Thomas Friedrich Sänze

Fulcher von Fabeln - TOD IN ELBING


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der Schmerz kam und meinen Geist überwältigte.

      Mit ein oder zwei mentalen Plagen wäre ich wohl noch fertig geworden, aber da mich alle immer in gemeinschaftlicher Gleichzeitigkeit überfielen, zehrte das besonders an meiner geistigen und seelischen Verfassung. Wenn es wieder einmal so schlimm kam, lag meine einzige Rettung auf dem Grunde eines leeren Kruges.

      Viele behaupten, Kummer und Sorgen könne man nicht ertränken, da sie schwömmen. Da ich jedoch festgestellt hatte, dass es nur einer ausreichend großen Menge Weins bedurfte, um sie zumindest zu betäuben, war ich durchaus optimistisch, sie oder mich irgendwann tot gesoffen zu haben. Die Verzweiflung verlieh dieser Hoffnung Flügel. Letztendlich war Saufen das Einzige, was mich noch am Leben hielt. Sofern man mein Dasein noch als Leben bezeichnen konnte, denn das meiste davon bekam ich ohnehin nicht mehr mit. Wäre ich nicht ständig betrunken gewesen und hätte ich nicht mein Schwert mitsamt Rüstung bereits versoffen, wäre ich aus reiner Verzweiflung bestimmt irgendwann auf die glorreiche Idee gekommen, mich in meine rostige Waffe zu stürzen. Da ich aber wie alle anderen auch unbedingt in den Himmel wollte und mein Schwert schon lange versetzt war, fiel der Selbstmord wohl oder übel aus und ich versuchte stattdessen, meine Sinne beständig in einem Zustand der Betäubung zu lassen, der in der Tat näher am Tod als am Leben war.

      Kapitel 3

      Es hatten sich bereits alle zum Gottesdienst in der Kapelle versammelt. Wie üblich war ich einer der Letzten, was mir ziemlich recht war. Andere Menschen zu ertragen, brachte mittlerweile meinen Magen regelmäßig zum Rumoren. Leider nahm Gott darauf keine Rücksicht und schickte mir den Teufel in Menschengestalt, um mich noch zusätzlich zu quälen.

      Ordensbruder Otto von Witzig war ein paar Jahre älter als ich, einen ganzen Kopf kleiner, um Längen dümmer, und versuchte ständig, seinem Namen gerecht zu werden und besonders witzig zu sein. Dabei kam er aber nie übers Versuchen hinaus. In ganz Elbing hatte sich dieser umtriebige Bruder mit seinem struppigen roten Haarschopf den Ruf des lokalen Hofnarren redlich verdient. Und wie alle Narren war er äußerst unbeliebt bei den Leuten, die er quälte. Jeder, wirklich absolut jeder, hasste diesen Kerl. Er war schlimmer als alle mongolischen Horden zusammen. Immer wenn Freiwillige für irgendein selbstmörderisches Unternehmen in diesem Krieg gesucht wurden, sorgte dieser Kerl dafür, dass die Ordensleute Schlange standen, nur um ihn nicht länger ertragen zu müssen. Da stand er auch schon mitten im Weg – wo auch sonst – und wedelte mit seinen Armen. Dabei grinste er mich dümmlich an.

      „Fulcher!“, kam er mir feixend entgegen. Damit war es zu spät, um noch wegzulaufen. Er klopfte mir auf die rechte Schulter und greinte mit seiner schrillen Stimme direkt in mein Ohr.

      „Ich hoffe deine Waffe ist mittlerweile wieder scharf geworden!“

      Natürlich wusste er von meinem Problem. Jeder wusste es. So etwas musste einfach jeder wissen. Seit wir uns kannten, begrüßte Witzig mich jedes Mal mit diesem einen furchtbar geistreichen Satz. Und jedes Mal hatte ich dabei das unstillbare Verlangen, ihn zu Brei zu schlagen. Er meckerte sein Ziegenlachen und tanzte dann förmlich in den Versammlungsraum, in dem das Matutin stattfand. Ich seufzte tief und hatte endlich einmal eine ungefähre Vorstellung, wie sich Jesus gefühlt haben musste, als er sein Kreuz Golgatha hinaufschleppte.

      Bevor ich mit dem Saufen begann, als mich noch die schwindenden Reste meiner Manneskraft zu Aggression und Wahnsinn getrieben hatten, hatte ich nie gezögert, solche Sprücheklopfer kurzerhand zusammenzuprügeln. Heute, wo ich nur noch ein abgefüllter Weinschlauch war, konnte ich jedoch mit so etwas besser umgehen. Denn körperlich war ich maximal noch in der Lage, Jacop hin und wieder eine zu verpassen, ohne gleich zusammenzubrechen.

      Der Versammlungssaal unseres Konvents war brechend voll und verströmte den Duft Dutzender ungewaschener Kerle. Das wollte ich mir nun wirklich nicht auch noch antun und lehnte mich am Eingang an den Türrahmen. Bruder Otto stand direkt vor mir und fand, trotz der Gebete, in welche mittlerweile alle vertieft waren, Gelegenheit, mich anzugrinsen und eine obszöne Geste in Hüfthöhe zu vollführen. Nur mühsam unterdrückte ich das Verlangen, ihm den Schädel am Türrahmen einzuschlagen.

