mysteriösen Nektars nicht geschadet.
Meine Haut erfühlte inzwischen auch direkt die Kühle und Feuchtigkeit der Umgebung. Die Sinneswahrnehmungen kehrten offensichtlich schrittweise zurück. Alles um mich her war nass.
Rasende Schmerzen durchtobten meinen Körper. Ich spürte jetzt auch die Wunden und auch den langsamen, leichten Schlag meines Herzens. Das restliche Blut wurde davon belebend durch die Adern gepumpt. Bald schlug es noch kräftiger und stärkte meinen Überlebenswillen.
In der Ferne hörte ich Schüsse und Granatexplosionen.
„Die Front rückt näher! Wann sind wir endlich beim Schacht?“, grummelte ein Begleiter, der sich mit anderen in meiner Nähe befinden musste. Ich konnte nur vermuten, dass sie neben der blutigen Fracht saßen. Der Wagen kutschierte die scheinbar leblose Fracht zum geplanten Grab.
Angst machte mir zu schaffen. Ich zwang mich zur Beherrschung. Nur wenn ich klug vorging, konnte ich vielleicht überleben, denn das Mörderpack hielt mich für tot. Das war zugleich meine Chance.
„Die weißen Banditen schließen den Ring um Jekaterinburg“, hörte ich den verhassten Jurowski nervös sagen. Er war also mit von der Partie.
„Sie kommen jedoch zu spät, die Zarenbagage ist schon tot!“, schloss er höhnisch und stolz auf sein Mordwerk.
„Das kann für uns aber böse enden“, wandte einer der Soldaten zögerlich ein.
„Keiner wird es erfahren! Wir schmeißen alle in den Schacht und sprengen diesen, da findet sie niemand mehr! Die bleiben für immer verschwunden. Dann machen wir uns davon. Jekaterinburg muss leider vorerst aufgegeben werden. Aber wir kommen wieder.“
Das Ruckeln des Wagens übertrug sich mir immer deutlicher. Inzwischen erfasste ich die gesamte Situation immer besser. Doch noch immer waren meine Muskeln gelähmt. Wie konnte ich mich so überhaupt befreien, wenn sie mich vergruben? Befürchtungen und Wut mischten sich miteinander und schufen einen Fluss aus Panik und Angst.
Wir waren anscheinend angekommen, weil das Fahrzeug hielt. Ich konnte immer noch nicht sehen.
„Schmeißt das Gesindel in die Grube!“ befahl Jurowski kurz.
„Sollen die Ratten ein Festmahl bekommen!“, höhnte Medwedew.
Jemand anders wurde von der Pritsche des Wagens genommen. Die Rotgardisten trugen die erste Leiche davon.
Mir war so unendlich kalt! Bis in das Mark wirkte die nächtliche Kälte auf meinen nackten, geschwächten Körper und lähmte mich zusätzlich.
Das Kommando holte einen weiteren Toten ab. Sollte ich nun unter einer Ladung Erde mein Ende finden? Trotz meines eigenwilligen Zustandes empfand ich Furcht und wollte keinesfalls lebendig begraben werden.
Konnte das alles, was ich gerade erlebte, nicht doch ein Traum oder das Delirium des Todes sein?
„Macht schnell!“, hetzte Jakow Michailowitsch Jurowski seine Männer.
„Die Schüsse kommen immer näher. Die Front scheint gerade ganz aufzubrechen!“
Jetzt war ich an der Reihe. Sie achteten durch die Eile nicht auf mich. Das war gut. Den Gestank des Schweißes meiner Peiniger, den Geruch des billigen Tabaks und ihres warmen böswilligen Blutes werde ich nie vergessen. Zum Glück entrang sich trotz der aufkommenden ersten Schmerzen kein Ton meinem Hals.
„Hast du das auch gefühlt?“, stieß einer der Träger ängstlich hervor.
„Was?“, flüsterte der andere.
„Irgendeine Bewegung! Und mir ist plötzlich eisig kalt. Meine Haare stehen zu Berge!“
„Das ist so mit Leichen, die zucken manchmal. Das ist wie bei geköpften Hühnern“, wiegelte der andere ab.
Ich fiel aus recht großer Höhe zu Boden und schlug flach auf. Frischer Schmerz durchzuckte mich. Ich verlor erneut das Bewusstsein. ...
Als ich erneut erwachte, hörte ich von oben Stimmen.
„Geht hier wirklich alles schief? Die Sprengladung explodiert einfach nicht! So eine Hundescheiße! Fick doch deine Mutter! Die Weißen kommen immer näher! Wir müssen zurück in die Stadt und Säure sowie Benzin holen. Das Pack muss unbedingt verbrannt werden! Keiner darf sie finden! So lautet der Befehl von ganz oben“, schimpfte Jurowski.
