Stefan Zweig

Der Kampf mit dem Dämon


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Unsterblichkeit die Götter genug, und bedürfen

       Die Himmlischen eines Dings,

       So sind's Heroen und Menschen

       Und Sterbliche sonst. Denn weil

       Die Seligsten nichts fühlen von selbst,

       Muß wohl, wenn solches zu sagen

       Erlaubt ist, in der Götter Namen

       Teilnehmend fühlen ein andrer,

       Den brauchen sie.

      Sie brauchen ihn, die Götter, und ebenso brauchen die Menschen die Dichter, die

       heiligen Gefäße,

       Worin der Wein des Lebens, der Geist

       Der Helden sich aufbewahrt.

      In ihnen fließt beides zusammen, das Obere und das Untere, sie lösen den Zwieklang in die notwendige Harmonie, ins Gemeinsame, denn

       Des gemeinsamen Geistes Gedanken sind

       Still endend in der Seele des Dichters.

      So tritt, erlesen und verflucht, zwischen Einsamkeit und Einsamkeit diese irdisch gezeugte, göttlich durchdrungene Gestalt des Dichters, berufen, das Göttliche göttlich zu schauen und es den Irdischen im irdischen Bildnis fühlsam zu machen. Von den Menschen kommt er, von den Göttern ist er gefordert: sein Dasein ist eine Mission, er ist die klingende Stufe, auf der »treppenweise das Himmlische niedersteigt«. Im Dichter erlebt die dumpfe Menschheit symbolisch das Göttliche: wie im Mysterium des Kelches und der Hostie genießen sie in seinem Wort Leib und Blut der Unendlichkeit. Darum das unsichtbare Priesterband um seine Stirne und das unverbrüchliche Gelöbnis der Reinheit.

      Dieser Mythus des Dichters ist der geistige Mittelpunkt von Hölderlins Welt: durch sein ganzes Werk hindurch hat er niemals diese Unerschütterlichkeit des Glaubens an die kultische Mission der Dichtung verloren, daher auch das absolut Sakrale, das Feierhafte seiner ethischen Haltung. Wer »Stimme der Götter« ist, »Verkünder des Helden« oder (wie er ein andermal sagt) »Zunge des Volkes« sein will, braucht die Erhobenheit der Rede, die Erhöhtheit der Haltung, die Reinheit des Gottverkünders, der spricht von unsichtbaren Tempelstufen zu einer unsichtbaren Vielzahl, zu einem Traumvolk, zu einer Traumnation, die erst aus der irdischen entstehen soll, denn »was bleibt, stiften die Dichter«. Seit die Götter schweigen, sprechen sie in ihrem Namen und Geist, Bildner des Ewigen im irdischen Tagwerk. – Darum rauschen auch seine Verse feierlich gehoben wie priesterliches Kleid und sind schmucklos weißgewandet. Darum spricht er selbst im Gedicht gleichsam höhere Sprache. Und diese hohe Bewußtheit der Sendung oder vielmehr des Gesendetseins hat Hölderlin an den Erfahrungen der Jahre nicht verlernt: nur eins ist in seinem Mythus ihm allmählich dunkler, verhängter und tragischer bewußt geworden, daß er die Sendung nicht wie im Frühglanz der Jugend mehr als ein bloß seliges Erwähltsein empfindet, sondern als heroisches Schicksal. Was dem Jüngling ursprünglich bloß als sanfte Begnadung erschien, erkennt der Gereifte als das schaurigschöne Hangen über dem Abgrund –

       Denn sie, die uns das himmlische Feuer leihn,

       Die Götter, schenken heiliges Leid uns auch.

      Er erkennt: Berufensein zum Priesteramt heißt Verstoßensein vom Glück. Der Erwählte ist gezeichnet wie ein Baum im unendlichen Walde mit dem roten Zeichen für das Beil: echte Dichtung fordert ein Schicksal heraus. Nur wer das Tragisch-Heldische, das er verkündet, selbst zu erleben bereit ist, wer aus dem sichern bürgerlichen Haus hinaustritt unter das Gewitter, in dem die Götter sprechen, nur der wird zum Helden. Schon Hyperion sagt es: »Huldige dem Genius einmal, und er reißt dir alle Bande des Lebens entzwei« – aber Empedokles erst, erst der verdüsterte Hölderlin, wird des ungeheuren Fluches bewußt, den die Götter über jenen verhängen, der sie »göttlich im Göttlichen schaut«:

       jedoch ihr Gericht

       Ist, daß sein eigenes Haus

       Zerbreche der und das Liebste

       Wie den Feind schellt' und sich Vater und Kind

       Begrabe unter den Trümmern,

       Wenn einer, wie sie, sein will und nicht

       Ungleiches dulden, der Schwärmer.

