Martin Ahrends

Damals im Café Heider


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in den Westen zu gehen, weil in den Achtzigern immer mehr meiner Freunde im Westen waren. Merkwürdiger- oder inzwischen verständlicherweise brach der Kontakt ab. Wenn jemand drüben war, hat er sich noch einmal gemeldet: Schöne Urlaubsgrüße von Mallorca! Und das war’s. Ich hab erwogen, rüberzugehen, aber nie ernsthaft. Erstens war’s mir zu gefährlich, und ich war schon der Meinung, dass das unser Land ist. Dass man nicht weggehen sollte, solange noch die geringste Chance auf Veränderung, auf Reform besteht. Ich hab lange an den ewigen Bestand der DDR geglaubt, aber einer reformierten DDR, so dachte ich zumindest in den späten Achtzigern. Das war ein Grund, hier zu bleiben. Hat sich im Nachhinein als richtig herausgestellt.

      A: Das leuchtet mir sofort ein. Als ich 84 in den Westen kam wusste ich bald, dass alles, was ich in der DDR geworden oder nicht geworden war, was ich da angesammelt hatte an Wut und Erfahrung, plötzlich unsinnig, überflüssig war, es gehörte da nicht hin, sondern in den Osten. Hab versucht, meine Texte in den Osten zu rufen, was unsinnig war, weil sie da drüben nicht ankommen konnten.

      Es wäre eine falsche Entscheidung gewesen, wenn es 89 nicht gegeben hätte. Da es 89 gegeben hat, war die Entscheidung richtig.

      A: Das ist schön gesagt. Das macht auch meine Entscheidung zu gehen nicht falscher als sie es damals war.

      Nach 89 habe ich viel machen können, politisch und publizistisch. Ohne die Revolution wäre ich wohl auf immer in irgendeiner wissenschaftlichen Hilfsfunktion beschäftigt worden. – Nach meiner Exmatrikulation hatte ich Hausverbot an der Humboldt-Uni, konnte dort aber später meine Fächer als Fernstudent abschließen. Danach durfte ich als wissenschaftliche Hilfskraft in der Bibliothek des Zentralinstituts für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften arbeiten. Ulrike Poppe, die ich aus verschiedenen Zusammenhängen relativ gut kannte, hat mit ihrem Vater gesprochen, der war Abteilungsleiter an der Akademie der Wissenschaften und konnte etwas für mich tun. Dort bin ich bis zur Auflösung der Akademie geblieben, zuletzt als stellvertretender Institutsdirektor; weil nach der Revolution Unbelastete gesucht wurden, und viele gab’s davon nicht an diesen Instituten. So bin ich in die Direktionsebene aufgestiegen.

      Heider war eine Lebenskultur. Man unterschied sich von anderen. Überhaupt war unser oppositionelles Verhalten durch eine maßlose Arroganz geprägt. Wir verachteten den Normalmenschen als Spießer.

      A: Das muß man in einer bestimmten Phase wohl, um die Genese auf sich zu nehmen, die Mühen und Entbehrungen auf dem Weg zur Elite, die einem verheißen ist, aber durch nichts versprochen. Man muß die Möglichkeit einräumen, Elite zu sein, bevor man es im entferntesten ist. Um es vielleicht zu werden. Das ist arrogant, jedenfalls im Rückblick. Wir wollten Verantwortung, auf den verschiedensten Ebenen, künstlerisch, intellektuell, politisch. Ein Merkmal vieler Leute, die ich mit diesem Buchprojekt kennen lernte. Die in diesem wunderbaren Wartesaal hängen blieben.

      Oder weggingen. Aber von denen hat keiner, den ich kenne, eine nennenswerte Karriere gemacht. Viele sind arg gescheitert. – Aus der Heider-Kultur ist niemand hervorgegangen, der heute einen Namen hätte.

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      Das hockte da auf 200 Quadratmetern zusammen und brodelte jeden Abend vor sich hin