Ihr Plan hatte wie durch ein Wunder nicht funktioniert. Sie fuhren noch einmal fort. Das konnte meine Rettung sein.
Töten ist schon schwierig, das Verbergen des Verbrechens noch mehr. Es war, als hätte eine höhere Macht sich gegen sie verschworen.
Von oben hörte ich Schüsse, hier unten das Getrappel von Tieren. Es waren offenbar aufgeregte Ratten.
Nach einiger Zeit konnte ich mich etwas bewegen. Die Lähmung ließ nach. Auch die Sehkraft kehrte endlich mit neuer Stärke zurück. Zuerst konnte ich nur einen Finger, dann ein Augenlid, dann einen Zeh heben. Eine Ratte hatte sich inzwischen an meinem nackten Bein zu schaffen gemacht und biss probeweiser vorsichtig ein Stück Haut heraus. Angewidert schlug ich nach ihr. Das erstaunte Tier floh.
So lag ich eine Weile da. Ich nahm das wieder erwachte Leben dankbar an. Nachdem etwas Kraft zurückgekehrt war, erhob ich mich mühsam. Ein bitterer Anblick bot sich. Nackt, blutüberströmt und von Wunden zerrissen lag meine gesamte Familie wahllos auf dem Boden, weggeworfen wie Müll. Die Ratten hatten sich inzwischen aus Angst verzogen.
Nachdem etwas Kraft zurückgekehrt war, erhob ich mich mühsam. Ein bitterer Anblick bot sich. Nackt, blutüberströmt und von Wunden zerrissen lag meine gesamte Familie wahllos auf dem Boden, weggeworfen wie Müll. Die Ratten hatten sich inzwischen aus Angst verzogen.
Eisige Tränen rannen mir aus den Augen und wahnsinniger Zorn erfüllte mein Herz. Es war mühsam, hier die Beherrschung zu bewahren. Als Erstes blickte ich zu meinem Vater. Es gibt für ein großes Kind keinen unangenehmeren Anblick als vollkommen entblößte Eltern. Papa war voller Blut und sein Gesicht fast unkenntlich.
Oh, armer Vater! Meine Tränen mischten sich nun mit seinem Blut. Ein schauerlicher Gewimmer meines Schmerzes erfüllte das Dunkel der Grube.
Der Schmerz zeigt mir, dass tief in meinem Herzen noch Liebe war. Ich umschloss diese nun mit Groll. Sie sollte fortan unter Verschluss und ein Geheimnis bleiben.
Genauso verabschiedete ich mich von Mama, die mir dieses zweite Leben geschenkt hatte. Wie ein Baby legte ich mich auf ihre blutigen Brüste und ließ rote Tränen aus den Augen rinnen. Auch diese Gefühle umschloss ich mit Hass.
Dann nahm ich meinen Bruder, den Zarewitsch, in die Arme, so wie ich es als älteste Schwester oft getan hatte. Was hatten die Monster unserem Baby angetan? Sein Kopf war zerschossen und auch sein zartes Antlitz kaum noch zu erahnen.
Wie wunderbar erscholl einst sein Lachen.
Tatjana erschien mir fast lebendig, sodass ich immer wieder prüfte, ob sie nicht doch atmete. Sie war jedoch tot.
Hieß es nicht: Auge um Auge, Zahn um Zahn? Es war die einzige Sprache, die dieses Gesindel verstand. Schuld musste gesühnt und Böses vernichtet werden.
Die Schüsse waren inzwischen sehr laut. Die Kämpfe mussten in unmittelbarer Nähe erfolgen. Wie sollte ich vorgehen?
Von oben drang zaghaft Licht herein. Es wurde Tag. Wie kam ich nur hier heraus? Die Wände des Schachtes waren sehr steil.
An den Geräuschen von oben, erkannte ich, dass ein Fahrzeug heran rumpelte. Entsetzen und Panik fuhren in meine Glieder. Sie kamen zurück. Was war zu tun?
Inzwischen fühlte ich mich offenbar durch das geheime Mittel trotz der Wunden und Schmerzen relativ kraftvoll. Die Geschichten über diese besondere Medizin waren also wahr.
Ich flüchtete, um in das Dunkel eines Ganges, um einen Ausweg zu suchen. Erstaunlich war, dass mir das Dunkel keine Furcht einjagte. Viellicht lag es auch an der Wirkung der Medizin. Die Welt des Lichts hatte sich ohnehin als grausam erwiesen.