Alexander Jordis-Lohausen

Der Rote Kolibri


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nachsagte, und die man deswegen gentlemen pirate s nannte. Und die Kaperfahrten im Mittelmeer, in der Karibik und im Indischen Ozean sind durch viele Zeitzeugenberichte angeregt. Vor allem war die General History of the Robbery and Murders of the most Notorious Pyrates eines Captain Charles Johnson (ein Pseudonym Daniel Defoes) eine unerschöpfliche Fundgrube von Information über die bekanntesten Seeräuber der damaligen Zeit. Im Asian and African Studies Lesesaal der British Library in London sitzend, die erweiterte Ausgabe von 1726 mit ihren zahlreichen Illustrationen vor mir, vertiefte ich mich in diese Welt bis mir kalter Schweiss auf der Stirn stand. In der langen Liste dieser von Defoe aufgezählten und beschriebenen grausamen Ungeheuer fiel jedoch einer als Idealist aus dem üblichen Rahmen. Er interessierte mich besonders: der wenig bekannte französische Seeräuber Olivier Misson – vielleicht hat Defoe ihn auch erfunden. Es ginge zu weit im Roten Kolibri den Seeräuber Misson sehen zu wollen, dagegen hat der dort erwähnte Mönch Caraccioli ohne Zweifel die Gestalt des Bruder Salomon inspiriert. Ebenso, stammt die Idee eines Freiheitsstaates der Seeräuber auf Madagaskar von dort. Man weiß bis heute nicht, ob dieser Freiheitstaat auf Madagaskar tatsächlich bestanden hat oder nur der politischen Phantasie Defoes entsprungen ist. Wie dem auch sei, es ist durchaus nachvollziehbar, dass es einigen jener von der menschlichen Gesellschaft Verdammten ein dringliches Anliegen war, sich ein eigenes ihrer Vorstellung von Freiheit und Gerechtigkeit entsprechendes Staatsgebilde zu schaffen. Der Seeräuber Blaubart, der an dieser Staatsgründung teilnimmt, ist von dem Piraten Thomas Tew inspiriert, der auch im Indischen Ozean und im Roten Meer den Schätzen des Orients nachjagte. Auch die Edelstein Galeone ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern geht auf die Prise eines mit Luxuswaren und Diamanten schwer beladenen portugiesischen Ostindienfahrers des Seeräubers John Taylor zurück.

       Die Praxis verschiedener Königreiche der damaligen Zeit an Seeräuber Kaperbriefe auszustellen, um Handelsschiffe jener Staaten aufzubringen, mit denen sie sich gerade in Kriegszustand befanden, war allgemein üblich. Im Gouverneur der französischen Insel Isle de France (heute Mauritius), der dem Roten Kolibri seinen Kaperbrief ausstellte, kann man, wenn man will, den französischen Marine Offizier und Gouverneur der Maskarenen Inseln Bertrand François Mahé, Comte de La Bourdonnais wiedererkennen, dem nach seiner Rückkehr am französischen Königshof übel mitgespielt wurde.

       In der British Library erfuhr ich auch mehr über die Rivalität Frankreichs und Englands in Indien und im Indischen Ozean im 18. Jahrhundert.

       Ich bin kein Seemann und hatte keine Ahnung von Navigation auf Rahen Seglern. Ich musste daher vieles, vor allem die entsprechenden Fachausdrücke aus verschiedenen Büchern lernen.

       Und schliesslich, um etwas von der rauen, aber oft sehr bilderreichen Seeräubersprache heraufzubeschwören, habe ich per Analogie immer wieder Ausdrücke und Redewendungen aus Grimmelshausens Simplicissimus (1669) in die Erzählung einfließen lassen.

       A.J.-L.

      Prolog

       Ich sei ein Feind des Volkes, sagten sie, als die laute, bunte Horde aus der Stadt hinauf ins Schloss kam. Fast wie Seeräuber sahen sie aus. Und in meinem Munde ist das immer noch ein Kompliment.

       Ja, ich sei ein Feind des Volkes, sagten sie, und Volksfeinde müssten ausgemerzt werden. Die Bauern von unseren Gütern kamen zuhauf, und wollten mich verteidigen, aber ich habe es ihnen verboten. Ich wollte nicht, dass sie für mich ihr Leben aufs Spiel setzen. Aber sie wären dazu bereit gewesen.

