Gisela Raeber

Und dennoch ...


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sich wegen aller möglichen Kleinigkeiten. Dann wurde Nel auch noch Geld aus der Kasse gestohlen, als sie einmal dringend nach draußen gerufen wurde und das Büro abzuschließen vergaß.

      „Na gut, das ziehe ich Ihnen einfach von Ihrem Gehalt ab!” meinte die Chefin aus der Hauptstadt kaltblütig.

      Die ständigen Reibereien und Ärgernisse mit dieser Frau führten schließlich dazu, daß Nel den Job auf-gab. Sie kündigte und fuhr wieder zurück nach Yoka-douma.

      Ihre Schweizer Freunde brachten sie bis zur Grenzstation. Dort musste sie eine Piroge nehmen, die sie in einer Stunde ans andere Flussufer übersetzte. Für die Zollbeamten hatte sie einen Kasten Bier dabei. Der beschleunigte die Formalitäten.

      Im nächsten Ort fragte sie bei den ansässigen Holzfirmen nach, ob sie in einem ihrer Lastwagen bis Yokadouma mitfahren könne. Das wurde dann für den nächsten Tag organisiert.

      Inzwischen war ihr hundselend zumute, sie fühlte sich schwach und hatte Kopf- und Gliederschmerzen. Schweißausbrüche wurden von Schüttelfrost abgelöst.

      Dazu kam hohes Fieber. Malaria.

      Sie hatte schon vorher Malaria gehabt und wusste, daß es auch diesmal vorübergehen würde.

      Zu Hause angekommen, kurierte sie sich erst einmal aus. Und dann musste sie feststellen, daß Olaf sie betrog....

      Olaf

      Olaf hatte sich eine Einheimische angelacht. Es war nicht das erste Mal, und wieder wich er einer Auseinandersetzung aus.

      „Warum? Warum?” fragte Nel ein ums andere Mal. „Was findest du bei ihr, das ich dir nicht geben kann? Liebst du mich nicht mehr? Bin ich langweilig? Musst du eine emotionale Lücke füllen oder dein Ego bestätigt sehen? Soll ich ausziehen?“

      Auf all diese Fragen gab Olaf keine Antwort. Stattdessen verschwand er hinter seinen Akten und Berichten.

      Olaf war zehn Jahre älter als sie. Er hatte immer sehr an seiner Mutter gehangen, die schon früh Witwe wurde. Sicherlich fühlte er sich für sie verantwortlich, hatte wohl auch ein schlechtes Gewissen, da er seit langem im Ausland lebte und nur selten seine Mutter in Deutschland besuchen konnte. Auch deshalb hatte es schon öfter Auseinandersetzungen gegeben.

      Beruflich war Olaf sehr zuverlässig und engagiert. Er liebte Afrika und passte sich dank seiner eigenen Genügsamkeit und Flexibilität dem Kontinent und seinen Herausforderungen sehr gut an. Die Arbeit bedeutete ihm alles und musste immer mehr als perfekt verrichtet werden. Das führte dazu, daß er nur sehr wenig Zeit zu Hause verbrachte, und wenn er da war, war er mit sich selbst beschäftigt, in sich gekehrt und eigenbrötlerisch. Immer seltener unternahmen sie Dinge gemeinsam.

      Als extrem introvertierter Mensch konnte er seine Gefühle nicht zeigen, wollte es wohl auch nicht. Das lastete auf Nel. Sie fühlte sich oft wie ein Möbelstück, das man mehr oder weniger benutzt oder nach Bedarf hin und her schiebt.

      Sie meinte, es passe eigentlich gar nicht ins Bild, daß er ständig Frauen um sich herum brauchte und so von einer Liebschaft in die andere flatterte. Er hatte vielleicht Nel gegenüber zeitweise ein schlechtes Gewissen, aber entweder störte es ihn nicht oder er ignorierte es einfach. Er versuchte auch nie, sich zu rechtfertigen.

      Das Thema konnte einfach nicht diskutiert werden. Nel, die gerne reinen Tisch machte, fühlte sich frustriert.

      Die Situation bescherte ihr schlaflose Nächte, und eines Morgens entschloss sie sich zu einen Streifzug durch den Wald aufzubrechen. Der würde ihr gut tun und vielleicht helfen Ordnung in ihre wirren Gedanken zu bringen.

      In der Nacht hatte es leicht geregnet. Vereinzelte Dampfschwaden stiegen vom Boden auf und lockere weiße Nebelfetzen glitten wie Gespenster durch die Baumwipfel. Nel schnupperte, sog die würzige Luft ein. „Es riecht grün.” dachte sie. Sie ordnete undefinierbare Gerüche nach Farben ein. Bald würde die Sonne den zarten Dunst zerreißen, ihre Strahlen zwischen den Zweigen hindurchfallen, und alles würde gelb riechen.

