Karl Olsberg

Das Dorf Band 7


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eine gepflegte Diskussion.“

      „Ja, und wir wollten nur gerade ein kleines Experiment machen.“

      „Und dabei wolltet ihr bloß mal eben den Hebel umlegen, richtig?“

      „Ja, aber nur ganz kurz“, gibt Olum zu. „Wir wollten bloß ausprobieren, ob die Bahn anders herum fährt, wenn man ihn in die andere Richtung klappt.“

      „Ich sage dir, was passiert wäre, wenn ihr das getan hättet“, sagt Primo mit zitternder Stimme. „Die Bahn hätte angehalten, Artrax wäre befreit worden und hätte alle Knallschleicher und Nachtwandler in der ganzen Welt hierher beordert, um unser Dorf und alle Bewohner in die Luft zu sprengen.“

      „Du musst ja nicht gleich übertreiben!“, sagt Olum, aber er macht doch sicherheitshalber einen Schritt weg von dem Hebel, was allerdings dazu führt, dass er beinahe von der rasenden Lore überfahren wird.

      „Jetzt verschwindet von hier und wagt euch nie mehr auch nur in die Nähe der Kreisbahn!“

      „Ja, ja, ist ja schon gut, beruhige dich, Primo!“, sagt Olum.

      „Ts, die Jugend von heute, keinen Respekt mehr vor den Älteren!“, grummelt Kaus, während die beiden das Gleisoval verlassen.

      Rasch kehrt Primo zu Golina zurück, die einsam auf der Dorfstraße steht und ihn entgeistert anblickt. Die Sonne steht inzwischen tief und lässt ihr Gesicht aufleuchten, als bestünde es aus purem Gold. Ihm stockt der Atem, so schön sieht sie in diesem Moment aus.

      „Es tut mir leid, Golina. Ich musste bloß ...“

      „Schon gut“, sagt sie. „Ich verstehe. Mit der Kreisbahn zu spielen ist nun mal wichtiger, als mir meine Herzenswünsche zu erfüllen.“

      „Ist es überhaupt nicht. Aber wenn ich gerade nicht eingegriffen hätte, dann wäre das Dorf vielleicht ein zweites Mal zerstört worden. Willst du das etwa?“

      „Siehst du, genau das ist das Problem“, sagt Golina, und Tränen kullern über ihre Wangen. „Immer denkst du, du musst das Dorf retten, und dann bringst du dich in Schwierigkeiten. Kannst du nicht endlich mal damit aufhören?“

      Primo blickt sie geschockt an. Es ist doch nicht seine Schuld, wenn Olum und Kaus ... Doch dann begreift er, dass es im Grunde doch seine Schuld ist. Alles fing an, als er dem Fremden in den Wald gefolgt ist und Kolle und sich selbst in Lebensgefahr gebracht hat. Und dass Artrax dort in der Kreisbahn sitzt, ist auch nur dem Umstand zu verdanken, dass er das vermaledeite Drachenei ins Dorf brachte. Golina hat recht: Jedes Mal, wenn er versucht hat, alles gut zu machen, ist es bloß noch schlimmer geworden. Vielleicht sollte er wirklich damit aufhören. Vielleicht sollte es ihm einfach egal sein, ob Olum oder Kaus oder eines von Jargas Schafen oder ein Knallschleicher den Hebel umlegt und Artrax befreit. Wenn nur Golina aufhören würde, zu weinen!

      Er legt einen Arm um sie. „Also gut, ich höre damit auf“, sagt er. „Ich schwöre es!“

      Sie dreht sich zu ihm um und sieht ihn mit ihren strahlend blauen Augen an. „Du schwörst was?“

      „Ich schwöre, dass ich nie wieder ein Abenteuer haben werde!“

      Golinas Lippen heben sich zu einem wunderschönen, strahlenden Lächeln, gegen das die untergehende Sonne wie eine trübe Fackel wirkt. Dann küsst sie ihn, und die Welt scheint sich aufzulösen.

      Plötzlich fühlt sich Primo schwerelos, so als durchschreite er ein Portal in eine andere Welt wie den Nether oder das Ende, nur dass diese Welt voller rosa Herzen zu sein scheint.

      Nach einer Zeit, die eine Sekunde gewesen sein könnte oder ein ganzer Tag, löst sie sich von ihm.

      „Das ... das war ... wunderschön!“, sagt er atemlos. „Ich liebe dich, Golina! Ich ...“

      „Wääääh!“, macht es neben ihm.