      Der Dichter gerät, weil er an die Urmächte, die übergewaltigen, greift, in ständige Gefahr: er ist gleichsam der Blitzableiter, wo eine einzelne aufstrebende dünne Spitze in sich den zuckenden Ausbruch der Unendlichkeit auffängt, denn er, der Mittler, muß ja »ins Lied gehüllt« den Irdischen »das himmlische Feuer reichen«. In herrlicher Herausforderung tritt er, der immer Einsame, den gefährlichen Mächten entgegen, und seine atmosphärische Überfülltheit mit ihrer gedrängten Feurigkeit ist fast eine tödlich gewaltsame. Denn weder darf er die geweckte Flamme, die brennende Weissagung, in sich schweigend verschließen,

       Verzehren würd' er

       Und wäre gegen sich selbst,

       Denn nimmer duldet

       Die Gefangenschaft das himmlische Feuer –

      noch darf er ganz das Unsagbare sagen: Verschweigung des Göttlichen wäre Frevel des Dichters ebenso wie die vollkommene Aussage, der restlose Verrat im Wort. Er muß das Göttliche, das Heldische ewig unter den Menschen suchen und dabei ihre Niedrigkeit erleiden, ohne darum an der Menschheit zu verzweifeln, er muß die Götter rühmen und als Herrliche verkünden, die ihn, den Verkünder, einsam lassen in seinem Elend der Erde. Aber Rede und Schweigen, beides wird ihm zur heiligen Not: die Geweihten sind gezeichnet.

      Hölderlin hat also volle Bewußtheit seines tragischen Geschicks: wie bei Kleist und Nietzsche überhöht das tragische Untergangsgefühl schon früh sein Leben und wirft den Schatten deutsam um ein Jahrzehnt voraus. Aber dieser zarte, schmächtige Pastorenenkel Hölderlin hat wie jener Pastorensohn, wie Nietzsche, den antiken Mut, ja die promethidenhafte Lust, sich mit dem Unendlichen zu messen. Niemals versuchte er das Dämonisch-Überflutende seines Wesens, wie Goethe, zu dämmen, zu exorzisieren oder zu zügeln: während Goethe ewig auf der Flucht vor seinem Schicksal ist, um den ungeheuren Schatz des Lebens zu retten, den er sich anvertraut fühlt, tritt eherner Seele und doch ungerüstet Hölderlin mit keiner anderen Waffe als seiner Reinheit dem Gewitter entgegen. Furchtlos und fromm zugleich (dieser herrliche Zwieklang seines Wesens durchklingt sein ganzes Schicksal wie jedes Gedicht) erhebt er die Stimme zum Hymnus, um all die Brüder und Märtyrer der Dichtungen an den heiligen Glauben zu mahnen, an das Heldentum der höchsten Verantwortung, an das Heldentum ihrer Mission:

       Wir sollen unsern Adel nicht verleugnen,

       Den Trieb in uns, das Ungebildete

       Zu bilden nach dem Göttlichen in uns.

      Der Preis, der ungeheure, will nicht heimlich durch Kleinheit der Gesinnung, durch Sparsamkeit mit dem täglichen Glück hinterzogen sein. Dichtung ist Herausforderung an das Schicksal. Frommheit und Kühnheit zugleich: wer mit den Himmeln Zwiesprache hält, darf ihre Blitze nicht scheuen und das unausweichliche Fatum:

       Doch uns gebührt es, unter Gottes Gewittern,

       Ihr Dichter! mit entblößtem Haupte zu stehen,

       Des Vaters Strahl, ihn selbst, mit eigner Hand

       Zu fassen und dem Volk, ins Lied

       Gehüllt, die himmlische Gabe zu reichen.

       Denn sind nur reinen Herzens,

       Wie Kinder, wir, sind schuldlos unsere Hände,