       Verhandeln wollten sie dann mit dieser Horde, sie aufklären, dass ich immer ein Freund des Volkes gewesen sei. Aber die Schergen des Bürgers Fouché 1 wussten alles besser. Sie hätten Beweise, sagten sie. Und ich wohne ja schließlich in einem Schloss. So kam ich ins Gefängnis. Und dann vor das Revolutionstribunal.

      „Man sagt, du seiest selbst Revolutionär. Ist das richtig?“ fragten sie mich.

      „Ich habe mein Leben lang gegen Unfreiheit und Ungerechtigkeit gekämpft, auch gegen die, die im alten Königreich geherrscht hat. Denn dort stand nicht immer alles zum Besten. Wenn Ihr das Revolutionär nennt, dann bin ich wohl einer!“ erwiderte ich ihnen.

      „Und was hälst du dann von unserer glorreichen Revolution?“ wollten sie wissen.

      „Ich weiß nicht allzu viel darüber. Ich weiß nur, dass ihr mit einer neuen Brüderlichkeit das erneuern wollt, was alt und morsch geworden ist. Und das ist gut. Ich habe jahrelang in einer Bruderschaft gelebt und weiß wie fruchtbar sie sein kann, sofern alle guten Willens sind. Auch wollt ihr Freiheit für alle. Auch das ist gut, doch manchmal schwierig. Denn ist die Freiheit des einen nicht allzu oft die Unfreiheit des anderen? Und schließlich strebt ihr an, daß alle Menschen gleich werden. Ich habe lange nach Gleichheit gesucht, aber meist nur Neid, Gier und Hass gefunden. Ist Gleichheit nicht vielleicht doch nur eine schöne Utopie? Aber……“ und ich wollte ihnen sagen, dass trotz alle dem ihre Revolution vielleicht zu einem glücklicheren Leben für alle führe. Aber sie ließen mich nicht ausreden. Sie schrien wild durcheinander:

      „Hört ihr! Hört ihr! Gleichheit eine Utopie! Er verrät sich ja selbst! Wir wussten es ja von vorn herein! Du bist ein Volksfeind und du bist zum Tode verurteilt!“

       Ich bin nun schon fast fünfundneunzig Jahre alt. Und ich bin dankbar für alles, was das Leben mir geschenkt hat. Auch glaube ich, dass ich die Aufgaben, die es mir gestellt hat, so gut ich es vermochte, erfüllt habe. Es war eine reiche Zeit.

       So ist es auch nicht mehr wichtig, dass ich nun im Gefängnis sitze. Doch bin ich froh, dass meine liebe, kluge Maya schon lange nicht mehr am Leben ist und ihr dies Schicksal erspart geblieben ist. Für mich ist es nicht mehr wesentlich.

       Wenn ich in der kurzen Zeit, die mir noch bleibt, nun versuche meine Lebensgeschichte zu

       Papier zu bringen, so geschieht das nicht, um mich vor meinen Henkern zu rechtfertigen. Das brauche ich nicht. Nein, ich tue es in der Absicht, dass meine Söhne, die hoffentlich in Sicherheit sind, vielleicht einmal diese Zeilen lesen werden, wenn ich schon lange tot bin. Und vielleicht auch ihre Kinder und Kindeskinder. Denn ist nicht fast jeder versucht, weit zurückliegende Begebenheiten am Prüfstein der Gegenwart zu messen und zu vergessen, dass ja jede Zeit ihre eigene Gesinnung hat.

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      Kindheit

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       Es sind Bilder des Lichts und der Geborgenheit, Erinnerungen an eine glückliche, unbeschwerte Kindheit. Heute kennt niemand mehr den Namen des Dorfes am Mittelmeer, in dem ich sie verlebte. Seine Häuser sind verlassen und verfallen. Nur Möwen nisten noch in den Ruinen. Und doch liegt es nur wenige Meilen von der großen Hafenstadt Marseille entfernt.

       Man schrieb das Jahr 1704. In Versailles herrschte noch der alte König Ludwig XIV. Ich war gerade sechs Jahre alt geworden.

       Unser Dorf lag wie Schutz suchend an hohe Felsen geschmiegt, die das Land wie eine Tausend-Klafter-Mauer gegen die Brandung aufgebaut hatte. An dieser Stelle ragte auch eine Felszunge schräg ins Meer hinaus und bildete einen natürlichen, kleinen Hafen, der Strand und Dorf und den Booten bei Unwetter Schutz gewährte. Etwa ein Dutzend kleiner Hütten standen dort, aus Stein fest gefügt und mit runden Ziegeln gedeckt. Ihre Türen und