Karl Plepelits

Und es jubeln die Rachegeister: Ein Regio Mystery Krimi aus Österreich


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sie dann, am anderen Ufer angelangt, stromaufwärts wanderten, legte Florian los und überhäufte Eduard mit Vorwürfen und Beschimpfungen, und im Nu war ein erbitterter Streit entbrannt. Der Streit verstummte nicht einmal, nachdem sich die beiden abermals ins Wasser gestürzt hatten, um zurückzuschwimmen. Es wurde nur schwieriger, mühsamer, ihn auszutragen. Zugleich wurde er noch erbitterter, und man begann, ihn nicht so sehr mit Worten als vielmehr mit Taten auszutragen. Im Klartext: Man wurde handgreiflich. Nun war zwar Florian der wütendere, Eduard aber der kräftigere der beiden. Und da beschloss Letzterer in der Hitze des Gefechts, die Gelegenheit zu nutzen und ein Fait accompli, also vollendete Tatsachen, zu schaffen. Er drückte Florian kurzerhand so lange unter Wasser, bis dieser nicht mehr auftauchte.

      Natürlich herrschte größte Bestürzung, als Eduard allein zurückkam und Florian nirgendwo zu finden war. Aufs Höchste bestürzt war Eduard selbst. Es war ja niemals seine Absicht gewesen, seinen besten Freund in den gläsernen Palast des Donaufürsten am Grund des Stromes zu schicken und diesem ein Menschenopfer darzubringen. Und er konnte nur hoffen, dass Florian den Wassergeistern dort nur einen Kurzbesuch abgestattet habe und bald wieder lebendig, munter und fidel auftauchen werde.

      Natürlich hoffte er vergeblich. Tage später und viele Kilometer unterhalb von Melk wurde Florians Leiche angetrieben und ausgerechnet von spielenden Kindern entdeckt. Und nun geschah dasselbe, was im Krieg hundert- und tausendfach geschehen war: Eine werdende Mutter betrauert den gefallenen Vater ihres ungeborenen Kindes, hat aber (angeblich) wenigstens den Trost, in diesem ein Abbild des Verstorbenen zu besitzen.

      Ja, Mitzi war schwanger. Nur wusste sie es damals selbst noch nicht. Und sobald sie es wusste, verriet sie keiner Menschenseele, dass nicht Florian der Kindesvater ist. Das Kind, eine Tochter, Evelines zukünftige Mutter, wuchs auf in der Überzeugung, dass ihr Vater Florian schon vor ihrer Geburt vom Donauweibchen zu sich in den Palast des Donaufürsten geholt worden war, vermutlich in den von einem großen Schiff erzeugten Wellen. Den wahren Kindesvater kannte nur Maria selbst. Und sie erriet auch ohne weiteres die Ursache für den Tod ihres Verlobten. Natürlich leugnete Eduard hartnäckig, auch nur das Geringste damit zu tun zu haben. Doch Maria glaubte ihm nicht. Sie erstickte ihre Leidenschaft für ihn, verheimlichte ihm sogar ihre Schwangerschaft und wies die Möglichkeit, ihn zu heiraten, damit ihr Kind einen lebendigen Vater habe, weit von sich. Mit einem Mörder verheiratet zu sein, das war für sie ein unerträglicher Gedanke. Außerdem war ihr klar, dass ihre noch immer faschistisch denkenden und klerikal gesinnten Eltern sie garantiert verstoßen hätten. Sie hätte sich ja als „gefallenes Mädchen“ und „untreues Luder“ entpuppt.

      Eduard selbst hatte nie die Absicht gehegt, Maria zu ehelichen, und war über Marias Zurückweisung keineswegs bestürzt. Bestürzt war er über das, was in der Donau geschehen war. Florian war ja immer noch sein bester Freund gewesen, und seine Trauer über dessen Tod war durchaus echt. Er hatte niemals vorgehabt, ihn zu töten. Schuld war die Erregung, die Wut, der Streit, Florian selber. Was musste er mir auch nachspionieren?, fragte sich Eduard immer wieder voll Bedauern. Was musste er mich auch so zur Schnecke machen? Was kann ich dafür, wenn die Mitzi auf mich steht? Hätte ich sie abweisen, enttäuschen, vor den Kopf stoßen sollen? Bin ich ein Unmensch? Bin ich ein Heiliger?

      Aber nicht nur Bedauern, Bestürzung, Trauer hatte ihn erfasst, sondern auch die nackte Angst: Wie, wenn ihn jemand beobachtet hat und es der Polizei meldet? Wenn er festgenommen und verurteilt und ins Gefängnis geworfen wird? Was dann? Hinzu kam, dass seine Tat die grausigen Erinyen aus der Unterwelt heraufbeschworen hatte. Und diese folterten mit ihren Peitschen und brennenden Fackeln sein Gewissen, jedenfalls solange er wach war. Aber auch die Nächte waren von nun an der reinste Horror. Da lernte er nämlich etwas kennen, womit er noch nie konfrontiert gewesen war, nämlich Alpträume. In ihnen traten Florians Rachegeister auf und begannen seine auch im Schlaf noch wache Seele mit allen möglichen Folterwerkzeugen zu bearbeiten, sodass er am Morgen danach verschwitzt und quasi durchgedreht erwachte.