      Andreas Hampel, Fotograf

      Ich bin in der Proletenstadt Magdeburg geboren. 10 Klasse POS, wenn meine Mutter sich nicht so gut mit meinem Klassenlehrer verstanden hätte, wäre ich ein paar Mal nicht versetzt worden, weil ich so ein böser Junge war. Wir klauten lieber Mopeds und besoffen uns in den Kneipen mit 15, 16, als an der Schule teilzunehmen. Das führte zu zweifacher Vorstrafe, einem Vierteljahr Knast wegen Mopedklauens und Kneipenkloppereien. Meine Vorstrafen sind noch zu Ostzeiten gelöscht worden. Im Zuge dieser rüden Pubertät hatte ich Kontakt zu einer Jungen Gemeinde in Magdeburg und fand das spaßig und interessant. Weil man da relativ offen sein konnte. Ein lieber Diakon in Neustadt. Für mich war das faszinierend: Dass ich sagen kann, was ich will. Dieses Doppelleben, was man sonst zu führen hatte... Meine Mutter hat mich ständig herbeten lassen, wie die Fernsehuhr aussieht: Punkte, keine Striche. Die Lehrer stellten Fangfragen. Ich hab natürlich nur Striche gesehen, aber das hätte mir nicht rausrutschen dürfen. Ich lernte Zootechniker, wollte im Magdeburger Zoo arbeiten. Hab aber festgestellt, wie es da hinter den Kulissen aussieht – die Tiere taten mir leid, ich hätte die am liebsten rausgelassen, und fertig. Knochenarbeit für 525,- Mark plus Überstunden. War eine interessante Zeit, bin aber nach einem Vierteljahr raus. Wechselte planmäßig alle Vierteljahr den Job, weil ich das interessant fand. Das war im Osten kein Problem. Da gab’s ein Arbeitsamt in Magdeburg, da saß eine nette alte Dame an einem Holztisch mit einem Karteikartenkasten, die fragte mich: Wie viel willst du verdienen, und wie lange willst du dafür arbeiten. Recht offenherzig. Ich wollte wenig arbeiten und viel verdienen. Also Schädlingsbekämpfung, da verdiente man viel, weil man mit Giften zugange war. Und das hat meine Karriere als Kleinmöbelhändler befördert, weil wir im Winter über die Dörfer liefen und Rattengift verkauften pro Grundstück, musste jeder abnehmen, war eine Pflicht, wie in der Gewerkschaft zu sein. Drei Mark fuffzich, Tüte Rattengift. Und ich musste auf den Speicher und nach Ratten gucken. Da standen die alten Gründerzeitschränke. Wenn es sich lohnte, haben wir das den Bauern abgeschwatzt und aufgemöbelt und verscheuert. Das hatte keine Profidimensionen. Aber das Dreifache vom normalen Arbeitslohn war locker drin. Kohle machen – kein Problem. Wer im Osten regulär arbeiten gegangen ist, der hat was falsch gemacht.

      In Potsdam bin ich bei der DEFA erst als Kleindarsteller, später als Kaskadeur beschäftigt worden. Da gab es drei Profis und 15 Leute für Kneipenschlägereien und so was. Da hat man affenartig viel Geld verdient. Diesen Thälmann-Mehrteiler drehten wir mit zwei Drehstäben gleichzeitig, damit das zum Thälmanngeburtstag fertig wurde. Da verdiente ich mich dumm und dämlich, war wunderschön. Mal SA-Mann, der einen Juden verkloppt, mal KZ-Häftling... Die Kleinstadt der dreißiger Jahre drehten wir in Buna, das sah alles noch genauso aus, wenn man das Nötigste ausgebessert hatte.

      1980-81 sind wir nach Polen, als das streng verboten war, haben bei einer tschechischen Bäuerin unsere Rucksäcke leer gemacht und sind durch den Kuhdrahtzaun nach Polen, da war schon Ausnahmezustand, es war keinem Deutschen mehr möglich, einzureisen. Was ich später erst erfuhr: ein paar Theologiestudenten, die zu der Zeit legal in Polen waren und Solidarnosz-Zeitungen nach Deutschland mitgebracht hatten, kriegten dafür 18 Monate Knast. Zur selben Zeit waren wir illegal in Polen, einfach aus Neugier, was da passiert. Und es passierten Sachen, mir ist die Pumpe stehen geblieben... Kriegsrecht.

      Ich klingelte einen Polen raus, zehn D-Mark, dafür nahm der uns nach Krakau mit, da kannte ich mich am besten aus. Unterwegs verkauften die noch groß Blaubeeren, und wir hatten bloß Schiss, entdeckt zu werden, wollten schnell in die Anonymität der Großstadt eintauchen, und die hielten überall an, nachts um vier, klingelten die Leute raus, um denen ihre Blaubeeren zu verkaufen. Wir wussten erst nicht, was da gespielt wird... Kurz vor Krakau fliegt dem der Auspuff ab, gleich war die Polizei ran, und wir stellten uns schlafend. Die hätten uns ausgewiesen, in der DDR hätten wir wenigstens zwei Jahre dafür gekriegt. Von Krakau brachte ich einen West-Berliner Lehrer nach Auschwitz, bisschen was erzählt, hab ich zweihundert Westmark gekriegt, damit konnten wir gut überleben. Überall die provisorischen Solidarnosz-Büros, überall Lautsprecher, da wurden die neuesten Nachrichten von der Streikfront bekannt gegeben, davor paar hundert Leute, die applaudierten. In den Büros in Warschau, Krakau, Tschenstochau feierten sie uns wie Helden: Wie seid ihr hier reingekommen?! Sie haben unsere Kraxen mit Solidarnosz-Fahnen und Broschüren vollgeschmissen. Nach 14 Tagen sind wir zurück, wieder über diesen Kuhzaun, vorher mit einem Zöllner getrampt, nachts durch den Wald, und wir dachten die ganze Zeit, der hat seinen Leuten Bescheid gesagt, und wir werden jeden Augenblick hochgezogen. Da wirst du hellhörig. Bei jedem Motorgeräusch in den Busch gesprungen. Wir sind in die Slowakei, bei der Oma wieder unser Zeug abgeholt, dann die Frage: Wie das Zeug aus der Slowakei nach Potsdam kriegen. Einen Rucksack haben wir leergemacht und das Zeug dagelassen, es halbiert, im Zug verteilte ich das ganze Papierzeug von Solidarnosz auf die Scheißhäuser, immer ein paar Papierhandtücher vorne stehen lassen, die Flugblätter dahinter, auf bestimmt zehn Klos. So ist dieses Zeug in den Osten gekommen. Die Sticker