Carlo Fehn

Der falsche Tote


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mit dem Hinweis »Passt so« einen Schein auf die Theke legte und sich von Pytlik und Anton Hofer verabschiedete.

      »Nix für ungut, Franz! Aber ich denke, für heute reicht es mir.«

      Pytlik wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Becker, der bereits aufgestanden war, seinen Kopf in Richtung des Gangs zum Festsaal hob.

      »Na da schau her! Das passt doch wie abgesprochen. Vielleicht nimmt der Herr Regisseur ja meinem Platz neben dir ein. Einen schönen Abend noch.«

      Constantin Becker verließ mit einem Augenzwinkern und nachdem er sich mit einer Handbewegung auch von den anderen Kolleginnen und Kollegen am langen Tisch verabschiedet hatte, den »Maxschacht«. Pytlik hatte sich nach Beckers Hinweis reflexartig umgedreht, so dass Werner Schuster natürlich mitbekommen haben musste, dass er von Becker darauf hingewiesen worden war. Aber es war ihm egal. Er nahm sein Glas Bier und trank einen großen Schluck. Kaum dass er das Glas wieder abgesetzt hatte, knallten neben ihm diverse Ordner auf die Theke und tatsächlich ließ es sich Werner Schuster nicht nehmen, sich neben Pytlik zu setzen. Als dieser zur Begrüßung die Hand Schusters auf seiner Schulter spürte, wusste er wohl, was dies zu bedeuten hatte.

      »Herr Hauptkommissar! Darf ich übrigens Franz sagen? Ich bin der Werner.«

      Damit hatte Pytlik jetzt zwar nicht gerechnet, aber immerhin hatte sein Eindruck nicht getäuscht, dass Werner Schuster die Sache von vorhin aus der Welt schaffen wollte. Und Pytlik war ehrlich gesagt auch daran gelegen. Immerhin war er eingeladen worden, bei der Theatergruppe mitzuspielen und jetzt wollte er nicht der Spielverderber sein, der auf den letzten Drücker alles kaputt machte. Er reichte Schuster die Hand.

      »Ich bin der Franz!«

      »Ich habe noch mal kurz darüber nachgedacht, wegen vorhin«, begann Werner Schuster. »Ja, du hast schon in gewisser Weise Recht. Aber du musst das auch verstehen: Die Proben sind bisher sehr gut gelaufen und ich bin auch ehrlich gesagt sehr überrascht, wie gut du deine Sache machst, nachdem du vorher noch nie auf der Bühne gestanden hast. Aber als Regisseur und Leiter der Gruppe hast du da natürlich gerade an so einer Generalprobe immer das Gefühl, es könnte doch noch besser gehen. Verstehst du das?«

      Pytlik verstand es zwar nicht, aber er nickte artig. Anton Hofer hatte mittlerweile auch Werner Schuster ein Bier hingestellt.

      »Prost, Franz!«

      »Prost, Werner! Prost, Toni!«

      Die Gläser klirrten.

      »Sag mal, Toni, am Sonntag müssten wir dann am besten nachmittags noch mal die Waffe mit der Platzpatrone testen. Damit das auch wirklich funktioniert. Können wir das vielleicht so nach der Mittagszeit machen?«

      »Klar«, antwortete Anton Hofer belanglos und das Gefühl vermittelnd, dass man deswegen eigentlich kein Aufheben machen musste.

      »Die Waffe ist da und ich habe auch einige Platzpatronen. Wir können das mittags testen und abends mache ich dann eine ins Magazin und dann habt ihr die Waffe für die Vorstellung. Kein Problem!«

      »Gut, gut! Ich möchte das vorher einfach nur noch mal testen. Nicht, dass es dann vielleicht eine Ladehemmung oder sonst irgendetwas gibt. Ich kenne mich damit ja nicht aus. Da bist du ja der Fachmann.«

      Die nächsten drei Bier wurden von Smalltalk und Auszügen aus den jeweiligen Lebensläufen von Werner Schuster und Franz Pytlik begleitet. Es war bereits kurz vor Mitternacht, als Werner Schuster bekundete, nach Hause gehen zu wollen. Auch Pytlik schaute auf seine Armbanduhr.

      »Toni, sind Sie doch so gut und rufen mir ein Taxi!«

      Erst jetzt bemerkte Pytlik, dass rechts von ihm am Kopfende der Theke schon seit einiger Zeit eine Frau saß, von der er wusste, dass sie nicht zur Schauspielgruppe gehörte, die aber allem Anschein nach auch alleine im »Maxschacht« war. Sie nahm ihr Weißweinglas, deutete einen Gruß in Richtung Pytlik an und trank dann auf eine irgendwie vornehme Art und Weise. Dabei lächelte sie sehr sympathisch und ließ den Blick nicht vom Hauptkommissar ab. Werner Schuster klopfte noch einmal kurz mit der Faust auf den Tresen und machte sich dann auf den Weg. Anton Hofer hatte den Telefonhörer bereits in der Hand.

