Martin Cordemann

Tenderbilt


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Vater und den Rosen hin und her, dann verstand er, nickte und setzte seinen kurz unterbrochenen Weg fort. Vor Benedict verharrte er und fragte ihn: "Was ist es nur? Was liegt uns im Blut, dass wir immer solches dummes Zeug machen müssen?"

      "Hmm, das hat noch niemand herausgefunden. Aber dieser Hang zur Destruktivität existiert in unserer Familie schon lange, schon sehr lange. Allerdings ist diese freundliche Beschreibung neu."

      Aus der Familienchronik, die unter Zuhilfenahme alter Stadtbücher der umliegenden Kleinstädte von einem nahen Verwandten, Stefano di Calbrizzi, vervollständigt wurde, ließ sich folgendes entnehmen:

      "Schon der Begründer des Hauses Senkmoor und sein Erbauer, der Edelmann Eduardo Tenderbilt, war gefürchtet für seinen derben Humor. Oft besuchte er Schenken um zu zechen und sich mit dem Weibe herumzutreiben. Als er dann heiratete, legte sich letzterliches. Auch sein ungeschriebener Hang zu groben Späßen ließ nach, ward er doch für die Irreführung eines königlichen Soldaten verantwortlich, welcher da nach dem Weg nach Edinburgh fragte und welchen der Edelmann irrtümlicherweise nach Dublin schickte. Hier sei angemerkt, dass besagter Soldat sich im britannischen Raume erbärmlich schlecht ausgekannt habe, dessen Nachricht, welche der Maria Stewart den Kopf gerettet hätte, allerdings nie ihr Ziel erreichte, jedenfalls nicht rechtzeitig. Als seine Nachkommen, Malcolm und Angelica Tenderbilt, in das Vorerwachsenenalter kamen, wurden die Stadtväter sich der Tatsache bewusst, dass es sich bei dem Edelmann nicht um einfachen derben Humor gehandelt haben musste, sondern um erblichen Schwachsinn."

      In ihrer Hochzeitsnacht hatte Frederico seiner Frau Veronika gestanden, dass man in seiner Familie erblichen Schwachsinn vermutete. Erschreckt blickte sie ihn an, sank dann in ihr Kissen zurück und starrte die Wand an. Zärtlich streichelte Frederico ihre Schulter. Sie wehrte sich nicht dagegen, starrte nur die Wand an. Nach einiger Zeit fragte sie: "Man merkt es dir gar nicht an, dass..."

      "Dass ich spinne?" Er lächelte bei der Bezeichnung. "Es heißt ja nicht, dass ich mich für Napoleon oder eine andere historische Persönlichkeit halte." Sie atmete auf. "Ich glaube zum Beispiel, Marie Bellingel zu sein, und bei der kann man ja wohl kaum von einer historischen Persönlichkeit sprechen."

      "Du Untier." Sie fiel ihm lachend in die Arme.

      "Vielleicht haben sich die Geschichtsschreiber ja auch geirrt", mutmaßte Frederico. Hatten sie nicht, versicherte Stefano di Calbrizzi, der eigentlich nah genug verwandt war, um auch betroffen zu sein. Er wusste jedoch zu beweisen, dass es in seinem Zweig der Familie keinen erblichen Schwachsinn gebe. "Stört es dich denn, mit einem Irren zusammenzuleben?"

      "Solange ich diesen Irren liebe, nicht. Aber eines hättest du doch tun können."

      "Neugierig sah Frederico sie an.

      "Du hättest mir das mit der Krankheit sagen sollen, bevor wir uns geliebt haben!"

      Niemand hätte je bestritten, dass die Tenderbilts adelig waren. Zwar gab es außer ihrem erblichen Schwachsinn kein auffallendes Familienmerkmal, wie zum Beispiel fehlende Ohrläppchen, besonders geformte Nasen oder auf der Schulter sitzende Falken, die auf jedem Portrait der betreffenden Person zu sehen waren. Nicht einmal mit einem chronischen Zucken unter dem rechten Auge konnten die Tenderbilts aufwarten, seltsamerweise stellte man es aber bei Stefano di Calbrizzi fest, jedoch ohne ihm weitere Bedeutsamkeit beizumessen.

      Seit Eduardo Tenderbilt sich niedergelassen und Haus Senkmoor gebaut hatte, ließ sich die Geschichte der Tenderbilts (und ihrer Erbkrankheit) verfolgen. Neben den Informationen aus der hiesigen Chronik kursierten lange Jahre Gerüchte, dass er auf dem Festland (Europa!) gewütet und unzählige Französinnen, Holländerinnen und Deutsche geschwängert haben soll, dann habe ihn ein schrecklicher Heuschnupfen zum Umkehren gezwungen und er konnte nicht vorstoßen bis nach Griechenland, was er eigentlich vorgehabt habe.

      Fairerweise muss man bemerken, dass eher bei den Leuten, die derlei Gerüchte verbreiten, nach vererbtem Schwachsinn gefahndet werden sollte. Tatsächlich ist über die Herkunft des Geschlechtes der Tenderbilts bis zu ihrer Niederlassung nichts Genaues bekannt. Ob sich also die Folgen bis aufs Festland verfolgen ließen, bleibt ein Geheimnis der Geschichte.