      3

      Dies geschah im Juni 1958, nachdem gerade beide erfolgreich die Matura abgelegt hatten und feierlich für „reif“ (nämlich fürs Hochschulstudium) erklärt worden waren. Eduard stand nun also vor der alles entscheidenden Frage: Wie soll es weitergehen? An und für sich hatte er geplant, an der Wiener Universität zu inskribieren, um Anglistik und Romanistik (mit Spezialgebieten Spanisch und Französisch) zu studieren. Doch nach allem, was geschehen war, konnte er unmöglich so tun, als wäre alles in bester und schönster Ordnung. Der Schock saß tief, und er hatte nur das eine Bedürfnis, sich so weit wie möglich von Melk zu entfernen, sprich, aus Melk zu fliehen. Denn an allen Ecken und Enden, überall, wo er mit Florian gewesen war, gelernt, gespielt, gelacht, gesprochen hatte, sah er diesen einen anklagenden Finger gegen ihn ausstrecken.

      Welch ein Glück, dass Eduard in Frankreich Verwandte hatte. Also auf nach Frankreich! Für das geplante Studium konnte das nur von Vorteil sein.

      Eine Schwester seines im Krieg gefallenen Vaters hatte in Wien während des Krieges einen sogenannten Fremdarbeiter aus Frankreich, der im selben Betrieb arbeitete wie sie selbst, kennen und lieben gelernt. Nun war es zwar strengstens verboten, sich mit Fremdarbeitern zu „fraternisieren“, und noch strenger, sich mit ihnen „einzulassen“, und eine zweite Schwester (aus der inzwischen eine alte Jungfer geworden war) hatte auch die ärgsten Bedenken und machte ihr deswegen schreckliche Vorwürfe. Und in der Tat war Hitlers Terrorregime ein solcher Segen für die Menschheit, dass aus einem solchen lächerlichen Anlass die ganze Familie unter die Räder hätte kommen können, und das hätte sehr wahrscheinlich Hinrichtung, Liquidierung, Ausrottung bedeutet. Aber die Liebe ist, wie man weiß, stärker als die Angst, stärker auch als die Macht einer menschenverachtenden Despotie. Der Gott der Liebenden hielt seine schützende Hand über die zwei, und sobald der Krieg und damit die Despotie vorüber waren, heirateten sie und schlugen sich, nicht ohne Mühe und Gefahren, nach Frankreich durch.

      All dies hatten sie Eduard längst erzählt. Vor einigen Jahren hatten sie ihn nämlich schon einmal zu sich eingeladen. Damals lebten sie noch in einem Vorort von Paris. Unterdessen waren sie mit ihren zwei Kindern an die Côte d'Azur übersiedelt, nach Cagnes-sur-Mer, jenem malerischen Städtchen, in dem sich einst auch Renoir niedergelassen hatte, und zwar aus demselben Grund wie sie: Das Mittelmeerklima tat einfach ihrer Gesundheit gut. Sie hatten Eduard auch für diesen Sommer eingeladen, gewissermaßen als Belohnung für das Bestehen der Matura. Doch er hatte abgelehnt. Auch in seinem Fall war die Liebe stärker gewesen.

      Doch nun war dieses Argument hinfällig geworden, und er beeilte sich, der Einladung von Tante Lisi und Onkel Roger Folge zu leisten. Die Zugfahrt war zwar kein billiger Spaß, aber es gelang, die lieben Eltern zu dessen Bezahlung zu überreden, und das Sparbuch musste nicht angeknabbert werden.

      Hier, an der Côte d'Azur, bedurfte es nun keiner Schiffe mehr, um sich beim Schwimmen von Wellen schaukeln zu lassen. Hier genießt der Schwimmer pausenlos das Schaukeln. Und bläst der Wind einmal besonders wütend, wachsen ihm, dem Schwimmer, die Wellen sogar über den Kopf und bemühen sich, ihn statt in den Palast des Donaufürsten ins Reich Neptuns zu locken und diesem wieder einmal ein Menschenopfer darzubringen.

      Der unendlich lange, breite Kiesstrand von Cagnes-sur-Mer wurde Eduard allerdings nach einiger Zeit langweilig, und er begann schönere Strände aufzusuchen. Dorthin war es zwar ein bisschen weiter. Aber der Onkel lieh ihm ja sein Fahrrad, und da spielte das überhaupt keine Rolle. Wenn man auf der Küstenstraße etwa eine halbe Stunde in Richtung Süden fährt und das Städtchen Antibes durchquert, erreicht man die Halbinsel Cap d'Antibes, einen Traum aus Pinienhainen, Villengärten und winzigen, einsamen Felsenbuchten mit wunderschönen kleinen Stränden aus feinstem Sand, dahinter das azurblaue Mittelmeer. Gleich die erste einsame Felsenbucht war Eduards Ziel.

      Als vollkommen einsam erwies sie sich freilich nicht. Drei Badenixen tummelten sich hier bereits. Wie peinlich! Eduard wollte schon die Flucht ergreifen, um die drei Grazien, Mädchen etwa seines Alters oder eher noch darunter, nicht in Verlegenheit zu bringen. Aber sie riefen ihm frisch und fröhlich zu, er solle doch nur bleiben, sie fürchteten sich nicht vorm schwarzen Mann. Und während er zögernd näher kam und sich in ihrer Nähe niederließ, überhäuften sie ihn mit so viel Frohsinn und Gekicher, dass er mit