Falsches China – Bild in Deutschland
Besuch der großen Ausstellungshallen des Kunst-, Kultur- und Wissenschaftsmuseums Dalian
Erbe der europäischen Tradition
Von der Einkaufskultur bis zur Digitalisierung
Gutgläubigkeit und Harmonie in der Dynamik des Alltages
Zur Rolle von Märchen und Visionen
In der Heimat: vergebliche Suche nach einer Friedenskultur
Enttäuschungen im persönlichen Leben
Ein bescheidenes Leben im Kiez
Sein Traum von Harmonie
Widersprüchlicher, ja wirrer als im Leben des Jungen und späteren Mannes Jura kann es wohl kaum zugehen. Es ist eine Achterbahn der Ereignisse und Entscheidungen. Aber dieses Leben ist auch zielorientiert. Es ist dominiert von dialektischen Widersprüchen. Doch jeder neue Widerspruch ist zugleich auch Herausforderung – solange die Kraft reicht. Juras Erkenntnis: Widersprüche und Harmonie schließen einander nicht aus. Ergänzen sich der Traum von Harmonie mit Optimismus und Zuversicht, dann ist seine Verwirklichung greifbar nahe. Hier sollen am Beispiel des Jungen und späteren Mannes Jura Momentaufnahmen, Impressionen und Schlaglichter eines Lebens skizziert werden, die sich so oder so ähnlich zugetragen haben könnten. Es geht nicht darum, eine vergangene Realität zu spiegeln. Einige der geschilderten Episoden sind authentisch, andere frei erfunden. Hier sollen einige Aspekte eines typischen ostdeutschen Lebens im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert mit all den unangenehmen Nachwehen beleuchtet werden. Juras Lebensweg soll stellvertretend für Hunderttausende Ostdeutscher stehen. Der Leser im Osten soll Parallelen zu seinem eigenen Leben erkennen, der im Westen vielleicht erstarrte Bilder und Ansichten ergänzen und korrigieren. Die Ostdeutschen haben ein spezifisches Gerechtigkeitsempfinden, ein besonderes Rechtsverständnis und eigene Auffassungen von Harmonie, wenn auch der Begriff selten gebraucht wird. Die ostdeutsche Harmonie ist nicht die Ruhe nach dem Sturm und schon gar keine statische Größe oder Zustand hierarchischen Gleichgewichtes. Sie entsteht im Ergebnis ständigen Eingehens von Kompromissen. Juras Leben beginnt im dörflichen Umfeld des sächsischen Bergbaugebietes. Wie ein Bilderbuch prägt es seine Erinnerungen. Fleiß, Sparsamkeit, aber nicht Geiz begleiten den Jungen. Die Menschen leben in Eintracht miteinander. Körperlich schwere Arbeit gehören zu ihrem Alltag. Der Alltag – das sind sechs Tage die Woche. An den Abenden sind sie erschöpft. Täglich, auch an Sonn- und Feiertagen werden die Haustiere versorgt und der Garten bearbeitet. Jura hat dabei seine spezifischen Aufgaben und Verantwortungen.Einige Leute gehen zum evangelischen Gottesdienst. Die meisten beten zu Hause oder haben den Glaube an Kirche und Gott in den Wirren von Krieg, Flucht und Vertreibung verloren.
Wie Jura zustande kam – ein Zufall auf der Suche nach sozialer Sicherheit nach Kriegsende
Der westliche Teil des schönen und fleißigen Grenzlandes Sachsen ist in jenen Tagen wenige Jahre nach Ende des furchtbaren letzten Krieges besonders stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Bombardierungen der Städte und Industrieanlagen haben ihre Spuren hinterlassen. Die Menschen sind erschöpft und traumatisiert. Doch auch Aufbruchstimmung, Hoffnung und Zuversicht entstehen. Das sind die Katalysatoren, die das Leben am Laufen halten.
Viele der Männer sind nicht von den Fronten zurück gekehrt. Andere harren und leiden noch immer in den Kriegsgefangenenlagern. Das Überleben ist hart. Die Brikettfabriken beginnen notdürftig ihre Produktion. Frauen müssen die Arbeit der fehlenden Männer übernehmen. Ihnen fällt die harte ungewohnte Schinderei sehr schwer.
In Westsachsen wechseln die Besatzer – die Amis gehen, die Russen kommen und bleiben. Wie lange, weiß keiner.
Noch immer kommen Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten.
Marie – eine vertriebene deutsche Kriegswitwe aus dem Sudetengau verschlägt es mit ihrem kleinen Sohn in den Raum Borna. Da leben ihre Schwiegereltern.
Ihr Ehemann und Vater des Sohnes gehörte zu den ersten Opfern des größenwahnsinnigen Überfalls auf die Sowjetunion. Er hat seinen Sohn nie sehen können. Noch keine 20 Jahre alt fand er im Winter 1941/42 sein Grab in der gefrorenen und blutgetränkten russischen Erde. Zunächst findet Marie mit ihrem Sohn Unterschlupf in Sachsen bei ihren Schwiegereltern. Als aber die Bombardierungen im Raum Leipzig immer massiver werden, kehren sie in das sichere Böhmen zurück. Dort erwartet sie der Hass der Tschechen und die Vertreibung. Als sei sie als Deutsche schuld am Leiden der anderen Völker. Misstrauen und Hass bestimmen das Leben. Schließlich gelingt es ihr, einen Transport nach Deutschland zu ordern. Sie fürchtet, auch hier weiter vertrieben zu werden. Ihre Schwiegereltern, arme Bergarbeiter, nehmen sie und den Enkelsohn erneut auf. Sie versorgen ihr eine Arbeit in der nahen Brikettfabrik. Die Leute essen Brot und Kohlrübensuppe.
Eine unhandliche Holztruhe mit einigen Habseligkeiten ist alles, was Marie besitzt. Besonders in Ehren hält sie die kleine vergoldete Bibel und einige Kruzifixe. Das erinnert an ihre strenge katholische Erziehung. Die katholische Kirche war es, die ihr in ihrem unsagbar schweren Leben immer zur Seite stand. Doch im protestantischen Sachsen gibt es nur wenige katholischen Gemeinden. Marie fühlt sich einsam, verlassen und verraten.
In Deutschland entsteht ein neues politisches Umfeld. Neue Strukturen werden gebildet. Marie interessiert all dies nicht. Das Leben hat sie gelehrt, sowieso keinen Einfluss zu haben.
In Sachsen vollzieht sich der Übergang von der sowjetischen Besatzungszone zur DDR. Zwei neue Staaten auf deutschem Boden entstehen. Ihre Heimat ist nun Ausland und nur schwer erreichbar.
Am Alltag ändert sich nichts. Es fehlt an allem, vor allem an Männern. Viele Frauen brauchen für sich und ihre Kinder zuverlässige Versorger. Zuneigung und Liebe spielen bei der Partnerwahl eine untergeordnete Rolle. Die Hoffnungen steigen und fallen mit jedem der immer wieder angekündigten Transporte aus den Kriegsgefangenenlagern. Dutzende Frauen drängen sich an den Gleisen der Haltepunkte der Deutschen Reichsbahn, wenn Transporte eintreffen. Sie hoffen, ihren oder wenigstens einen Mann zu finden. Die Männer sind erschöpft. Enttäuscht gehen die Frauen nach Hause, wenn sie wieder einmal keinen Mann gefunden haben.
Doch dieses Mal lernt Marie den Heimkehrer Fritz kennen. Fritz ist vom Kriegsgefangenenlager gezeichnet