Alfred Bekker

Mördertränen: Thriller


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überreizt.”

      “Ja, vielleicht...”

      Ich stecke die Waffe zurück ins Holster.

      Für einen Moment denke ich darüber nach, dass dieser Krankenpfleger einen Teil dessen mitbekommen hat, was ich gesagt habe.

      Einen Teil des Gesprächs mit meiner Frau, das, wie ich leider zugeben muss, für einen unabhängigen Betrachter wohl etwas einseitig wirken muss.

      Aber das alles war mir ein paar Augenblicke später bereits ziemlich egal.

      4

      Als ich die Klinik verließ, bekam ich eine Nachricht auf das Smartphone, dass Valentina mir gegeben hatte.

      >Ich bin in Gedanken immer bei Ihnen, Barry. Immer. Und ich weiß, was Sie tun.<

      Dieses Miststück, dachte ich. Dieses verdammte Miststück!

      Was mich am meisten ärgerte, war die Tatsache, dass sie mich vollkommen in der Hand hatte.

      Wer jemanden liebt, ist verwundbar.

      So einfach ist das.

      Und es gibt Schweinehunde, die das auszunutzen wissen.

      Ich bin ziemlich furchtlos veranlagt.

      Eigentlich zumindest.

      Und ich kann eigentlich auch nicht sagen, dass ich das Risiko scheuen würde.

      Aber wenn es um die Familie geht, ist das etwas anderes.

      Ich hatte keine Ahnung, wie ich aus dieser Klemme wieder herauskommen sollte.

      Im Moment hatte ich nur eine Wahl.

      Ich musste tun, was man mir sagte.

      Bedingungslos.

      Und obwohl es allem widersprach, woran ich glaubte und wofür ich einzustehen bereit war.

      5

      „Ah, ist das scharf!“, meinte Jaden und verzog das Gesicht. Wir saßen in einer Filiale von 'Tapas Mexicanas“, einer Kette mit Latino Fast Food in Spanish Harlem. Auch wenn ansonsten in diesem Teil New Yorks Puertoricaner, Exilcubaner und Einwanderer aus anderen lateinamerikanischen Ländern den Ton angaben, waren die Gäste hier durchaus bunter gemischt. Das lag wohl an der unmittelbaren Nähe der Columbia University, die wie eine Insel des weißen, angelsächsisch-protestantischen Amerika in diesem Latino-Stadtteil wirkte.

      Eigentlich warteten wir auf einen Informanten namens Norman Echeveria. Aber Echeveria war schon seit einer halben Stunde überfällig und normalerweise konnte man sich, was die Pünktlichkeit betraf, auf ihn verlassen.

      Echeveria besaß einen Friseursalon zwei Straßen weiter. Jeden Tag um fast genau 18.00 Uhr ging er in diese Filiale von „Tapas Mexicanas“, um seine Portion Chili zu essen. In unregelmäßigen Abständen sprachen ihn dann Kollegen unseres Field Office dort an. Echeveria war Anfang siebzig, ein alter Mann, der seine Altersversorgung während des letzten Banken-Crashs verloren hatte und darum gezwungen war, seinen Laden so lange weiter zu führen, bis er keine Schere mehr halten konnte.

      Vor drei Jahren waren er und seine Frau bei einer Schießerei zwischen den rivalisierenden Gangs Mara 13 und Mara 18 schwer angeschossen worden. Die beiden waren völlig unbeteiligt gewesen. Seitdem humpelte Norman Echeveria. Seine Frau hatte es schlimmer erwischt. Sie war ihren Verletzungen erlegen. Seitdem hatte Echeveria keine Angst mehr. Vor niemandem. Regelmäßig versorgte er uns mit Informationen aus dem Umkreis dieser weltweit operierenden Gangs, die von der FBI-Zentrale in Washington inzwischen als transnationale kriminelle Bedrohung eingestuft wurden. Drogenhandel, Prostitution, Glücksspiel, Waffen, Schutzgeld und illegale Müllentsorgung – alles, womit sich viel Geld verdienen ließ, gehörten zum Geschäftsfeld dieser straff organisierten Gangs, die für ihre Verschwiegenheit, ihre außergewöhnlich brutalen Einstiegsrituale und vor allem ihren kompromisslosen Umgang mit jedem, den sie für einen Verräter hielten, bekannt waren.

      Äußerlich waren sie an ihren Tätowierungen erkennbar.

      Einer solchen Gang gehörte man sein Leben lang an. Die einzige Möglichkeit des Ausstiegs war der Tod oder das Zeugenschutzprogramm des FBI. Allerdings traute letzterem kaum einer.

      Es war ausgesprochen schwierig, verdeckte Ermittler einzuschleusen. Eigentlich kamen dafür nur angeworbene Gang-Mitglieder in Frage, die aussteigen wollten. Aber so etwas war selten – und davon abgesehen hatten die Betroffenen dann zumeist nur noch eine sehr kurze Lebenserwartung, wenn ihr Doppelspiel aufflog. Das Risiko ging kaum jemand ein. Die einzelnen Untergruppen der Gangs bestanden ausschließlich aus Mitgliedern, die in denselben Straßenzügen groß geworden waren und sich oft seit frühester Kindheit kannten. Jemand, der von außen kam, hatte keine Chance, sich ihr Vertrauen zu erwerben. Das brutale Einstiegsritual bestand darin, sich mehrere Minuten lang von allen Gang-Mitgliedern verprügeln zu lassen, ohne sich zu wehren. Für Frauen gab es wahlweise auch die Möglichkeit, sich von mindestens drei Mitgliedern vergewaltigen zu lassen.

      Aber das war nur der Einstieg. Richtig dazu gehörte man erst, wenn man sich seine erste Träne verdient hatte – das Zeichen dafür, dass man bereit gewesen war, für die Gang zu töten. Manchmal wurden dafür willkürliche Opfer ausgesucht – aber für den Täter gab es dann kein Zurück mehr. Der erste Mord kettete ihn auf ewig an die Gang. An seine Mitwisser und Komplizen. Wie eine in das Fleisch geritzte Kriegsbemalung trugen sie ihre Tätowierungen und jeder, der sie ansah und einigermaßen Bescheid wusste, wie die Dinge in Spanish Harlem liefen, konnte ihnen ansehen, was sie auf dem Kerbholz hatten. Das verbreitete Angst. Und genau darauf kam es Gangs wie Mara 13 an. Das tätowierte Gesicht eines Mara war nichts anderes als eine deutlich für jedermann sichtbare Drohung.

      Die meisten Bewohner der betroffenen Viertel ließen sich einschüchtern und schwiegen. Es häuften sich bei uns im FBI Field Office New York die Fälle, in denen ein Verbrechen auf offener Straße geschah und es nicht einmal jemand wagte, die Kollegen der City Police zu verständigen.

      Eine Schwäche hatten die Maras allerdings. Sie waren eitel und gingen häufig zum Friseur. Manche ließen sich den Schädel ganz kahl rasieren, um Platz für Tattoos zu haben, andere bevorzugten Schnitte, bei denen nur ein mehr oder weniger breiter, sehr exakt begrenzter Haarstreifen auf dem Kopf übrig blieb. Beim Friseur unterhielten sich die Marabuntas ziemlich ungehemmt - und einen alten Mann wie Norman Echeveria nahmen sie ohnehin nicht ernst. Sie gingen einfach davon aus, dass er genauso von seiner Furcht in Schach gehalten wurde, die die meisten anderen.

      Und so war es wiederholt vorgekommen, dass Echeveria einiges mitbekommen hatte, was für die Ermittlungsarbeit von großem Nutzen gewesen war.

      Ich