Anton Jaru

Unsere Gleichgültigkeit ist das Todesurteil anderer


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dann doch zu anstrengend, das Weltbild umzukrempeln, an das man sich so gewöhnt hat. Anstatt den Rahmen seines Weltbilds ständig zu erweitern, wird der Rahmen einfach festgenagelt. Tipp: Prüfen statt Blocken.

      Unsachlichkeit und Schwarz-Weiß-Denken

      Fehlende Objektivität im Denken und fehlender kühler Verstand bzw. Emotionen behindern viele Menschen dabei, zu den richtigen Schlüssen zu gelangen und ziehen sie in Extreme. Oft führt das Bedürfnis, sich immer auf eine Seite schlagen, zu diesen Problemen. Diese Menschen verteidigen ihre Konfliktseite mit allen Mitteln, anstatt sich weg von den Fronten zu bewegen und die Situation von außen unparteiisch zu beurteilen. Der eigenen Konfliktseite (das kann z. B. eine politische Partei sein) widersprechen sie nie, ihre Argumente bewerten sie über. Gegenargumente aber werden ignoriert oder geleugnet, und wenn das nicht mehr geht, werden sie heruntergespielt (Konformitätsdruck; wer sich nicht anpasst, bekommt Ärger). Durch diese parteiische Einstellung entsteht ein verzerrtes, einseitiges Bild. Es wird mit zweierlei Maß gemessen, man könnte es einfach Doppelmoral nennen. Oft ist so eine Gruppenzugehörigkeit stark emotional gefärbt, weil sich ihre Mitglieder mit der Gruppe identifizieren, sie also Teil ihrer selbst wird. Einen Angriff gegen das eigene Lager empfinden sie schnell als persönlichen Angriff, was eine sachliche Auseinandersetzung massiv erschwert (leider empfinden Menschen nachweislich sogar politische Meinungen an sich als Teil der eigenen Identität). Mediale Hetze gegen bestimmte Menschengruppen verstärkt bzw. ermöglicht oft erst die geistige Frontenbildung, die nichts anderes als „Teile und herrsche“ bedeutet. Ich rate, auf emotionale Distanz zu sozialen Gruppen zu gehen und die Sachlage nüchtern von außen zu betrachten.

      Völlig irrational wird es, wenn Emotionen die gesamte Urteilsbildung übernehmen und persönliche Empfindungen über gesicherte Erkenntnisse und Logik gestellt werden. Bestimmt hat jeder einmal Sätze gehört wie „Ja, das mag sein, aber ich denke trotzdem, dass es anders ist“. Die Antiintellektuellen hören lieber auf ein diffuses inneres Gefühl, z. B. Angst, Besorgnis, Sympathie oder eine latente Abneigung. Eine Borniertheit auf emotionaler Ebene sozusagen - die aber durch Suche nach bestätigenden Informationen rationalisiert werden kann. Gefährlich wird es, wenn jemand hassgeladen ist, z. B. wegen schockierenden Bildern, Hetze etc. Dann schaltet sich der Verstand komplett ab und dann ist der Mensch auch zu allem fähig, bis hin zu Mord und Terror.

      Eine weitere Form von Unsachlichkeit ist Schwarz-Weiß-Denken, also das Einteilen in zwei gegensätzliche Kategorien. Das Schwarz-Weiß-Denken spielt oft eine zentrale Rolle bei unmündigen Menschen. Es gibt nur noch gut oder böse, richtig oder falsch, moralisch oder verwerflich, einwandfrei oder mangelhaft, alles oder nichts. Abstufungen dazwischen werden nicht oder kaum wahrgenommen. Diese Alternativenblindheit bzw. Entweder-oder-Logik vereinfacht die Welt ungemein und erspart mühsames Differenzieren. Man hat sozusagen eine These und Antithese, kommt aber nie zu einer Synthese. Die daraus entstehende Vorstellung von der Welt, die aus Verallgemeinerungen besteht, hat allerdings nur wenig mit der realen zu tun. Die moderne Psychologie erklärt dieses Phänomen damit, dass Menschen widersprüchliche Informationen nur schwer ertragen können (kognitive Dissonanz). Um Unstimmigkeiten zu vermeiden, passt die Wahrnehmung neue Informationen den schon bestehenden Auffassungen einfach an - bis sie mit diesen übereinstimmen. Konkret bedeutet das, „unstimmige“ Informationen werden schlicht ignoriert, geleugnet, heruntergespielt oder umgedeutet. Das ist der Grund, warum viele Menschen verschiedene Sichtweisen oder widersprüchliche Fakten zu einem Thema nicht akzeptieren wollen. Die Realität ist leider facettenreich, widersprüchlich, nie ganz eindeutig - und das sollten wir dann doch akzeptieren. Tipp: Goldene Mitte statt dunkler Rand.

      Vorurteile

      Jeder hat sie und sie komplett abzulegen ist ein Ding der Unmöglichkeit - Vorurteile. Urteile, die nicht auf Wahrheit geprüft wurden. Kein Wunder, schließlich ersparen sie uns aufwendige Denkarbeit - das Differenzieren und Analysieren - jedoch sorgen auch sie für ein verzerrtes Weltbild. Noch dazu führen Vorteile oft zu einer starken Voreingenommenheit, die blind für Tatsachen und unerwünschte Informationen macht. Wir sollten uns deshalb immer wieder klarmachen, wie voreingenommen wir auf neue Informationen reagieren.

