Stefan Zweig

Drei Dichter ihres Lebens


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sich entzünden. Man blättere doch einmal die sechzehn Bände seiner Memoiren durch: da reist ein helläugiger, wachsinniger Mensch durch die schönsten Landschaften Europas, vom Posilip bis Toledo, vom Genfer See bis in die russischen Steppen, aber vergeblich wird man eine einzige Zeile der Bewunderung für die Schönheit dieser tausend Landschaften suchen: eine kleine schmutzige Magd im Winkel einer Soldatenspelunke scheint ihm wichtiger als alle Kunstwerke Michelangelos, ein Kartenspiel in schlecht gelüfteter Wirtsstube schöner als ein sorrentinischer Sonnenuntergang. Natur und Architektur, derlei bemerkt Casanova überhaupt nicht, weil ihm das Organ, dank dessen wir kosmisch verbunden sind, weil ihm die Seele vollkommen fehlt. Für ihn heißen Welt einzig die Städte mit ihren Galerien und Promenaden, wo abends die Karossen vorbeirollen, diese dunkel-schaukelnden Nester der schönen Frauen, wo Kaffeehäuser gefällig warten, in denen man eine Pharaobank zum Schaden der Neugierigen auflegen kann, wo Opern und Bordelle locken, in denen man sich rasch neues Nachtfleisch holt, Gasthöfe, in denen Köche in Saucen und Ragouts dichten und mit hellen und dunklen Weinen musizieren. Nur die Städte sind für diesen Lustmenschen Welt, dort wohnen die Frauen in der einzig ihm möglichen Form, in der Vielzahl, in wandelhaftem Plural, und innerhalb der Städte wiederum liebt er am meisten die Hofsphäre, den Luxus, weil dort das Wollüstige sich zum Künstlerischen sublimiert, denn, obzwar sinnlich wie nur einer, ist dieser breitbrüstige Bursche Casanova keineswegs ein grober Sinnenmensch. Eine Arie, kunstvoll gesungen, kann ihn bezaubern, ein Gedicht ihn beglücken, ein kultiviertes Gespräch wärmt erst richtig den Wein; mit klugen Männern über ein Buch zu reden, schwärmerisch an eine Frau gelehnt, vom Dunkel einer Loge her Musik zu lauschen, das steigert ihm zauberisch die Daseinslust. Aber täuschen wir uns darum nicht: diese Liebe zur Kunst reicht bei Casanova nie über das Spielhafte, die gefällige Dilettantenfreude hinaus. Der Geist muß für ihn dem Leben dienen, nie das Leben dem Geist: so achtet und betrachtet er die Kunst nur als Aphrodisiakum, als schmeichlerisches Mittel, die Sinne zu erregen, als feineres Vorvergnügen des groben Genusses im Fleische. Er wird gern ein Gedichtchen machen, um es mit einem Strumpfband einer begehrten Dame zu überreichen, er wird Ariost rezitieren, um sie in Feuer zu versetzen, über Voltaire und Montesquieu sehr geistreich mit Kavalieren plaudern, um sich intellektuell zu legitimieren und einen Handstreich auf ihre Börse geschickt zu maskieren – nie aber begreift dieser südländische Sensualist die Kunst, die Wissenschaft, sobald sie Selbstzweck und Weltsinn werden will. Aus Instinkt lehnt dieser Spielmensch die Tiefe ab, weil er nur Oberfläche will, Mensch der Minute und der raschen Verwandlung. Veränderung ist ihm das »Salz des Vergnügens« und Vergnügen wiederum der einzige Sinn der Welt.

      Leicht also wie eine Eintagsfliege, leer wie eine Seifenblase und nur funkelnd vom Gegenlicht der Geschehnisse, so flirrt er hin durch die Zeit: kaum kann man sie jemals recht fassen und halten, diese unablässig sich ändernde Seelengestalt und noch weniger ihren Kern vom Charakter auslösen. Wie ist Casanova eigentlich, gut oder böse? Ehrlich oder verlogen, ein Held oder ein Lump? Nun – ganz, wie es die Stunde will: er färbt ab von den Umständen, er verwandelt sich mit den Verwandlungen. Gut bei Kasse, findet man keinen vornehmeren Kavalier als ihn. Mit bezauberndem Übermut, einer strahlenden Grandezza, liebenswürdig wie ein hoher Prälat und locker wie ein Page wirft er das Geld mit vollen Händen um sich – »Sparsamkeit war nie meine Sache« –, lädt überschwenglich, gleich einem hochgeborenen Gönner, den Fremdesten an seinen Tisch, schenkt ihm Dosen und Dukatenrollen, gewährt ihm Kredit und umsprüht ihn mit einem Feuerwerk von Geist. Schlottern aber die seidenen Pludertaschen leer, knistern im Portefeuille die unbezahlten Wechsel, dann würde ich jedem abraten, dem Galantuomo beim Kartenspiel Paroli zu halten. Nein, er ist kein guter Charakter und ist auch kein schlechter – er ist gar keiner. Er handelt weder moralisch noch unmoralisch, sondern naturhaft amoralisch: seine Entschließungen springen glattweg aus dem Gelenk, seine Reflexe aus den Nerven und Adern, völlig unbeeinflußt von Vernunft, Logik und Sittlichkeit. Eine Frau wittern, und die Ader hämmert schon wie toll, blindwütig rennt er vorwärts in der Richtung seines Temperaments. Einen Spieltisch sehen, und die Hand zuckt ihm in die Tasche: ohne daß er es weiß und will, klirrt sein Geld schon auf dem Tisch. Versetzt ihn in Zorn, und die Venen springen auf, als wollten sie platzen, bitterer Speichel gerinnt ihm im Mund, die Augen rollen ihr Rot heraus, die Faust krampft sich, und er schlägt blindwütig zu, er stößt in die Richtung seines Zorns, »comme un bue«, wie sein Landsmann und Bruder Benvenuto Cellini sagt, ein tollwütiger Stier. »Zur Selbstüberwindung bin ich nie imstande gewesen und werde es niemals sein.« Er denkt nicht nach und denkt nicht voraus; erst in der Not schießen ihm listige und oft geniale Eingebungen rettend zu, nie aber bereitet er planend, berechnend – dazu wäre er zu ungeduldig – auch nur die kleinste Aktion vor. Hundertmal kann man's in seinen Memoiren bestätigt finden, daß alle entscheidenden Handlungen, die dümmsten Possenstreiche wie die witzigsten Gaunereien, aus der gleichen Schußlinie einer plötzlich explodierenden Laune stammen, nie aus geistigem Kalkül. Mit einem Ruck wirft er eines Tages den Rock des Abbé ab, mit einem Spornstoß reitet er plötzlich als Soldat zur feindlichen Armee hinüber und gibt sich gefangen, er fährt nach Rußland oder Spanien einfach der Nase nach, ohne Stellung, ohne Empfehlung, ohne sich selbst gefragt zu haben, warum und wozu. Alle seine Entschlüsse kommen wie ungewollt losgeknallte Pistolenschüsse aus den Nerven, aus der Laune, aus einer angespannten Langeweile. Und wahrscheinlich dankt er nur dieser couragierten Planlosigkeit die Fülle des Erlebens, denn more logico, brav sich erkundigend und kalkulierend, wird man nicht Abenteurer und mit strategischem System kein so phantastischer Meister des Lebens.

