Ulrich Muller

Arthur Rett - Aufstieg und Fall eines Helden


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dachte sie, der alte Depp hatte ihr schönes Geld ihrem missratenen Sohn vererbt! Im nächsten Augenblick hatte sie sich jedoch wieder im Griff. Sie war zu klug und zu durchtrieben, um in der Kanzlei von Dr. Hörtnagel einen Skandal zu provozieren. In ungewohnter Schärfe schnitt sie Erika das Wort ab, die eben begonnen hatte, sich über diese unerhörte Nachricht zu echauffieren. Solange sie nicht alle Möglichkeiten geprüft hatte, ob es nicht einen Ausweg aus dieser unangenehmen Situation gebe, durfte Arthur nichts von dem Testament wissen. Überhaupt war es wohl das Beste, wenn er erst gar nicht in Graz auftauchen würde.

      ***

      Es war Josef, der eine Lösung für die vertrackte Situation fand, die dazu führte, dass Aldo Knie gleich zweimal begraben wurde. Nachdem er sich bei Max Rett über alle Einzelheiten des Begräbnisses informiert hatte, machte er sich auf den Weg zum Friedhof. Die Totengräber spürte er nach wenigen Minuten in dem nahegelegenen Gasthaus auf. Durch seine umgängliche Art hatte Josef leichtes Spiel. Bei einigen Gläsern Wein wurden die wesentlichen Dinge geregelt, und die vier schwarz gekleideten Herren hätten fast das nächste Begräbnis versäumt, da man mit Josef seinen Spaß hatte.

      Nachdem die Totengräber wieder ihrer Arbeit nachgegangen waren und Josef im Gasthaus alleine zurückgelassen hatten, suchte dieser den Priester auf, der die Einsegnung von Aldo Knie vornehmen sollte. Pater Severin war schon ein deutlich härterer Brocken, aber nach einer Stunde intensiven Gesprächs und zwei Flaschen Messwein hatte Josef auch den Geistlichen so weit. Nun mussten noch Blumen und die Musik organisiert werden. Dafür war Steffi zuständig, er konnte sich doch nicht um alles kümmern. Dass Arthur verlässlich am Tag des Begräbnisses in Graz auftauchen würde, war Mischas Aufgabe, aber auf den konnte man sich immer verlassen.

      Trotzdem war diese Aufgabe schwieriger als gedacht. Mischa benötigte mehr als eine Stunde, bis er Arthur überredet hatte, nach Graz zu fahren, um Aldo die letzte Ehre zu erweisen. Durch Josef war Mischa über den Zeitablauf des offiziellen Begräbnisses informiert. Er musste Arthur hoch und heilig versprechen, dass sie am Friedhof erst auftauchen würden, nachdem die letzten Gäste das Grab längst verlassen hatten. Dann wollte Arthur alleine von Aldo am offenen Grab Abschied nehmen. Doch es sollte ganz anders kommen.

      Als Arthur mit Mischa die Aufbahrungshalle betrat und dort Aldos Sarg sah, wollte er auf der Stelle kehrt machen, denn er dachte, seine Familie würde jeden Moment erscheinen. Doch Mischa beruhigte ihn und klärte mit wenigen Worten die Situation auf.

      Arthur war wirklich sehr gerührt. Alle seine Freunde waren bei dem durch Josef arrangierten Begräbnis zugegen. Nachdem die offiziellen Gäste sich zum Leichenschmaus begeben hatten, wurde der Sarg von den Totengräbern wieder nach oben gezogen. Steffi und Josef waren nach dem Begräbnis aus dem langen Trauerzug ausgeschert und über die Straße und den vorderen Eingang des Friedhofs zur Grabstelle zurückgekehrt. Der protzige Eichensarg war bereits geborgen, als die beiden eintrafen. Josef half tatkräftig mit, den Sarg wieder auf das mit schwarzem Stoff verzierte Wägelchen zu verfrachten und zurück in die Aufbahrungshalle zu transportieren. Dort wurde der Sarg ein zweites Mal für die Verabschiedung aufgestellt und mit Blumen verziert. Sisi Braunschweiger sang a cappella eine Ballade aus der aktuellen CD, während Arthur die Halle betrat. Er blieb regungslos mitten im Raum stehen bis die Musik verhallt war. Dann, vielleicht eine Minute später, verließ ihn die Anspannung, und er hatte sich wieder im Griff. Wie selbstverständlich ging er auf das Rednerpult zu, stellte sich vor die kleine Trauergemeinde und begann mit seiner Rede. Kein Zucken durchfuhr seinen Körper, keine Kraftausdrücke sprudelten ungewollt aus seinem Mund. Es war eine schöne Rede, in der er auf würdige Art und mit fester Stimme von Aldo Abschied nahm. Alle waren von der Situation so ergriffen, dass niemandem das Fehlen des spastischen Zuckens und der hervorgestoßenen Schimpfworte auffiel. Nur Mischa blickte aufmerksam auf seinen Freund. Arthur sah nicht nur blendend aus, sondern war auch ein hervorragender Redner.