      Jedenfalls, so geht aus der Chronik hervor, hielt man Eduardo, dessen Name schon verdächtig klang, nicht für einen reinen Engländer, da er einen ausgeprägten Akzent gehabt haben soll. Er sei, so hieß es, nicht schottischer Herkunft, wahrscheinlich zumindest, möglicherweise doch. Demnach besteht die Möglichkeit, dass die Tenderbilts ihren Weg aus den schottischen Highlands hinunter ins tiefe britische England fanden, wo sie bis heute noch anzutreffen sind.

      Einen möglichen Hinweis über den Stamm der Familie konnte man vor wenigen Jahrzehnten in einem leider verbrannten Dokument in London finden. Offenbart hatte dort ein Ehepaar ein kleines Haus gemietet. Das an sich ist noch kein strafbares Vergehen, jedoch schrieb man über den Mann, er habe die Besucher eines bekannten Londoner Theaters nach den Aufführungen gefragt, ob ihnen die Stücke denn gefallen hätten – und wenn ja, ob sie sie denn auch verstanden hätten. Oft zog dies die Androhung eines Duells nach sich, in sieben Fällen wurde der Mann herausgefordert. Da sich alle sieben Herausforderungen an nur einem Abend ergaben, so hieß es in dem Dokument, hielt er es für klüger, sich aus der Stadt zurückzuziehen, was er auch tat und die Miete schuldig blieb. Dieses auffällige Verhalten deutet, so die Experten, eindeutig auf einen Tenderbilt hin. Der gleiche Mann soll vor den erwähnten Theatern behauptet haben, seine Stücke seien viel besser als die, die man hier spiele. Wahrscheinlich kam aus diesem Grund das Gerücht auf, einer der Duellanten sei der hiesige Schriftsteller gewesen. Kaum jemand nahm jedoch das sich daraus ergebende Gerücht, ein nicht unbekannter Autor namens William Shakespeare sei in Wirklichkeit erwähnter Pöbler und angenommener Vorfahre der Tenderbiltfamilie gewesen, für voll.

      Kapitel 2

      Noch am gleichen Abend wurde der Wagen als gestohlen gemeldet. Als der Besitzer, ein gewisser Waldur Eppening, auf dem Nachhauseweg zornig und mit zwei schweren Einkaufstüten beladen, an seinem Wagen vorbeiging, stutzte er, wollte gerade probieren, ob sein Schlüssel wohl passen könnte, sah dann aber das falsche Nummernschild und ging, noch immer zornig und schwer beladen, weiter. Zwei geschlagene Tage blieb die Suchaktion der Polizei, die auch auf drei weitere Bezirke ausgedehnt wurde, erfolglos. Gerade, als man Eppening mitteilen wollte, dass sein Wagen wahrscheinlich schon über alle Berge war, stürmte ebendieser wutentbrannt und zwei Nummernschilder schwingend das Polizeibüro.

      Da es sich um groben Unfug handelte und der Polizeichef schon in dritter Generation Polizeichef war, fiel, nach einem kurzen Blick auf die Einwohnerliste, der Verdacht sofort auf Theodor Tenderbilt, genannt Teddy. Es war doch immer das gleiche mit diesen Tenderbilts, aber was konnte man schon von Leuten erwarten, deren Vorfahren in Europa sämtliche Huren geschwängert hatten? Dass hier die Gerüchte etwas vermischt worden waren, ist sicher, ironisch dagegen erscheint es, dass ausgerechnet einer der Vorfahren des Polizeichefs in früher Jugend verschleppt worden war – es hatte sich um einen Hunnen gehandelt, der zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort, in diesem Fall in England, gewesen war. Dass sich seine Nachfahren, so auch der Polizeichef, um ein sauberes England bemühten, sei dahingestellt.

      Als erster fiel ihm sein Großvater ein. Wenn er fliehen musste, würde er zu Benedict Tenderbilt fliehen, dem ältesten der noch lebenden Tenderbilts. In der ganzen Gegend war Haus Senkmoor bekannt, früher war es berüchtigt gewesen, aus diversen Gründen. Mittlerweile gab es mehr Geschichten um die Familie Tenderbilt und ihre verrückten Streiche, als dass sie alle der Wahrheit entsprechen konnten, obgleich ihre Anzahl auch auf natürlichem Wege ständig stieg, wie sich Teddy auf dem Weg zu seinem Großvater eingestehen musste. Vielleicht würden die Polizisten zu große Angst vor dem Haus und seiner Vergangenheit haben, um ihm dorthin zu folgen. Das war jedoch ziemlich unwahrscheinlich. Heutzutage war man immer mehr geneigt, Schwachsinn, ob erblich oder im Fernsehen, zu akzeptieren. Wie Benedict, der alte Fuchs, wohl auf seine Geschichte reagieren würde? Wahrscheinlich gnädiger als die Polizei, die noch 14 Stunden brauchen sollte, bis sie seine Spuren aufnahm.

      Schreiend nahm ihn die Hebamme entgegen, er, Benedict, schrie, wohlgemerkt, nicht etwa die Hebamme.

      "Ein Junge", rief sie,