      Nichts fehlgängerischer darum als die sonderbare Mühe aller Dichter, unserm Casanova, sobald sie diesen heißen Triebmenschen als Helden einer Komödie oder Erzählung heranholen, so etwas wie eine wache Seele, ein Nachdenkliches oder gar Faustisch-Mephistophelisches einzubauen, ihm, dessen Reiz und Schwungkraft doch einzig aus dem Nichtnachdenken, der amoralischen Sorglosigkeit resultiert. Preßt ihm nur drei Tropfen Sentimentalität ins Blut, belastet ihn mit Wissen und Verantwortlichkeit, und schon ist er Casanova nicht mehr; kostümiert ihn düster-interessant, unterkellert ihn mit Gewissen, und schon steckt er in fremder Haut. Denn wenn etwas, so ist dieses lockere Weltkind nicht dämonisch, durchaus nicht: der einzige Dämon, der Casanova treibt, hat einen sehr bürgerlichen Namen und ein dickes, schwammiges Gesicht, er heißt höchst simpel: Langeweile. Unproduktiv von innen, muß er ohne Unterlaß Lebensmaterial heranraffen, aber dies sein unaufhörliches Alleshabenwollen liegt meilenweit ab vom Dämonischen des wirklichen Raffmenschen, eines Napoleon, der Land und Land und Königreich und Königreich begehrt aus Durst nach Unendlichkeit, oder eines Don Juan, der alle Frauen zu verführen sich gepeitscht fühlt, um die Welt der Frau, diese andere Unendlichkeit, als Alleinherrscher sein eigen zu wissen – der bloße Genußmensch Casanova sucht niemals so bergsteigerische Superlative, sondern nur die Kontinuität des Vergnügens. Nur nicht allein sein, nicht in diesem Frost von Leere einsam schauern, nur keine Einsamkeit! Man beobachte doch nur Casanova, wenn ihm das Spielzeug Unterhaltung fehlt, jede Art Ruhe wird dann sofort zur fürchterlichsten Unruhe. Er kommt abends in eine fremde Stadt: nicht eine Stunde hält es ihn in seinem Zimmer allein mit sich selbst oder einem Buch. Sofort schnuppert er nach allen Seiten, ob ihm nicht der Wind des Zufalls Amüsement bringt, die Magd allenfalls als Wärmflasche dienen könnte für die Nacht. Er wird unten in der Wirtsstube mit zufälligen Gästen zu plaudern beginnen, verdächtigen Falschspielern in jeder Spelunke Paroli halten, mit der erbärmlichsten Hure nächtigen, überall drängt ihn übermächtig die innere Leere dem Lebendigen, den Menschen zu, denn nur die Reibung mit andern entzündet seine Vitalität; mit sich selbst allein ist er wahrscheinlich einer der trübseligsten, gelangweiltesten Gesellen: man merkt es an seinen Schriften (mit Ausnahme der Memoiren) und weiß es von den einsamen Jahren in Dux, wo er die Langeweile »die Hölle« nannte, »die Dante zu schildern vergessen«. Wie ein Kreisel unablässig gepeitscht werden muß, sonst kollert er jämmerlich zu Boden, so braucht Casanova für seinen Schwung den spornenden Antrieb von außen: er ist (wie unzählig viele) Abenteurer aus Armut an produktiver Kraft.

      Darum wird er immer, kaum daß die natürliche Spannung des Lebens aussetzt, die künstliche einschalten: das Spiel. Denn das Spiel wiederholt in genialer Verkürzung die Lebensspannung, es schafft künstliche Gefahr und Abbreviatur des Schicksals: Asyl darum aller Augenblicksmenschen, ewige Unterhaltung aller Müßigen. Dank dem Spiel läßt sich gleichsam im Wasserglas Ebbe und Flut des Gefühls stürmisch erregen und wird so unersetzbare Beschäftigung der innerlich Unbeschäftigten. Casanova