Hauses hinaufrennen.
»Euch kriege ich!«, feuert sie sich selbst an und nimmt gleich zwei Stufen auf einmal, bis ihre Schritte langsamer werden. Im oberen Teil des Hauses ist kein Licht. Es ist stockfinster. Sofort zieht Neve eine kleine Taschenlampe aus der Weste, schaltet sie ein und hält sie direkt unter ihre Waffe. Konzentriert führt sie diese mit ausgestreckten Armen vor sich.
Stufe für Stufe, geht sie weiter nach oben. Sie kann erkennen, dass die beiden in eines der Zimmer auf der linken Seite verschwinden. Ganz langsam geht Neve an den anderen Räumen vorbei, wirft in jedes einen kurzen Blick, um eventuelle Gefahren sofort zu erkennen und bleibt direkt am Türrahmen des Zimmers stehen, in dem die zwei verschwanden. Blitzschnell lehnt sie sich etwas vor, wirft einen Blick in das Zimmer und sieht, wie die Flüchtigen aus dem Fenster steigen. Neve drückt sich wieder gegen die Wand, hebt ihre Waffe mit der Lampe, dreht sich in das Zimmer hinein und zielt auf die letzte Person, die in dem Moment den Fuß aus dem Fenster zieht und über das Dach flüchtet.
»S.F.P.D.!!! Keine Bewegung!!!«, warnt sie, rennt zum Fenster und sieht, wie die zwei etwas unsicher und mit ausgestreckten Armen (um das Gleichgewicht zu halten) über das Dach laufen.
»Verdammt wo seid ihr??!!«, schimpft sie über ihre Kollegen, die eigentlich im Garten sein sollten. Aber wie könnte es auch anders sein? Wenn man sich auf jemanden verlässt, ist man verlassen.
Ohne zu überlegen, steigt sie ebenfalls aus dem Fenster und verfolgt die Flüchtigen, die vom Dach auf die Garage und dann in den Garten flüchten. Genau denselben Weg nimmt Neve auch und rennt ihnen in eine Seitenstraße hinterher. Sofort bleibt sie stehen, als sie die beiden vor sich laufen sieht.
»S.F.P.D.!!! Stehen bleiben!!!«, brüllt sie durch die ganze Straße, was aber keinen von den beiden Kriminellen sonderlich beeindruckt. Sie laufen einfach weiter. Neve richtet ihre Waffe nach oben in die Luft, feuert einen Schuss ab und zielt wieder auf die Flüchtigen.
»Stehen bleiben habe ich gesagt!!!«, schreit sie. Tatsächlich bleibt einer der beiden stehen. Der andere Flüchtige rennt über die Chestnut Street in Richtung Jack Early Park.
Mit langsamen Schritten nähert sich Neve der Person die stehen geblieben ist und hält ihre Waffe schützend vor sich.
»Nimm die Hände so hoch, dass ich sie sehen kann!!«, befiehlt sie scharf, was die Person ohne zu zögern macht. Langsam gehen beide Hände in die Luft. Neve geht vorsichtig um den Kerl herum und glaubt ihren Augen nicht zu trauen.
»Verdammte Scheiße! Du bist ja noch ein Kind!«, stellt sie entsetzt fest, als sie in das Gesicht eines ungefähr fünfzehnjährigen Jungen blickt. Sofort beginnt sie ihn nach Waffen zu durchsuchen, wobei sie ihm ihre eigene direkt vor sein Gesicht hält.
»Leg dich mit dem Gesicht auf den Boden, Arme und Beine auseinander«, befiehlt sie dem Jungen.
Während er sich ganz langsam hinlegt, lässt er seinen Blick nicht von Neve. Sie kann in seinen Augen erkennen, dass er nur Hass für sie empfindet, was ihr im Moment allerdings egal ist.
Als sie seinen rechten Arm und sein linkes Bein mit Handschellen festmachen will, sieht sie etwas in seinem Nacken. Sie zieht den Kragen vom Shirt etwas herunter und erkennt die Tätowierung, die auch Sam und Laura haben. Eine römische Fünf und ein Rottweiler. Die Five Dogs! Dieser junge Grashüpfer ist einer der Five Dogs! Verdammt, da sind so viele Dealer herumgelaufen und sie musste sich unbedingt einen aus dieser Gang schnappen?
»Fuck!!«, flüstert sie leise, richtet ihren Blick zuerst auf den Park und dann zu dem Jungen zurück. Sie packt ihn am Kragen, zieht ihn vom Asphalt hoch und blickt ihm direkt in die Augen.
»Verschwinde!!«, faucht sie scharf. Er starrt sie mit großen Augen an.
»Was?«, haucht er geplättet.
»Du sollst verschwinden bevor ich es mir anders überlege!!«, zischt Neve und blickt sich nervös um. Der junge Hund steht noch immer vor ihr und bewegt sich keinen Zentimeter. Dann haut Neve ihm kräftig gegen die Schulter.
