Gisela Raeber

Und dennoch ...


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       Und dennoch ...

       Afrika - mon amour

       Gisela Raeber

      Impressum

      Umschlagaquarell von Gisela Raeber

      Copyright: Gisela Raeber 2018

      [email protected]

      Druck und Vertrieb: epubli (Neopubli Gmbh, Berlin)

      Erster Teil

       Der Baum, der sich zu beugen versteht,

       wird nie vom Wind gebrochen

       Afrikanisches Sprichwort

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      Barcarole

      Vogelgezwitscher erfüllt die erholsame Stille. Die hohen Baumwipfel wiegen sich lautlos. Vereinzelt durchdringende Sonnenstrahlen malen Arabesken auf den Boden. Man könnte sich fast im Elbsandsteingebirge glauben. Aber nein, irgendwo kreischt ein Papagei. Einige Affen hangeln sich durch die Bäume. Vom Fluss steigt der leise Gesang der Pygmäenfrauen herauf. Die feuchte Hitze ist drückend.

      Nel gönnt sich eine kleine Pause. Ihr khakifarbenes Hemd klebt auf der Haut. Mit einem Taschentuch wischt sie die Schweißperlen von ihrer Stirn und streicht einige Haarsträhnen, die sich aus dem Pferdeschwanz gelöst haben, zurück. Durst. Sie holt ein großes Glas Wasser aus der Küche und trinkt in gierigen Schlucken.

      Den ganzen Vormittag hat sie damit verbracht mit einigen Pygmäen, die Gregory und ihr hier im Camp für den Wildschutz zur Seite stehen, die fünfte Gästehütte fertigzustellen. Das Palmblätterdach ist halb vollendet.

      „Komm Simossa!” ruft sie. Ein einjähriges Schimpansenmädchen springt herbei.

      „Uuhh Uuhh Uuhh Uh Uh.” gluckst es und strahlt Nel mit seinen großen braunen Kulleraugen an. Im Handumdrehen klettert es auf ihren Rücken und schlingt die seidenweich behaarten Arme um ihren Hals. Dort wird es jetzt bestimmt für die nächste halbe Stunde bleiben.

      „Du kleines Lausmädchen!” Nel setzt sich auf den Baumstumpf vor der Küche und tätschelt Simossas Kopf. Ein Lächeln spielt um ihren Mund. Sie ist glücklich.

      In ihrem Kopf schwingt noch Jacques Offenbachs Barcarole, die Gregory heute zum Frühstück aufgelegt hat, bevor er mit dem Pick-up nach Yokadouma fuhr .

       Le temps fuit et sans retour

      Emporte nos tendresses,

      Loin de cet heureux séjour

      Le temps fuit sans retour.

      Zéphyrs embrassés,

      Versez-nous vos caresses,

      Zéphyrs embrassés,

      Donnez-nous vos baisers!

      Vos baisers! Vos baisers! Ah!

      Belle nuit, ô nuit d'amour,

      Souris à nos ivresses,

      Nuit plus douce que le jour,

      belle nuit d'amour!

      Ah! Souris à nos ivresses!

      Nuit d'amour, nuit d'amour! Ah!

      Gregory hatte sogar zu singen versucht. Fürchterlich falsch! Im Gedanken daran grinst sie.

      „Ich schufte zwar hier wie eine Besessene. Ich würde mal wieder gerne ins Konzert gehen oder in einem schicken Restaurant speisen.“ denkt sie. „Aber alles in allem habe ich hier im Regenwald meine Lebensaufgabe gefunden. Wenn ich mich da erinnere, wie alles anfing...“

      Der Traum von Afrika

      Ihre Eltern hatten sie Petronella getauft, nach ihrer Großmutter. Das konnte in Petra oder Nelly verkürzt werden. Doch sobald sie reden konnte, bezeichnete sie sich selbst als Nel. Dabei blieb es. Der Name war schön kurz, klang energiegeladen und niemand sonst hieß so. Das gefiel ihr. Schon als Kind hatte sie einen Sinn für das Besondere.

      Sie war zehn, als ihr ein Bildband über Zentral-afrika in die Hände fiel. Sie schaute sich die Fotos an und war fasziniert von den exotischen Tieren, der dunklen, glänzenden Haut der Menschen, den kriegsbemalten Männern, den in farbenfrohe Boubous gekleidete Frauen mit imposantem Kopfschmuck. Sie träumte von Savannen ohne Horizont und dichten Tropenwäldern, animiert durch ein subtiles Spiel von Licht und Schatten. Immer wieder holte sie das dicke Buch heraus und blätterte darin. Jedes Mal entdeckte sie etwas Neues, den klugen Gesichtsausdruck eines Affenbabys, die geometrischen Streifen des Zebras, die stolze Mähne des Löwen, das Angst einflößende Profil des Nashorns. Sie konnte sich nicht satt sehen.