      Nach der Verabschiedung in der Aufbahrungshalle wurde der Leichnam von Aldo Knie auf den Friedhof gekarrt und der Sarg ein zweites Mal in das dunkle Erdreich hinuntergelassen. Letzte Abschiedsworte wurden gesprochen, die Personen der versammelten Trauergesellschaft schritten einzeln über den groben Holzbalken, der zum offenen Grab führte und warfen jeder eine rote Rose auf den Sarg und ein Schäuflein Erde hinterdrein. Sisi Braunschweiger musste sich danach vor lauter Rührung gleich eine Zigarette anzünden und nahm einen tiefen Zug, bevor sie Arthur in die Arme schloss.

      Während die feine Grazer Gesellschaft im Gasthaus Erzherzog Johann den Leichenschmaus einnahm, fuhren Arthur und seine Freunde zu einer Buschenschank auf den nahegelegenen Ruckerlberg. Einige Zeit, bis es Josef zu eng wurde, saß Arthur neben ihm auf der Bank und nahm den Wein in kleinen Schlucken zu sich. Die Rührung und die mehrfachen Dankesbekundungen waren Josef bald zu viel, und er stand auf, um sich um Wein zu kümmern. Mit der zunehmenden Menge an Alkohol löste sich die gedrückte Stimmung ein wenig, und die Zusammenkunft endete schließlich in einem ausgewachsenen Besäufnis.

      Obwohl Arthur weder eingeladen noch von seinen Verwandten über Aldos Tod informiert worden war, mokierten sich Sophie und Erika über seine Abwesenheit. Sie fanden starke Zustimmung unter den Familienmitgliedern, denn zu diesem Zeitpunkt war niemand über die wahren Hintergründe von Arthurs Fernbleiben informiert.

      ***

      Viele Nachmittage saß Sophie Rett mit dem jungen Rechtsanwalt Steinbeißer, der sich nach Josefs Schlägerei mit Dominic Sabrinović hervorgetan hatte, zusammen und erörterte die rechtlichen Möglichkeiten. Wie sich in weiterer Folge herausstellte, hatte Aldo in seinem Testament verfügt, dass seine Frau und seine Tochter lediglich mit ihren Pflichtteilen bedacht werden sollten. Den Rest seines Vermögens, fünfzig Prozent, vermachte er Arthur. Den Grund dieser letzten Willensentscheidung hatte er nicht schriftlich niedergelegt. Doch Dr. Hörtnagel wusste, dass Aldo sein Vermögen letztlich zu gleichen Teilen an Arthur und Erika vermacht wissen wollte. Nur so konnte verhindert werden, dass Sophie Arthur mit einem Trick von der Erbfolge ausschloss. Der alte Aldo war vielleicht kein besonders warmherziger Mensch gewesen, aber er war ein Gentleman, der sein Leben stets nach dem Prinzip der Fairness gelebt hatte.

      Sophie und Erika waren entsetzt und wütend zugleich. Doch so leicht wollte Sophie das Spiel nicht aufgeben. Sie war sicher, dass Arthur von dem Testament nichts wusste. Irgendwie musste man ihn dazu bringen, für ein „großzügiges“ finanzielles Angebot einen generellen Erbverzicht zu unterzeichnen. Sie wusste Arthurs Verhalten richtig einzuschätzen. Ihrem Sohn war Geld nie wichtig gewesen, abgesehen davon wusste sie, wie tief verletzt Arthur sein konnte und dass er nach Streitigkeiten üblicherweise in eine lange Trotzphase eintrat. Es gab daher durchaus einen Hoffnungsschimmer, ihn zur Unterzeichnung eines Erbverzichts zu überreden, man musste es nur geschickt einfädeln.

      Mag. Steinbeißer wurde damit beauftragt, mit Arthur Kontakt aufzunehmen, um ihm ein Angebot zu unterbreiten. Arthur musste damit rechnen, dass Aldo ihn in seinem Testament nicht berücksichtigt hatte. Daher ersann Sophie Knie folgende Finte: Mag. Steinbeißer sollte Arthur erklären, dass man aufgrund steuerlicher Vorteile im Zuge der Erbschaftsangelegenheit von Aldo Knie auch gleich das Erbe von Sophie regeln wolle. Im Falle des Ablebens von Sophie würde Arthur als leiblichem Sohn zumindest ein Viertel der Erbmasse als Pflichtteil zustehen. Auf Basis der vorhandenen Vermögenswerte errechnete man Arthurs Pflichtteil. Sophie erschrak, als sie auf dem Taschenrechner von Mag. Steinbeißer die Summe erblickte und befahl, diese durch zehn zu dividieren. Sie spekulierte, dass Arthur sicher keine Ahnung hatte, von welchen Werten hier die Rede war.

      Arthur hatte sich ausbedungen, bei dem Gespräch Mischa als Berater hinzuzuziehen. Mag. Steinbeißer fragte ihn am Telefon, ob er nicht mündig genug sei, um seine privaten Angelegenheiten alleine zu regeln. Doch Arthur ließ sich auf keine Debatte ein. Er wusste, auf Mischa war in solchen Situationen Verlass. Nur mit Widerwillen stimmte Mag. Steinbeißer dem Beisein von Mischa bei den Verhandlungen zu. Ein Termin in Graz wurde vereinbart und wenige Tage später saßen Arthur und Mischa auf teuren, drehbaren Ledersesseln an einem Glastisch im klimatisierten Besprechungsraum.

      Mag. Steinbeißer wurde der Besuch gemeldet. Doch dieser ließ sich Zeit. In aller Ruhe ging er nochmals seine Strategie durch. Mit der Drohung, dass