      Ob es nun der Gestank, der Kater oder die Müdigkeit waren, jedenfalls überrollten mich Erinnerungsfetzen voller Schmerz und Agonie. Wie ein Ertrinkender musste ich nach Luft ringen. Kalter Schweiß brach mir aus und rann in Strömen meinen Rücken herab. Alles schwankte und drehte sich, ich stolperte davon und floh vor der Menge in die Ruhe des Kreuzganges. An den Wänden befestigte Pechfackeln erhellten die feindselige, tiefschwarze Finsternis mit Inseln sanften Lichts. Dahinter jedoch meinte ich, bedrohliche Schatten wahrzunehmen. Der Kreuzgang war eine Welt des Übergangs, in dem das Irdische auf das Überirdische traf. An einem solchen Ort konnte man Gott verlieren und den Teufel finden, denn die Finsternis löste die Grenzen aller Wahrnehmung auf. Gedanken und Gefühle verschwanden in der Dunkelheit, um kurz darauf als Dämonen wieder ans Licht zu treten. Benommen wankte ich noch bis zur nächsten Nische, ehe mich dort die Kräfte endgültig verließen. Aus den Schatten wähnte ich hasserfüllte Weiber mit Knüppeln nach mir schlagen und begann, wie ein kleines Kind zu heulen. Bis mir endgültig die Sinne schwanden und ich in einen tröstlichen Dämmerschlaf verfiel.

      Es war doch immer wieder dasselbe. Kaum wurde ich ein wenig nüchtern, bedrängten und folterten mich meine Erinnerungen. Ich hätte schreien können. Manchmal tat ich das auch. Leider half es nie sonderlich weiter. Meine Welt war völlig aus den Fugen geraten, und meine fatale Lustlosigkeit brachte mich immer mehr an den Rand des Irreseins. Eine Erinnerung sitzt im Gedächtnis, Gefühle jedoch bewohnen den ganzen Körper und befallen ihn wie eine Krankheit. Meine Qualen verfolgten mich im Wachen wie in meinen Träumen. Die Erinnerungen folterten mich. Sobald ich die Augen schloss, kehrte ich im Geiste in das kleine Prußendorf zurück, und erlebte dort wieder und wieder, wie die wüste Weiberhorde mit Ruten und Knüppeln auf mein Gemächt einschlug. So viel ich auch in mich hineinschüttete, um diese Gefühle in die Tiefen meiner Seele zurückzuspülen, ich wurde sie nicht los. Sie drängten sich mit erbarmungsloser Wucht hervor und zerrissen stets aufs Neue mein Gemüt. So lebte ich in einem permanenten Albtraum, aus dem ich nicht mehr aufwachen konnte.

      Mein Geist war vom vielen Nachdenken bereits verwest und ich litt Qualen, wie eine arme Seele in der Hölle. Schlaflosigkeit, Nervenflattern, Händezittern, Übelkeit und Schweißausbrüche taten ihr Übriges. Ich war ein jämmerliches Wrack. Mein Leben war im Arsch und dieses schwarze Loch war angefüllt mit dem bestialischen Gestank der Angst. Felsenfest nahm ich mir vor, auf schnellstem Weg endlich etwas zu saufen. Nur betrunken war es mir möglich, mich selbst und diese Welt wenigstens für einige Zeit zu ertragen. Zumindest bis ich sie vollkotzen musste.

      Die Angst nagte an meinem Geist wie eine Horde Ratten an einem Kadaver. Ich wusste, alle Männer machten irgendwann dasselbe wie ich durch. Das Ersterben der Potenz war eine natürliche und gottgewollte Entwicklung. Das tröstete mich jedoch nicht im Geringsten. Außerdem betraf es alle anderen erst in weit fortgeschrittenem Alter. Mir hingegen wurde dieses Los in der Blüte meiner Jahre auferlegt.

      Noch bevor ich überhaupt Gelegenheit hatte, den Höhepunkt der Manneskraft zu erreichen und zu genießen, war sie mir schon entschwunden. Womit ich eindeutig viel zu jung für dieses schlaffe Schicksal war. Wäre ich ein alter Sack gewesen, stockblind, völlig verblödet und halb verwest, ein Nichts, nur noch ein Echo des Lebens, dann hätte ich mich wohl diesem Schicksal beugen können. Denn ein tattriger Greis hatte zwar noch seinen Schwengel, aber längst dessen Gebrauch vergessen, und was man vergaß, vermisste man nicht. Viele lachten über mich und meine Unfähigkeit, meinen Mann zu stehen. Meistens Frauen. Manche Bekloppte beneideten mich sogar, da mir durch diese göttliche Fügung etwas ermöglicht wurde, wozu sie allesamt als die geilen Böcke, die sie waren, nicht fähig waren: ein vollkommen keusches Leben. Wen verwundert es da noch, dass ich schließlich anfing, genau solche Typen zu verdreschen. Ich war Ordensritter, verdammt, bis zum Halse hatte ich in Blut, Scheiße und Gedärmen gewühlt. Ein Kämpfer akzeptiert den Tod in der Schlacht oder den Verlust von Gliedmaßen, das gehörte zu seinem alltäglichen Broterwerb. Aber keiner rechnete damit, dass ihm im Krieg die Männlichkeit abhanden kommen könnte. So etwas gab es einfach nicht.

      Meine Kameraden vögelten und verspritzten sich in den Tagen und Nächten der Welt, während ich meine Welt mit einem fetten