      „Dort möchte ich einmal hin“, vertraute sie ihrer Mutter an.

      „Das ist aber sehr weit weg“, war die Antwort.

      „Na und? Es gibt doch Schiffe und Flugzeuge.” Nel gab sich mit der Antwort ihrer Mutter nicht zufrie-den. Wie sollte sie auch verstehen, was in den Köpfen von frustrierten, im kommunistischen System eingepferchten Erwachsenen vorging?

      Wenn Nel in ihrem Buch blätterte, konnte sie förmlich das Kreischen bunter Vögel und das Rauschen des Wasserfalls hören. Ihre Nase saugte den Modergeruch des Urwaldbodens auf. Beim Anblick der trockenen, sonnendurchfluteten Steppe wurde ihr ganz heiß. Obwohl draußen der Dezemberschnee leise fiel.

      Ihr Wunschzettel ans Christkind war kurz. Er umfasste nur ein einziges Wort „Afrikabücher“.

      „Afrika“, flüsterte sie. „Wenn ich groß bin, will ich nach Afrika.”

      Als Ungarn 1989 die Grenze öffnete floh Nel mit ihrem damaligen Partner Klaus aus der DDR und kam über Österreich „nach drüben“, nach Westdeutschland. Fünfundzwanzig Jahre alt war sie gerade und erlebte Auffang- und Flüchtlingslager, Ablehnung wie auch Großzügigkeit seitens der Bundesbürger.

      Nel und Klaus ließen sich in Bad Honnef bei Bonn nieder. Es galt einen neuen Anfang in dem völlig anderen Deutschland zu suchen, sich durchzukämpfen, seinen Platz zu finden.

      Mit Klaus war sie schon im Kindergarten befreun-det. Er war der Nachbarsjunge. Später drückten sie zusammen die Schulbank, fingen beide das Betriebswirtschaft Studium an und hatten vor der Flucht schon einige Jahre zusammen gelebt. Klaus war unternehmungslustig, offen und sehr sportlich aber absolut nicht belastbar. Er schob jede Schwierigkeit auf Nel ab. Schlussendlich kam sie sich fast wie seine Mutter vor, die sich immer um alles für ihn kümmern musste.

      Ein Jahr war in der Zwischenzeit vergangen. Täglich ging Nel in die Uni, hatte auch einen kleinen Job als Serviererin gefunden. Es war nicht leicht, sich als Ossi hier am Rhein zu behaupten.

      Trotzdem war es nicht das, was ihr zu schaffen machte. Sie hatte vielmehr das Gefühl, daß ihr Leben mit Klaus ihr langsam entglitt.

      Sie verstanden sich zwar noch immer gut, aber Liebe konnte das doch sicher nicht sein. Gab es das große, das überwältigende Glück? Sie wusste es nicht, und wenn sie untätig darauf wartete, würde sie es höchstwahrscheinlich niemals finden. Über eines war sie sich klar: wenn sie mit Klaus zusammen war, verspürte sie kein Kribbeln mehr, schlug ihr Herz niemals höher.

      Gedankenverloren rührte sie in der Gemüsesuppe, die sie zum Abendessen zubereitete.

      In den letzten Tagen wirkte Klaus des Öfteren abwesend. „Ich muss mit ihm reden“, sagte sie sich. „Ich kann so nicht weitermachen. Das Routineleben, das wir derzeit führen, befriedigt mich absolut nicht. Wir sollten uns vielleicht trennen.“

      Als Klaus an diesem Abend heimkam, machte Nel einen bekümmerten, fast niedergeschlagenen Eindruck.

      Klaus bemerkte es gar nicht. Er hatte andere Sorgen.

      „Ich habe mir heute das Buch Jenseits von Afrika von Tania Blixen gekauft. Hast du das mal gelesen?“ Nel deutete auf das dicke Buch, das auf dem Tisch lag, und fügte kopfschüttelnd hinzu: „Was für eine dumme Frage, natürlich nicht.”

      „Nein, natürlich nicht!“ Klaus ahmte ihren ironischen Ton nach. „Aber