      Erschrocken fährt Primo herum. Dort steht ein winzig kleiner Dorfbewohner und blickt zu ihm auf. „Babba!“, sagt das Kind.

      3. Vater werden ist nicht schwer ...

      Primo starrt den Kleinen entgeistert an. „Wo kommst du auf einmal her?“, fragt er verdutzt. „Wie heißt du denn, mein Kleiner?“

      „Babba!“, macht der Kleine und klammert sich an Primos Bein, was diesem ein bisschen unangenehm ist.

      „Und wo sind deine Eltern, Babba?“

      Golina kichert.

      „Was denn?“, fragt Primo. „Kennst du das Kind etwa? Ich hab es noch nie zuvor im Dorf gesehen!“

      „Natürlich nicht, du Dussel! Es ist doch gerade eben erst auf die Welt gekommen!“

      „Gerade eben? Und wer sind dann seine Eltern?“

      Golina rollt mit den Augen, als hätte Primo etwas unglaublich Dummes gesagt. „Wir natürlich!“

      Primo starrt den Kleinen an, als wäre er ein rosafarbener Knallschleicher. „Wer? Was? Wo? Wieso? Weshalb? Warum?“

      „Wir haben uns geküsst“, erklärt Golina amüsiert, „und dabei ist ein Kind entstanden. Das passiert eben manchmal.“

      „Vom ... vom Küssen kriegt man Kinder?“, fragt Primo verdattert.

      „Natürlich. Was dachtest du denn, wo die herkommen? Hast du geglaubt, sie reiten auf Hühnern ins Dorf?“

      „Gabbl blabbl blabb!“, macht der Kleine und nuckelt an Primos Kutte.

      „Aber, ich ... ich ...“, stammelt Primo, der immer noch völlig verwirrt ist.

      Golinas Gesicht, das eben noch glücklich gestrahlt hat, verfinstert sich. „Jetzt sag bloß nicht, du freust dich nicht!“

      „Äh, doch, doch, natürlich freue ich mich!“, beeilt sich Primo zu versichern.

      Golina nimmt den Kleinen auf den Arm und gibt ihm einen schmatzenden Kuss. „Ist er nicht süß?“

      „Mamma!“, macht das Kind begeistert und schmiegt sich glücklich an sie.

      Plötzlich ertönt ein spitzer Aufschrei hinter den beiden. „Ein Kind! Ein Kind! Golina und Primo haben ein Kind gekriegt!“, schreit Ruuna lauthals.

      Ungefähr zehn Sekunden später sind die beiden von sämtlichen Dorfbewohnern umringt.

      „Tatsächlich, das ist ein Kind“, stellt Kaus scharfsinnig fest.

      „Ach, du bist mal wieder ein richtiger Blitzmerker!“, stichelt Hakun.

      „Das ist mein Enkelsohn!“, sagt Bendo, der vor Stolz strahlt, während er seine Tochter umarmt.

      „Das hast du großartig gemacht, mein Sohn!“ Porgo klopft Primo anerkennend auf die Schulter.

      „Gemacht? Ich hab doch gar nichts gemacht“, sagt Primo, der das Ganze immer noch nicht so richtig fassen kann.

      Nacheinander gratulieren alle dem glücklichen Elternpaar, angefangen mit Kolle und Margi, gefolgt von Ruuna, Willert und dem ganzen Rest.

      Magolus lässt es sich natürlich nicht nehmen, zur Feier dieses besonderen Ereignisses eine kleine Ansprache zu halten: „Liebe Gemeinde, wieder einmal hat Notch, unser Schöpfer, dieses Dorf dafür gesegnet, dass es so weise von seinem geistlichen Oberhaupt geführt wird, der stets darauf achtet, dass sich alle Bewohner an die Heiligen Gebote halten. Und so freuen wir uns mit Primo und Golina darüber, dass unser schönes Dorf nun einen Bewohner mehr hat als gewisse deutlich kleinere Siedlungen in der Umgebung.“

      „Aber ein bisschen seltsam ist es schon“, sagt Birta. „Wo doch niemand gestorben ist.“

      Das führt augenblicklich zu einer angeregten Diskussion. Tatsächlich ist es, soweit sich irgendwer erinnern kann, noch nie vorgekommen, dass ein Kind geboren wurde, ohne dass vorher ein Bewohner starb.

      „Vielleicht ist ja wer gestorben“, mutmaßt Kaus.