      Durch äußere Faktoren bedingte Vorurteile gleichen immer einer klassischen Konditionierung - ein Denkprozess findet gar nicht erst statt. Bedeutet, auf einen bestimmten Reiz, dazu reicht schon ein Wort, wird mit einem bestimmten Reflex reagiert. Die berühmte deutsche Psychologin Vera F. Birkenbihl nannte dazu einst ein anschauliches Beispiel: Ein Mann erzählt jemandem über einen spannenden wissenschaftlichen Durchbruch, sein Zuhörer ist begeistert. Doch dann erklärt er, dass polnische Wissenschaftler dafür verantwortlich seien - plötzliche Enttäuschung („Die können sowas doch gar nicht!“). Wären es US-amerikanische oder britische Wissenschaftler gewesen, wäre die eigene Welt noch in Ordnung. Das ist ein Beispiel für ein klassisches Vorurteil, das sich innerhalb der Gesellschaft mit der Zeit verbreitet hat und sich tief in den Köpfen der breiten Masse festgesetzt hat.

      Es gibt auch solche, die vor allem Medien „herbeikonditionieren“. Beispielsweise wenn bei Kritikern der offiziellen 9/11-Version direkt an Spinner und Verschwörungstheoretiker gedacht wird; wenn bei Euro-Kritikern direkt an rückständige Nationalisten gedacht wird oder wenn bei Israel-Kritikern direkt an Antisemiten gedacht wird. George Orwell hätte dieses Phänomen wohl „Gedankenverbrechen“ genannt.

      Ferner gibt es die durch eigene voreilige Schlüsse verschuldeten Vorurteile. Zum einen wäre die induktive Logik bzw. Verallgemeinerung zu nennen - man schließt vom Einzelnen auf das Allgemeine (oft in Bezug auf Gemeinschaften und Gesellschaften). Zum anderen gibt es Vorurteile, die aus vermeintlich Offensichtlichem geschlossen werden; Hintergründe und Zusammenhänge, die nicht sofort erkenntlich sind, werden völlig außer Acht gelassen (oberflächliches Denken). So kann man aus einigen Puzzleteilen ein ganzes Bild herbeidichten, abenteuerliche Schuldzuweisungen können entstehen usw.

      Ein unmündiger Mensch gibt sich aber nicht alleine mit Vorurteilen zufrieden, sie sollen noch ständig bedient werden. Das erwartet er vor allem von der Berichterstattung in den Medien, um ja keine wertvolle Hirnleistung zu verschwenden. Was nicht dem Weltbild entspricht, dem wird aus dem Weg gegangen. Schubladendenken und Vorurteile - nieder damit! Tipp: Analyse statt Oberflächlichkeit.

      Ideologieanfälligkeit

      Der eigene Glauben an eine bestimmte Ideologie, dazu zähle ich Religionen, ist äußerst emotionsgeladen, bedingungslos und nicht verhandelbar. Ob Liberalismus, Konservatismus, Kommunismus, Nazismus, die westliche Demokratie oder Religionen, die Anhänger sind an einer sachlich-kritischen Auseinandersetzung nicht interessiert und sorgen regelmäßig für Feindschaften und Konflikte aller Art, anstatt gemeinsam mit Argumenten der Wahrheit näher zu kommen.

      Ideologien sind in sich geschlossene Systeme von Anschauungen, erheben einen Absolutheitsanspruch und sind dementsprechend nicht mit Pendants vereinbar. Der Absolutheitsanspruch bedeutet, dass die Ideologien statische Konstrukte sind und kaum durch neue Erkenntnisse weiterentwickelt werden. Da die Anhänger Ihre Ideologie(n) als vollkommen erachten, wenn auch unbewusst, sind sie nicht mit Verstand zu überzeugen. Nicht nur das: Sie entwickeln außerdem eine Intoleranz oder zumindest eine starke Abneigung gegen Andersartigkeit bzw. Widerspruch. Und mit der Zeit wird ein Ausstieg immer unwahrscheinlicher, weil die Anhänger ihr Gesicht wahren wollen (indem sie keine Eingeständnisse machen).

      Wenn es an die Durchsetzung solcher Ideologien geht, müssen diese fast zwangsläufig gewaltsam durchgesetzt werden, da Argumente keine Rolle spielen und Kompromisse nicht möglich sind (Absolutheitsanspruch). Und genau das zeigt die Geschichte - Ideologiewechsel finden in der Regel nach Umstürzen, Zusammenbrüchen und Eroberungen statt. Auf der anderen Seite geben Ideologien vorgefasste Antworten auf schwierige Fragen, was eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihnen erspart, außerdem geben Ideologien den Leuten Halt und ein Gefühl der Zugehörigkeit sowie das Gefühl, für das einzig Wahre einzustehen. Doch dieses unreflektierte Unterwerfen führt erfahrungsgemäß zu nichts Gutem. Ideologien sind und waren rückblickend schon immer brandgefährlich; sie haben viel Leid über die ganze Welt gebracht, ganz einfach, weil sie dogmatisch und gegen die Vernunft gerichtet