»Hau endlich ab!!«, faucht sie nochmal und sieht dann zu, wie der Junge sie noch immer mit großen Augen verständnislos anblickt. Langsam dreht er sich um. Erst jetzt werden ihm die gesprochenen Worte bewusst. Er nimmt die Beine in die Hand und rennt weg.
Neve weiß was sie damit angerichtet hat. Sie lässt einen Verbrecher laufen! Sie weiß aber auch, wenn Sam erfahren wird, dass sie selbst vor ihren Kollegen nicht halt macht und tatsächlich einen von ihnen einbuchtet, werden die beiden gewaltig aneinander geraten und das will Neve verhindern. Vorerst.
Als der Junge aus ihrem Blickfeld verschwunden ist, schaut sie zum Jack Early Park. Mit gezogener Waffe macht sie sich auf den Weg.
Meter um Meter läuft sie tiefer hinein, obwohl sie das Gefühl hat, dass die zweite Person schon längst über alle Berge ist. Dennoch treibt sie ein anderes Gefühl weiter, bis sie ihrem Verstand nachgibt und die Waffe ergeben senkt.
»Verdammt«, flucht sie leise und will die Taschenlampe ausschalten, als sie jemanden hinter sich leise aber schnell atmen hört.
In dem Moment in dem sie sich zu diesem Geräusch umdrehen will, hört sie zwei Schüsse. Irgendetwas Hartes prallt auf ihren Rücken. Sie schreit vor Schmerzen laut auf, verliert das Gleichgewicht und kippt nach vorne auf den Rasen. Zwei abgefeuerte Kugeln haben die schusssichere Weste an den weißen Buchstaben S.F.P.D. durchdrungen und quetschen sich nun in ihre Haut, um ihr für die nächsten Tage wundervolle Blutergüsse zu bescheren.
Schwer atmend, ängstlich und mit rasenden Schmerzen, hört Neve jemanden langsam auf sich zugehen. Eigentlich kann sie sich keinen Zentimeter bewegen. Sie schafft es irgendwie dennoch, sich auf den Rücken zu drehen und die Waffe zu heben. Sie muss sich schützen. Dazu hat sie jetzt allen Grund. Es wurde auf sie geschossen. Jedes Gericht würde sie aufgrund von Notwehr freisprechen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Das ist das Gesetz, für das sie tagtäglich lebt.
Keuchend, weil ihr die Schmerzen die Luft rauben, hält Neve tapfer aber zitternd die Waffe hoch. Plötzlich tritt Sam in ihr Blickfeld und starrt sie mit großen Augen an. In der rechten Hand hält sie eine Waffe. Sie kann nicht glauben, dass ihre Mathematiklehrerin mit einer Schusssichern Weste vor ihr auf dem Boden liegt.
»Neve?«, haucht sie geschockt und sinkt kraftlos in die Knie. Neve bekommt bei dem Anblick von Sam richtig schlechte Laune.
»Verdammt!!«, keucht sie schwer und lässt die Waffe sinken.
»Du bist ein Bulle!!«, pustet Sam atemlos. Sie schaut Neve fassungslos an. Dann verdunkelt sich ihr Blick.
»Du bist ein verdammter Bulle!!! Ich fasse es nicht, dass ich mich in einen scheiß Bullen verliebt habe!!«, keift sie noch immer entsetzt, ohne auch nur annähernd darüber nachzudenken, dass sie zweimal auf Neve geschossen hat. Wird hier das Prinzip Die trägt eine Weste, die kommt klar!, angewendet oder was soll das werden??
»NEVE???«, brüllt plötzlich jemand durch den Park. Erschrocken weiten sich Neves Augen, als ihr klar wird, dass Jake auf dem Weg zu ihr ist.
»Wir sprechen uns noch Sam!!!«, keift sie wutentbrannt, blickt kurz zur Chestnut Street und dann zu Sam zurück. Jake wird bei der Entfernung ungefähr zwei Minuten brauchen bis er bei seiner Kollegin ist. Wütend fährt Neve Sam erneut an.
»Verschwinde!! Ich regle das hier!!« Genau wie den Jungen vorhin, will sie Sam auch laufen lassen, aber diese hockt noch immer neben ihr. Sam weiß selbst nicht ob sie weinen oder brüllen soll. Sie hat auf Neve geschossen! Auf die Frau in die sie sich verliebt hat. Aber auch nur weil sie eine Polizistin ist.
»Sam!! Verschwinde!! Nochmal sage ich es nicht!!«, knurrt Neve.
Wie betäubt hockt Sam noch immer im Rasen und starrt Neve mit leerem Blick an. Dann hebt sie langsam den Kopf, blickt in Richtung der Chestnut Street und dann wieder zu Neve zurück. Plötzlich beugt sie sich über sie, gibt ihr einen Kuss auf die Stirn, springt vom Boden auf und rennt tiefer in den Park.
Neve blickt ihr noch eine Zeit hinterher, bis sie sie nicht mehr sehen kann. Schwerfällig dreht sie sich