Emil Horowitz

Werthers Leiden


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Einen Krautkopf auf den Tisch zu stellen, den man selbst gezogen hat! Und nicht nur das. Es geht nicht nur um den Kohl allein. Es geht um all die guten Tage, den fröhlichen Morgen, als man ihn pflanzte, die friedlichen Abende, als man ihn begoss, und die Freude beim Betrachten des fortschreitenden Wachstums – all das in einem Augenblick des Genusses vereint.

      29. Juni

      Vorgestern kam der Arzt aus der Stadt zum Amtmann. Er traf mich auf der Erde an, mitten unter Lottes Kindern. Einige krabbelten auf mir herum, andere neckten mich, während ich sie kitzelte und großes Geschrei unter ihnen auslöste. Der Doktor, ein engstirniger Holzklotz, der ständig an seinen Manschetten herumnestelt, fasste das als für einen gebildeten Menschen unwürdiges Verhalten auf, das war ihm deutlich anzusehen. Seine Ansichten waren mir aber völlig gleichgültig. Während er sich in äußerst vernünftigen Betrachtungen verlor, half ich lieber den Kindern dabei, das Kartenhaus wieder aufzurichten, das sie zuvor eingerissen hatten. Wie ich hörte, verbreitete er später in der Stadt, wie verderblich Werthers Einfluss auf die Kinder sei, die ohnehin schon ungezogen genug seien.

      Die Kinder, lieber Wilhelm, sind meinem Herzen auf dieser Erde am nächsten. Wenn du nur sehen könntest, wie aus kleinen Details der Ursprung unserer Tugenden erwächst! Wie ihre Kräfte anwachsen, die sie später so dringend benötigen werden! Wie aus kindlichem Eigensinn künftige Standhaftigkeit und Festigkeit des Charakters erwächst! Wie aus ihrer absichtsvollen Art Humor und Leichtigkeit wird – Leichtigkeit, die ihnen später dabei helfen wird, über die Gefahren auf dieser Welt hinwegzugelangen! Alles an ihnen ist so unverdorben, so ganzheitlich! Das erkennend, wiederhole ich immer und immer wieder die goldenen Worte des großen Menschenlehrers: "Werdet wie eines von diesen!" Und wie sieht die Wirklichkeit aus, mein Freund? Sie, die unser Ebenbild sind, die wir als Vorlage unseres Menschseins ansehen sollten, behandeln wir wie Untertanen. Sie sollen keinen eigenen Willen haben! Haben wir denn auch keinen? Wovon leiten wir eigentlich unser Vorrecht ab? Davon, dass wir älter und klüger sind? Guter Gott, du blickst auf die alten Kinder so gut wie auf die jungen. Über welche du mehr Freude empfindest, hat dein Sohn schon vor langer Zeit verkündet. Sie glauben an ihn und hören ihn nicht – auch das eine Eigenschaft der Alten. Sie formen ihre Kinder nach ihrem Vorbild und ... Bis bald, Wilhelm. Ich habe keine Lust mehr, darüber zu schwafeln.

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