      »Psst! Warten Sie doch noch mal wegen des Taxis!«, flüsterte Pytlik dem Wirt zu.

      »Schauen Sie jetzt mal bitte nicht gleich rüber, aber kennen Sie die Frau, die da sitzt?«

      Anton Hofer war ein geübter Gastronom. Natürlich schaute er nicht in Richtung der Frau, nachdem ihn Pytlik darum gebeten hatte. Er nahm ein Wischtuch und ein Glas und tat so, als hätte Pytlik ihn etwas Anderes gefragt. Dann antwortete er in einer Lautstärke, von der er sicher war, die Frau würde es nicht hören.

      »Nie zuvor gesehen! Ist bestimmt eine Geschäftsfrau auf der Durchreise. Spricht gestochenes Hochdeutsch. Keine Ahnung, kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.«

      Der Rest der Schauspielgruppe war mittlerweile auch nach Hause gegangen und es befanden sich nur noch ein paar einzelne Besucher im »Maxschacht«. Pytlik überlegte, als plötzlich Anton Hofer hinter dem Tresen zu der unbekannten Frau hinüberging. Mit seinem Tuch säuberte er einmal die Holzauflage und kam dann wieder zurück. Pytlik stutzte, denn nur wenige Sekunden nach dieser Aktion nahm die Frau ihr Glas und ihre Handtasche und saß nur einige Augenblicke später neben Pytlik auf dem Platz, den vor ihr Constantin Becker und Werner Schuster innegehabt hatten.

      »Hallo! Darf ich mich zu Ihnen setzen?«

       Samstag, 16. September 2006

      Pytlik wusste an diesem schönen Samstag irgendwie nichts mit sich anzufangen. Die Nacht mit Mona empfand er im Nachhinein als Glücksfall. Als er im »Maxschacht« gemerkt hatte, dass die Handelsvertreterin auf einen One-Night-Stand ausgewesen war, konnte er sich zunächst nicht begeistern. Das lag weniger an der Attraktivität der Mittvierzigerin, sondern vielmehr an der Tatsache, dass sich Lisa Strehmel vorher telefonisch bei ihm gemeldet hatte. Nachdem Anton Hofer den Beiden aber rasch einen Hausbrand ausgegeben hatte und der Funke sehr schnell übergesprungen war, bedurfte es keiner großen Überredungskunst mehr und Pytlik erwachte am nächsten Morgen nach einer heißen Nacht im örtlichen Business Hotel.

      ***

      Der Hauptkommissar hatte sich entschlossen, rund um seine Doppelhaushälfte in der Rhodter Straße aufzuräumen, hier oder da mit der Heckenschere etwas zu korrigieren und sich ganz einfach ein bisschen zu beschäftigen. An die Premiere am nächsten Tag verschwendete er bewusst keinen Gedanken. Es sollte reichen, wenn er sich am Sonntagvormittag noch einmal den Text zu Gemüte führen würde.

      »Hey, Franz!«, rief plötzlich jemand von gegenüber.

      »Wie geht’s dir? Schon aufgeregt wegen morgen?«

      Ralf Merkel, Pytliks Nachbar, war ebenso in seinem Garten zugange. Pytlik wunderte sich, dass sein Gastauftritt bei der Laienschauspielgruppe in Stockheim anscheinend schon wieder ein offenes Geheimnis war.

      »Woher weißt du denn das schon wieder?«, entgegnete Pytlik, während er einige abgeschnittene Äste in eine Schubkarre fallen ließ.

      »Na, steht doch heute ganz groß in der Zeitung«, zeigte sich Ralf Merkel verwundert. »Hast du das noch nicht gelesen?«

      Pytlik hatte tatsächlich noch keine Zeitung gelesen.

      »Bekommt man da eigentlich noch Karten?«, hakte Merkel nach.

      Pytlik wusste es nicht, aber für die Premiere reichte es ihm schon, seine gesamte Kollegenschaft im Publikum sitzen zu haben.

      »Also, die Premiere morgen ist ausverkauft, das weiß ich. Wie es bei den nächsten Vorführungen aussieht, kann ich dir nicht sagen.«

      Nach ein bisschen Smalltalk wünschte Ralf Merkel dem Hauptkommissar viel Glück und verschwand danach in seiner Garage.

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