      Nels hohe Schuhe sanken in dem lockeren, humusreichen Boden ein. Ihre Gedanken verloren sich im gedämpften Licht. Vogelgezwitscher und vereinzeltes Kreischen bezeugten, daß der Wald bereits seit langem erwacht war. Friede überkam sie.

      "Die Natur macht sich keine Sorgen. Weshalb mache ich mir welche?“ fragte sie sich. „Die Welt ist so schön, und ich bin jung. Es wird schon wieder weitergehen.“

      Sie dachte daran, wie leicht die Trennung von Klaus gewesen war. Ob sie von Olaf auch so leicht loskäme?

      Er hatte ihr geholfen, in Afrika Fuß zu fassen, sie vertraute ihm. Sie mochte ihn. Er hatte diese fürsorgliche Art, war großzügig und nahm Nel absolut nichts übel.

      Aber die Liebe hatte sie bei ihm auch nicht gefunden. Und es lag sicherlich nicht daran, daß er voll in seinem Beruf aufging. Was sie verband war die Leidenschaft zu diesem Land. Nähme man die weg, wären sie sich fast Fremde.

      Nel sah ein, daß es ein Fehler wäre, die Beziehung weiterhin aufrechtzuerhalten. Sie fühlte sich stark für einen Neuanfang.

      Zweifel

      Bei ihrer Rückkehr fiel jedoch alle Euphorie von Nel ab. Was für einen Neuanfang suchte sie denn? Sie hatte doch eigentlich noch gar nichts zustande gebracht, fand sie.

      Wie die Nebelschwaden des Waldes fielen die Zweifel über sie her.

      Sie wusste nicht, was sie machen sollte. Alles hinschmeißen und nach Deutschland zurückkehren? Was sollte sie dort anfangen? Ihre ersten zwei Jahre waren abgelaufen, und sie hatte sich nochmals für zwei weitere Jahre beurlauben lassen.

      Außerdem war sie inzwischen auf den herb-süßen Geschmack des Abenteuers und dieses faszinierenden Kontinents gekommen. Sie verspürte absolut keine Lust auf ein bestenfalls geordnetes, schlimmstenfalls spießbürgerliches Leben in der Heimat. Sie sehnte sich nicht nach einem öden Bürojob, nach der Sicherheit der Routine. Sie verspürte auch keine Lust auf Schrebergärten, neugierigen Nachbarn oder Kälte und Schnee.

      Nein, sie wollte sich nicht unterkriegen, nicht den Kopf hängen lassen oder sich selbst bemitleiden. Sie wusste inzwischen, daß vieles möglich ist, wenn man es will. Und sie wollte! Irgendwie musste sie versuchen, sich anderweitig zu beschäftigten.

      Sie entschied sich, vorerst noch bei Olaf zu bleiben. Sie erklärte ihm, daß sie aus dem Hauptgebäude in das kleine Gartenhaus gleich neben dem Kaninchenstall umziehen wolle. Wie immer nahm er ihren Entschluss gelassen und ohne Einwendungen hin.

      Olaf und Nel hatten Kontakte mit sämtlichen Jagdgesellschaften der Gegend geknüpft. Unter anderem waren sie gut befreundet mit dem Franzosen Gregory, der mit seiner kambodschanischen Freundin Devi ein Camp mitten im Wald betrieb. Camp de Lognia hieß es.

      Es war kein traditionelles Jagdcamp mit Zelten auf einem kahlgeschlagenen Flecken. Hier gab es Holz-hütten mit Palmblätterdächern, die sich wunderbar in den ursprünglichen Regenwald einfügten. Gleich daneben hatten sie ein Dorf für die dort arbeitenden Pygmäen mit ihren Familien gebaut, diese nur etwa ein Meter vierzig großen, hellbraunen Menschen, die ausschließlich in Zentralafrika zu Hause sind.

      Das Camp lag an einem Flüsschen, das aus der nahegelegenen Quelle sauberes Wasser lieferte. Von der atemberaubenden Artenvielfalt der Tiere ganz zu schweigen.

      Hier gefiel es Nel besonders gut. Kurzentschlossen fragte sie Gregory bei der nächsten Gelegenheit, ob sie bei ihm arbeiten könne.

      Er wäre zwar einverstanden gewesen, seine Partnerin Devi jedoch sah in ihr eine Rivalin und wollte sie nicht im Camp haben. Aus Nels Plan wurde also erst mal nichts.

      Etwas später jedoch als Gregory und Devi bei Nel und Olaf zu Besuch waren bewunderte die Kambodschanerin Nels fröhlich sprießenden Kräutergarten.

      „Du hast so einen tollen Gemüse- und Kräutergarten. Du scheinst einen grünen Daumen zu haben. So was möchte ich auch bei uns einrichten. Kannst du mir den anlegen?” fragte sie Nel.

      „Aber sicher. Das mache ich doch gerne“, meinte Nel und freute sich, so vielleicht