dank der unbewussten Herrschaft und Führung durch gleiche grammatische Funktionen – von vornherein Alles für eine gleichartige Entwicklung und Reihenfolge der philosophischen Systeme vorbereitet liegt: ebenso wie zu gewissen andern Möglichkeiten der Welt-Ausdeutung der Weg wie abgesperrt erscheint. Philosophen des ural-altaischen Sprachbereichs (in dem der Subjekt-Begriff am schlechtesten entwickelt ist) werden mit grosser Wahrscheinlichkeit anders »in die Welt« blicken und auf andern Pfaden zu finden sein, als Indogermanen oder Muselmänner: der Bann bestimmter grammatischer Funktionen ist im letzten Grunde der Bann physiologischer Werthurtheile und Rasse-Bedingungen. – So viel zur Zurückweisung von Locke's Oberflächlichkeit in Bezug auf die Herkunft der Ideen.

      21. Die causa sui ist der beste Selbst-Widerspruch, der bisher ausgedacht worden ist, eine Art logischer Nothzucht und Unnatur: aber der ausschweifende Stolz des Menschen hat es dahin gebracht, sich tief und schrecklich gerade mit diesem Unsinn zu